In die Rente zwingen: Dann können Krankenkasse oder Jobcenter in Rente schicken

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Dürfen Krankenkassen, Arbeitsagentur oder Jobcenter in die Rente zwingen? Tatsächlich ist diese Befürchtung im Bereich der vorgezogenen Altersrente seit dem 1. Januar 2023 unbegründet: Die sogenannte „Zwangsverrentung“ nach § 12a SGB II ist noch bis zum 31. Dezember 2026 vollständig ausgesetzt. Wer z.B. Bürgergeld bezieht, muss deshalb keine vorzeitige Altersrente beantragen, selbst wenn er die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.

Die Unbilligkeits-Verordnung bleibt zwar als Rechtsrahmen bestehen, greift aktuell aber nicht, weil die Antragspflicht ruht. Dennoch gibt es Fälle, in denen durchaus Druck ausgeübt werden kann.

Gilt das Moratorium auch für Menschen mit Schwerbehinderung – und was war früher?

Bis Ende 2022 durften Jobcenter Leistungsberechtigte, die abschlagsfrei („Rente für besonders langjährig Versicherte“) oder mit Abschlägen („Rente für schwerbehinderte Menschen“) in Rente gehen konnten, zum Rentenantrag zwingen.

Diese Praxis ist nach massiver Kritik an den finanziellen Nachteilen nun vorübergehend gestoppt. Das Moratorium erfasst alle Formen der vorgezogenen Altersrente – unabhängig davon, ob ein Abschlag entsteht oder nicht.

Wann kann dennoch Druck entstehen – und warum geht es dann um Erwerbsminderung?

Ganz anders stellt sich die Lage dar, wenn die Arbeits- oder Erwerbsfähigkeit in Frage steht. Bei längerer Krankheit dürfen Krankenkassen gemäß § 51 SGB V Versicherte auffordern, innerhalb von zehn Wochen einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation – und damit faktisch bei der Deutschen Rentenversicherung – zu stellen.

Achtung: Erfolgt der Antrag nicht, endet das Krankengeld. Kommt er zustande, kann die Rentenversicherung ihn nach § 116 SGB VI in einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente umdeuten.

Welche Schwelle entscheidet über eine volle Erwerbsminderungsrente?

Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung wird bewilligt, wenn ein Gutachten zu dem Ergebnis kommt, dass der oder die Versicherte auf Dauer nicht mehr als drei Stunden täglich in irgendeinem Beruf tätig sein kann (§ 43 SGB VI).

Wer zwischen drei und unter sechs Stunden einsatzfähig ist, erhält unter Umständen eine teilweise Erwerbsminderungsrente; bei sechs Stunden oder mehr entfällt der Anspruch. Die Begrenzung muss voraussichtlich länger als sechs Monate bestehen.

Welche Konsequenzen drohen, wenn man sich weigert, einen Reha- oder Rentenantrag zu stellen?

Sowohl Krankenkasse als auch Arbeitsagentur können Leistungen einstellen, wenn die gesetzte Frist unbeachtet bleibt. Wird der Reha-Antrag gestellt und vom Rentenversicherungs-Träger in einen Rentenantrag umgewandelt, ist diese Entscheidung für die Krankenkasse bindend: Das Krankengeld endet, und bei der Arbeitsagentur ruht das Arbeitslosengeld.

Erst mit einer erfolgreichen Anfechtung – Widerspruch oder Klage – lassen sich Renten- und Leistungsansprüche neu sortieren. Professionelle Beratung ist deshalb unverzichtbar, sobald eine Aufforderung ins Haus flattert.

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Welche Optionen bleiben, wenn man noch nicht in Rente möchte?

Betroffene können Gutachten anfechten, Gegengutachten einreichen und gegen belastende Bescheide Widerspruch einlegen. Solange das Verfahren läuft, ist häufig eine einstweilige Anordnung beim Sozialgericht nötig, um weiter Krankengeld oder Arbeitslosengeld zu erhalten.

