Jedes Jahr ein größerer Fehlbetrag: Hartz IV und Stromkosten

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Neben dem Arbeitslosengeld II-Regelsatz werden die Kosten der Unterkunft, also Miete und Heizung im “angemessenen Rahmen” bezahlt. Im SGB II liest sich das so: “Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.”

Weil aber oft die Mieten über den Angemessenheitsrichtlinien der Komunen liegen, müssen jedes Jahr Hartz IV Bezieher rund 600 Millionen Euro aus den Regelleistungen zusätzlich berappen, damit sie die Mietkosten begleichen können. Was viele “Nicht-Hartz-IVler” wissen: Die Stromkosten müssen noch mal extra aufgebracht werden. Und zwar aus den Regelleistungen. Diese gehören nicht zu den “Kosten der Unterkunft und Heizung”.

Im ersten Absatz des § 20 SGB II heißt es demnach: “Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens.”

Höhere Energiekosten werden ignoriert

Derzeit liegt der Eckregelsatz (Alleinstehender Erwachsener) bei 446 Euro im Monat. Davon müssen für Energiekosten 35,30 Euro aufgewendet werden. Die Bundesregierung ignoriert seit Jahren jedoch die immer höher steigenden Stromkosten. Dennoch weist das Bundesarbeitsministerium immer wieder darauf hin, dass es sich bei den Pauschalen um “angemessene Stromkosten” handeln würde, die den Bedarf abdecken würden.

Bis zu 197 Euro an anderer Stelle einsparen

Experten des Verbraucherportals “Verivox” kommen allerdings auf ein anderes Ergebnis. “Der Hartz-IV-Satz für das Jahr 2021 enthält zu wenig Geld für Strom. Nach Berechnungen des Vergleichsportals Verivox beläuft sich der Fehlbetrag für Alleinlebende auf durchschnittlich 94 Euro pro Jahr. Besonders Haushalte in der Grundversorgung sind betroffen. Bis zu 197 Euro müssen Haushalte im kommenden Jahr an anderer Stelle einsparen, um ihre Stromkosten zu begleichen. Das ist so viel wie nie zuvor.”

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Der Stromanteil in Höhe von 35,30 Euro zur Begleichung der Stromkosten hat allerdings nicht viel mit den Realitäten zu tun. “Die Stromkosten eines Singlehaushalts mit einem Verbrauch von 1.500 Kilowattstunden belaufen sich nach Verivox-Berechnungen im Bundesdurchschnitt aber auf monatlich 43,17 Euro. Das entspricht einem Minus von 22 Prozent in der Haushaltskasse. Für Hartz-IV-Empfänger, die Strom aus der Grundversorgung beziehen, ist die Lücke noch deutlich größer. Hier übersteigen die tatsächlichen Stromkosten von 48,75 Euro monatlich den Regelsatz um 38 Prozent.”

Regelsatz stieg um 27 Prozent – allerdings 61 Prozent Verteuerungsrate bei Strom

Die Schere zwischen dem, was im Regelbedarf für Stromkosten enthalten ist, und den tatsächlichen Stromkosten geht seit Jahren immer weiter auseinander: “Seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 ist der Regelsatz schrittweise um rund 27 Prozent gestiegen (von 345 Euro auf 439 Euro). Die Strompreise haben sich im gleichen Zeitraum um durchschnittlich 61 Prozent verteuert, in der Grundversorgung sogar um 78 Prozent.”

Stromanbieterwechsel oft nicht möglich

Doch was kann der Ausweg sein? Solange die Bundesregierung die Unterdeckung nicht aufhebt, bleibt Betroffenen nur ein Wechsel zu einem günstigerem Anbieter. Doch das ist nicht so leicht. So schreibt das Verbraucherportal: “Mit einem Anbieterwechsel können Hartz-IV-Empfänger ihre Kosten senken. Allerdings prüfen viele Stromanbieter vor Vertragsabschluss die Bonität der Kunden und behalten sich vor, die Belieferung abzulehnen.” Da viele Hartz IV Haushalte überschuldet sind, kann noch nicht einmal der Stromanbieter gewechselt werden.

Änderungen der Regelungen zur Sperre von Strom- und Gasgrundversorgung geplant

In dieser Situation kommt es durch die Unterdeckung der tatsächlichen Energiekosten immer wieder zu Stromschulden. Statt aber die Regelleistungen anzupassen, werden “Änderungen der Regelungen zur Sperre von Strom- und Gasgrundversorgung” geplant. Im Wesentlichen sind folgende Punkte relevant:

“Die Regelung zum Schwellenwert des Zahlungsverzugs des Kunden, der vor einer möglichen Unterbrechung der Versorgung erreicht werden muss, wird von dem bisherigen fixen Wert in Höhe von 100 EUR in einen dynamischen Wert in Höhe des Doppelten der rechnerisch auf den laufenden Kalendermonat entfallenden Abschlags- oder Vorauszahlung oder einem Sechstel des voraussichtlichen Betrages der Jahresrechnung geändert. Bei dieser dynamisierten Regelung geht es um eine Anpassung des Schwellenwertes an die tatsächlichen Verhältnisse der jeweiligen Kunden. Die Dynamisierung hat außerdem zur Folge, dass der Wert auch künftig keiner Inflationsanpassung bedarf.”

Das bedeutet dass Strom- und Gassperren nicht mehr ab 100 EUR Verzug, sondern ab zwei Monatsraten Verzug erst ausgesprochen werden dürfen. Zudem wird eine Pflicht zum Angebot einer Ratenzahlungsvereinbarung gesetzlich verankert.

Ratenzahlungspflicht nur Verschiebung des Problems

Allerdings ist eine Ratenzahlungspflicht für Hartz IV Bezieher kaum hilfreich. Denn, so fasst Harald Thomé von Tacheles e.V., zusammen: “Die Ratenzahlungsvereinbarungsregelung ist für SGB II/SGB XII-Beziehende nicht hilfreich, weil dies wieder eine höhere Unterdeckung in den Regelbedarfen bedeutet, denn dann würden die Menschen auf eine Ratenzahlung mit den Energieversorgern verwiesen werden, was im Ergebnis wiederum eine höhere Unterdeckung durch zu geringe Regelbedarfe und Darlehenstilgung führt.”

Das Problem der Unterdeckung wurde somit auf die Stromanbieter übertragen, so dass die Jobcenter nunmehr aus den Darlehensverpflichtungen entlastet werden. Das Geld fehlt Hartz IV Beziehern so oder so. Daher fordern Sozialverbände, die Hartz IV Regelleistungen endlich den Verbraucher- und Energiekosten anzupassen.

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