Wer auf der Plattform „X“ (ehemals Twitter) berichtet, dass das Bürgergeld nicht ausreicht und deshalb Mitte des Monats die Lebensmittel knapp werden, muss mit Leistungskürzungen rechnen, wenn andere etwas Geld für Essen spenden. So geschehen bei Thomas S. Wir haben mit dem Betroffenen ein Interview geführt.
Das Jobcenter hat Ihnen die Leistungen gekürzt. Was wirft Ihnen die Behörde vor?
Mir wird vorgeworfen private Spenden per PayPal erhalten zu haben. Auf Twitter klagte ich von Zeit zu Zeit beschämt, wenn ich kein Essen mehr hatte.
Daraufhin schrieben mich vereinzelt Follower*innen an, mit dem Wunsch mich unterstützen zu wollen. Um mir Essen kaufen zu können nahm ich die Geschenke meistens an. Der Vorwurf des Jobcenters im Bodenseekreis trifft also zu.
Warum haben Sie bei Twitter um Hilfe gebeten?
Ich bat während der letzten Monate in meinem Followerkreis auf Twitter, aus der Not heraus wiederholt um Unterstützung. Es handelte sich dabei um Einzelbeträge von 3,50€ bis 25 EUR, und insgesamt nicht mehr als 50,00 € im Monat.
Ich bin es gewohnt sehr streng zu haushalten, und mir absolut nichts ‘außer der Reihe zu gönnen’, aber zu sparen reicht nicht mehr aus. Von den erhaltenen Spenden kaufte ich Lebensmittel.
Seit der Pandemie/ Endemie und den allgemeinen Preissteigerungen, die auch vor Lebensmitteln nicht Halt machten, ist es schwer geworden zu haushalten. Denn zu wenig Einkommen bleibt auch bei sparsamem Leben zu wenig.
Wie lange will das Jobcenter Ihnen die Leistungen kürzen?
In meinem aktuellen Bescheid wurde im Voraus für die nächsten sechs Monate die Bürgergeld-Leistung um ein Fünftel gekürzt. Zusätzlich wurde angekündigt, den während der letzten drei Monate ‘überzahlten Betrag’ zurückzufordern.
Ich habe initiativ angeboten Raten in Höhe von 10,00 € zu bezahlen. Aus eigener Erfahrung akzeptiert das Jobcenter jedoch selten so kleine Raten.
Haben Sie einen Widerspruch eingelegt?
Das habe ich. Ich erklärte mich sofort bereit, den als ‘überzahlt angeführten Betrag in Raten zu erstatten, und ich versicherte keine weiteren Spenden mehr anzunehmen. Mehr noch, dass ich die Spendenmöglichkeit bereits entfernt habe.
Wie ich so mein Leben bestreiten soll, ist mir aber momentan noch nicht klar. Eine neue Privatspende, die ich ohne Spendenaufruf erhalten hatte, habe ich umgehend zurück überwiesen. Ich meine es also ernst, wenn ich beteuere, dass ich mich an die mit meiner Leistung verbundenen Regeln halte.
Gibt es noch weitere Schwierigkeiten mit dem Jobcenter?
Vor sechs Monaten wurde mir wegen Eigenbedarf meine Wohnung gekündigt, in der ich seit acht Jahren lebe. Die Kündigungsfrist ist nun verstrichen. Das Jobcenter hat daraufhin letzten Monat die Zahlung der Miete an meine Vermieterin eingestellt, obwohl ich auf dem stak umkämpften Wohnungsmarkt erfolglos war.
Damit gibt das Amt meinem Vermieter weitere Rechtsmittel in die Hand, mich räumen zu lassen. Das macht mir sehr große Angst. Selbst wenn ich eine Wohnung finde, für die ich tatsächlich der ausgesuchte Mieter bin, wie im Oktober geschehen, sind die “Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft” scheinbar in Stein gemeißelt. Der Bezug besagter Wohnung wurde abgelehnt, weil die Nettokaltmiete um 8,00 EUR über den Zahlen auf dieser Liste lag.
Auf eine separate Zahlung aus eigener Tasche und eine Anpassung des Mietvertrags wollte sich der Vermieter leider nicht einlassen. – Zu viel Aufwand.
Nun sehe ich einer Räumung in eine Notunterkunft entgegen. Das wird ein Zimmer der Stadt sein, dass ich mir mit zwei weiteren Menschen ohne festen Wohnsitz teile.
Machen Ihnen diese Umstände zu schaffen?
Seit mehreren Jahrzehnten leide ich unter wiederkehrenden Depressionen und Angstzuständen. Meine sichere Zone, mein Zuhause, zu verlieren ist dabei eine der Ängste, mit denen ich täglich lebe.
Diese Situation bedroht mich existenziell. Also ja, ich hatte Ende vergangenen Monats einen Nervenzusammenbruch und bin derzeit in engmaschiger Behandlung. Anfang Dezember soll ich in eine Psychosomatische Klinik, aber wer kümmert sich dann um alles?
Ich bin verzweifelt. Das hätte nicht so ablaufen dürfen.
Vielen Dank für das Interview!
Anmerkung der Redaktion: Nach unserer Auffassung greift hier der § 11a Absatz 5 Nr. 1 SGB II. Zuwendungen, die ein anderer, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit ihre Berücksichtigung für die leistungsberechtigten Personen grob unbillig wäre. Demnach darf das Jobcenter diese Mini-Spenden nicht an den laufenden Bürgergeld-Bezug anrechnen.
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