Auch ein erfolgreicher Reha-Verlauf kann den Weg zurück in Beschäftigung eröffnen und den Rentenantrag gegenstandslos machen. Fachkundige Unterstützung durch Sozial- und Verbandsjuristen – etwa beim Sozialverband Deutschland (SoVD) – erhöht die Erfolgsaussichten erheblich.

Wie flexibel lässt sich der Übergang in die Altersrente heute gestalten?

Dank Flexirente darf jede und jeder seit 2023 bereits vor der Regelaltersgrenze unbegrenzt hinzuverdienen, ohne dass die Rente gekürzt wird.

Wer noch im Job bleiben will, kann den Rentenbezug als Teilrente zwischen 10 und 99,99 Prozent individuell festlegen – ein Modell, das zunehmend genutzt wird.

Nach Erreichen der Regelaltersgrenze ist Hinzuverdienst ohnehin frei. Wer dagegen eine Erwerbsminderungsrente erhält, muss weiterhin eine individuelle Hinzuverdienstgrenze beachten, die jedoch seit 2023 auf bis zu rund 35 650 Euro im Jahr steigen kann.

Was ändert sich ab 2027 – und warum lohnt es sich, Entwicklungen zu verfolgen?

Das Moratorium zur Aussetzung der Verpflichtung, vorgezogene Altersrenten zu beantragen, endet zum 31. Dezember 2026. Ob der Gesetzgeber die Frist verlängert, die Zwangsverrentung endgültig abschafft oder zu früheren Regeln zurückkehrt, ist offen.

Wer auf Bürgergeld angewiesen ist und das Rentenalter näherrücken sieht, sollte die Debatte aufmerksam verfolgen und Beratungsangebote nutzen, um rechtzeitig über Alternativen informiert zu sein.

Übersichtstabelle: Wann muss ich in Rente gehen?

Situation / Rentenart Wann ist ein Rentenzwang möglich? (gesetzliche Grundlage, Frist, aktuelle Rechtslage)
Erwerbsminderungsrente Wenn Krankenkasse (§ 51 SGB V) oder Arbeitsagentur (§ 145 SGB III) eine längere Arbeitsunfähigkeit bezweifeln: Aufforderung, binnen 10 Wochen einen Reha-Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung zu stellen.

Wird der Antrag gestellt, kann die DRV ihn nach § 116 SGB VI in einen Rentenantrag „umdeuten“. Bestätigt ein Gutachten eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden täglich (volle EM-Rente) oder drei bis unter sechs Stunden (teilweise EM-Rente), endet Krankengeld bzw. Arbeitslosengeld und die Rente wird bindend.

Vorgezogene Altersrente für Bürgergeld-Beziehende Die frühere „Zwangsverrentung“ nach § 12a SGB II ist durch ein Moratorium bis 31. Dezember 2026 ausgesetzt.

Bis zu diesem Datum können Jobcenter niemanden verpflichten, eine vorzeitige Altersrente – sei es abschlagsfrei („Rente für besonders langjährig Versicherte“) oder mit Abschlägen – zu beantragen. Wie es ab 1. Januar 2027 weitergeht, entscheidet der Gesetzgeber.

Warum ist individuelle Beratung unerlässlich?

Jenseits von Paragrafen entscheidet häufig der medizinische Einzelfall, das Gutachten eines ärztlichen Dienstes oder die persönliche Erwerbsbiografie über Rente, Reha oder Leistungsanspruch. Die Spielräume sind größer, als viele vermuten, doch ohne fundiertes Wissen über Fristen, Rechtsmittel und aktuelle Gesetzesänderungen bleiben sie ungenutzt.

Wer sich frühzeitig an Fachberatungsstellen, Sozialverbände oder Rentenberater wendet, kann vermeiden, dass die eigene wirtschaftliche Zukunft allein durch die Entscheidung einer Behörde bestimmt wird.