Ein fehlender Monat: Wie das Landessozialgericht Baden-Württemberg die Erwerbsminderungsrente eines Kfz-Mechanikers stoppte
Ein 48-jähriger Kfz-Mechaniker, der bereits mehrere Jahre lang eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen hatte, beantragte die Weitergewährung dieser Leistung.
Die Antwort der Deutschen Rentenversicherung war ein doppeltes Nein. Zum einen sah ein aktuelles Gutachten den Mann wieder in der Lage, leichte Tätigkeiten mehr als sechs Stunden täglich auszuüben.
Zum anderen fehlte ihm – fast beiläufig, aber mit gravierenden Folgen – exakt ein Kalendermonat an Pflichtbeitragszeit im maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum vor dem Eintritt der Erwerbsminderung. Damit war der Versicherte sowohl medizinisch als auch versicherungsrechtlich aus dem Rentenanspruch herausgefallen.
36 Pflichtbeitragsmonate
Das deutsche Rentenrecht verlangt von Erwerbsgeminderten nicht nur gesundheitliche, sondern auch strenge versicherungsrechtliche Nachweise. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI schreibt vor, dass in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen liegen müssen – die sogenannte „Drei-Fünftel-Belegung“.
Jeder Monat, der in diesem Zeitfenster fehlt, kann daher den gesamten Anspruch zu Fall bringen, selbst wenn alle anderen Bedingungen erfüllt sind. Freiwillige Beiträge ersetzen Pflichtbeiträge in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht, es sei denn, es greift eine enge Ausnahme über § 240 SGB VI.
Rechtlich betrachtet war die fehlende Pflichtbeitragszeit bereits ein K.-o.-Kriterium. Dennoch prüfte das Gericht die gesundheitliche Seite des Falles sorgfältig weiter.
Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder mehr als sechs Stunden pro Tag einfache Tätigkeiten verrichten könne.
Damit lag definitionsgemäß keine volle Erwerbsminderung mehr vor.
Das Urteil zeigt: Selbst wenn die Beitragszeiten lückenlos gewesen wären, hätte der Mann wegen der attestierten Leistungsfähigkeit nur geringe Chancen auf eine erneute Rentengewährung gehabt.
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Kann das Fünf-Jahres-Fenster verlängert werden – und wenn ja, wie?
Grundsätzlich lassen sich bestimmte Zeiten, in denen bereits eine Rente bezogen wurde, Arbeitsunfähigkeit bestand oder Leistungen der Arbeitsförderung flossen, aus dem Prüfzeitraum herausnehmen. Dadurch „rutscht“ das Fünf-Jahres-Fenster um die entsprechende Zahl von Monaten weiter in die Vergangenheit.
Im vorliegenden Fall hatte das Gericht den Zeitraum um 111 Kalendermonate verschoben, weil der Kläger zuvor bereits eine befristete Erwerbsminderungsrente bezogen hatte.
Trotzdem blieb am Ende ein Rest von einem einzigen fehlenden Pflichtbeitragsmonat – und dieser genügte für die Ablehnung.
Welche Möglichkeiten bleiben Versicherten, drohende Lücken zu schließen?
Der Fall zeigt, wie wertvoll auch kleine Beitragsmonate sein können. Wer beispielsweise einen Minijob ausübt, kann durch die Option „Aufstockung“ auf den vollen Rentenversicherungsbeitrag Pflichtbeitragszeiten erwerben, die für die Drei-Fünftel-Belegung zählen. Solche Minijobbeiträge sind oft die schnellste Möglichkeit, kurzfristig eine drohende Lücke zu füllen, weil sie auch noch rückwirkend für den laufenden Monat entrichtet werden können.
Freiwillige Beiträge helfen, wenn überhaupt, nur in sehr eng definierten Ausnahmefällen – und dafür muss der Antrag ebenfalls rechtzeitig gestellt werden.
Rentensystem folgt dem Grundsatz der strikten Gleichbehandlung
Das deutsche Rentensystem folgt dem Grundsatz der strikten Gleichbehandlung. Die Regeln zur Beitragspflicht sind deshalb bewusst mechanisch gestaltet: Ein fehlender Kalendermonat führt zum Verlust des Anspruchs, ohne dass die individuelle Schicksalslage Berücksichtigung findet.
Das mag hart erscheinen, soll aber verhindern, dass Grauzonen entstehen, die wiederum neue Ungerechtigkeiten schaffen würden. Für Betroffene bedeutet das, dass sie neben allen gesundheitlichen Hürden auch die Beitragsbürokratie jederzeit fest im Blick behalten müssen.
Wie lässt sich der eigene Versicherungsverlauf frühzeitig sichern?
Versicherten steht jederzeit das Recht zu, bei der Deutschen Rentenversicherung einen aktuellen Versicherungsverlauf anzufordern. Wer diesen mindestens einmal jährlich prüft, erkennt fehlende Zeiten rechtzeitig und kann noch handeln.
Lücken lassen sich häufig durch Nachverbeitragung geschlossener Minijob-Monate, den zügigen Wiedereinstieg in versicherungspflichtige Beschäftigungen oder – unter den engen Voraussetzungen des § 240 SGB VI – durch freiwillige Monatsbeiträge schließen. Entscheidend ist, dass diese Schritte vor Eintritt einer Erwerbsminderung erfolgen: Sobald der Leistungsfall eingetreten ist, zählt jeder vergangene Kalendermonat unwiderruflich.
Der Fall des Kfz-Mechanikers ist ein Lehrstück für Prävention. Ein einziger nicht beitragspflichtiger Monat genügte, um den Rentenanspruch zu vernichten. Wer gesundheitlich angeschlagen ist oder befristete Leistungen bezieht, sollte deshalb regelmäßig seine Versicherungszeiten kontrollieren und schon kleinste Lücken schließen. Denn das Rentenrecht kennt an dieser Stelle keine Kulanz – und manchmal hängt eine Leistung buchstäblich am Kalenderblatt. (AZ: L 11 R 471/23)