“Hartz und Herzlich” und “Armes Deutschland” heißen die sogenannten “Sozialdokumentationen”, die im Programm von RTL2 laufen. In diesen Sendungen werden Hartz-IV-Beziehende mit aller Hand Klischees einem gaffendem Publikum vorgeführt. Die Protagonisten sind in Folge mit massiven Hasskommentaren und Bedrohungen konfrontiert.
„Elendstourismus“ und „Menschenzoo“
Hans Hoff, Kolumnist bei “DWDL”, kritisierte die Doko-Soap zurecht als „Elendstourismus“ und „Menschenzoo“. Damit die Quote stimmt, werden die Menschen einem breiten Publikum vorgeführt.
“Kannst Du Dich noch einmal und vielleicht ein bisschen mehr aufregen”, sind beispielsweise Regie-Vorgaben, um den Unmut des Zuschauers mehr anzuheizen. “Du möchtest doch gar nicht arbeiten. Kannst Du das in die Kamera sagen?” So oder so ähnlich funktionieren Inszenierungen des Elends. Die Protagonisten der RTL2 Sendung “Hartz und Herzlich” sind in Folge massiven Anfeindungen ausgesetzt.
Hass- und Gewaltkommentare jeden Tag
„Es gibt viele Leute, die uns nicht mögen“, berichtet die Darstellerin Beate. Sie erreichen Kommentare in den Social Media wie: „Habe richtig Lust in dein Gesicht zu schlagen bis ich keine Lust mehr habe“. Die Familie ist jeden Tag mit einer regelrechten Flut von Hasskommentaren ausgesetzt.
Dabei dachten sie, sie hätten den Mut, sich vor der Kamera zu zeigen und von ihrem Leben mit Hartz IV zu berichten. Doch genau das ist nicht die Erzählung, die RTL2 liefern möchte. Der Zuschauer soll vielmehr mit seinen Vorurteilen abgeholt werden. Aufreger und Fremdschämen sind die emotionalen Trigger, die ausgelöst werden sollen, damit die Quote stimmt.
„Wenn ich euch alle im Fernseher sehe, könnte ich kotzen“ und „hey zurückgebliebene Drecksau“, sind die Kommentare, die nun zum Leben der Darsteller/innen von “Hartz und Herzlich” gehören. Beate sagt, “mich belastet das sehr”.
So ist es nicht verwunderlich, dass sich laut Tochter Janine die Mutter Beate aufgrund der Hassnachrichten selbst für eine schlechte Mutter hält.
“Meine Mutter hat bitterlich geweint”, erinnert sich ihre Tochter. Das einzige Mittel, dass der Familie bleibt, ist User zu blockieren, wenn sie wüste Beschimpfungen absondern. „Ich finde man muss nicht so schreiben. Diejenige, die das geschrieben hat, die sollte sich mal hinsetzen und sich fragen, was sie mir damit antut”, sagt Beate.
Depressionen, Wut und Traurigkeit
Bereits seit drei Jahren leidet Beate an Depressionen. Sie geht nur noch an die frische Luft, wenn der Hund Gassi gehen muss. Selbst die Kinder und Enkelkinder schaffen es nicht mehr, sie von den negativen Gedanken und Gefühlen abzubringen. „Ich verkriech mich immer mehr“, sagt sie und kann kaum mehr etwas dagegen tun.
Die psychische Erkrankung wird nicht besser und kostet Beate sehr viel Kraft. Kommentare wie „Du bist genau so hässlich und abgezockt wie deine Schwester“, verschlimmern die Situation jeden Tag aufs Neue.
Zu Beginn wird den Menschen etwas anderes vermittelt
Den Protagonisten ist zu Beginn solcher Shows nicht im Geringsten bewusst, welchen Hass solche Doku-Shows auslösen. Sie wissen nicht, wie Inszenierungen funktionieren, wie bewusst Situationen dargestellt und Klischees reproduziert werden. Sie sind Opfer einer Medienindustrie, die Einschaltquoten und Werbebudgets hinterherjagen. Um so mehr negative Emotionen bedient werden, um so besser laufen die Quoten.
„Ich hätte gerne ein eigenes Zimmer“, darf eines von 14 Kindern in die Kamera sagen. Aus dem Off raunt eine Stimme: “Dazu wird es nicht kommen”. Die Off-Stimme leitet den Zuschauer an und ordnet für ihn ein. So führt die Show den Gaffer, der im Anschluss seinen Hass im Netz freien Lauf lässt.
Dokumentieren ist etwas anderes
Es ist nichts dagegen einzuwenden, Menschen in Armut dokumentarisch zu portraitieren. Dokumentationen wollen nicht werten, sondern zeigen, wie Menschen leben, sich mühen und auch scheitern. Gutes dokumentarisches Fernsehen gibt es. Vox machte es einmal vor Jahren mit der preisgekrönten Doku “Asternweg – eine Straße ohne Ausweg” vor. Der Anspruch von RTL2 ist allerdings ein anderer, auch wenn das von den Machern immer wieder bestritten wird.
Dieser Artikel ist daher eine Warnung, sich auf solche „Menschenzoo-Shows“ als Protagonisten einzulassen. Die massiven Folgen für das eigene Leben danach sind meist nicht mehr zu revidieren.
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