Hartz IV: Wohnungserstausstattung auch nach Hausratentsorgung

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Wohnungserstausstattung auch nach wahnhafter Hausratentsorgung

Entsorgen psychisch kranke Menschen infolge von Wahnvorstellungen ihre Wohnungseinrichtung, kรถnnen sie spรคter dennoch vom Sozialhilfetrรคger Anspruch auf eine finanzielle Beihilfe fรผr eine Wohnungserstausstattung haben. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Wรผrttemberg in Stuttgart in einem am Donnerstag, 6. August 2020, verรถffentlichten Urteil entschieden (Az.: L 7 SO 3313/18)

Im konkreten Fall ging es um eine psychisch kranke Frau, die an Wahnvorstellungen leidet. Sie hatte nicht nur halluzinatorische Wahrnehmungen wie Stimmenhรถren oder Gesprรคche mit Engeln, Teufeln und Dรคmonen, sie war auch davon รผberzeugt, dass ihre Mรถbel und ihr Hausrat โ€žvergiftet” und โ€žverflucht” seien. Im Zuge ihrer Wahnerkrankung entsorgte sie ihre funktionsfรคhigen Mรถbel und ihren Hausrat auf der StraรŸe.

Fรผr die Frau wurde schlieรŸlich eine Betreuung eingerichtet. Wegen einer paranoiden Schizophrenie und ihren Halluzinationen und Denkstรถrungen kam sie fรผr mehrere Monate in die Psychiatrie. Der Rentenversicherungstrรคger bewilligte ihr eine befristete, fรผr den Lebensunterhalt aber unzureichende Erwerbsminderungsrente.

Als die Frau nach mehreren Klinikaufenthalten im Mai 2017 eine neue Wohnung bezog, war sie auf Sozialhilfe angewiesen und beantragte beim Sozialamt eine finanzielle Beihilfe fรผr eine Wohnungserstausstattung.

Behรถrde lehnte erneuten Zuschlag fรผr Mรถbel ab

Die Behรถrde lehnte dies mit Verweis auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) ab (Az.: B 4 AS 57/13 R). Danach kรถnnen Hartz-IV-Bezieher vom Jobcenter nach einer Suchterkrankung kein neues Mobiliar fรผr vorzeitig verschlissene Einrichtungsgegenstรคnde verlangen. Der Anspruch auf eine Wohnungserstausstattung setze ein besonderes Ereignis und von auรŸen wirkende, plรถtzlich auftretende Umstรคnde voraus, die zur Unbrauchbarkeit des Mobiliars und der Haushaltsgegenstรคnde gefรผhrt haben.

Hier habe es keine von โ€žauรŸen” einwirkende auรŸergewรถhnliche Umstรคnde gegeben, die zum plรถtzlichen Untergang oder der Unbrauchbarkeit der Wohnungsausstattung fรผhrten. Die Krankheit der Frau sei kein โ€žvon auรŸen einwirkendes Ereignis”, so die Behรถrde.

Doch sowohl das Sozialgericht Freiburg als auch das LSG sprachen der psychisch Kranken eine finanzielle Beihilfe fรผr eine Wohnraumerstausstattung in Hรถhe von 771 Euro zu. Wie die Sozialbehรถrde gingen beide Gerichte aber ebenfalls davon aus, dass die Hartz-IV-Entscheidung des BSG aus dem Jahr 2014 auf die Sozialhilfe รผbertragbar ist.

Danach mรผsse fรผr eine Ersatzbeschaffung von Mรถbeln und Hausrat ein konkreter, plรถtzlich auftretender โ€žatypischer” Bedarf vorliegen, der durch auรŸergewรถhnliche Umstรคnde entstanden sei. Dabei mรผssten โ€žvon auรŸen” einwirkende Umstรคnde den Bedarf hervorgerufen haben.

Hier habe die Klรคgerin wรคhrend eines akuten paranoiden Schubes ihren funktionsfรคhigen Hausrat auf der StraรŸe entsorgt, weil dieser โ€žverflucht” gewesen sei. Diese Umstรคnde seien schon mal โ€žauรŸergewรถhnlich”, da eine solche Bedarfslage bei dem รผberwiegenden Teil der Sozialhilfebezieher nicht besteht. Das Ereignis sei auch plรถtzlich, in einem engen Zeitraum von wenigen Tagen aufgetreten.

โ€žVon auรŸen” einwirkende Umstรคnde lagen vor

Auch โ€žvon auรŸen” einwirkende Umstรคnde โ€“ wie vom BSG gefordert โ€“ lรคgen vor. Gemeint seien hier Umstรคnde, die auรŸerhalb eines Abnutzungsverhaltens liegen. Im vom BSG entschiedenen Fall ging es um einen rauschgiftsรผchtigen Hartz-IV-Bezieher, der seine verschlissenen Mรถbel entsorgt hatte und hierfรผr erfolglos Ersatz verlangte. Im aktuellen Fall war der Hausrat der Klรคgerin aber nicht verschlieรŸen, sondern voll funktionstรผchtig.

โ€žEine Wohnungserstausstattung ist nach alledem auch ohne รคuรŸere ร„nderung der Wohnsituation dann zu gewรคhren, wenn die bisherige Einrichtung aufgrund eines zeitlich eingrenzbaren auรŸergewรถhnliche Umstandes beziehungsweise eines besonderen Ereignisses unvorhergesehen untergeht, der Grund fรผr den Untergang auรŸerhalb eines Abnutzungsverhaltens liegt und eine Ansparung zur Abdeckung des besonderen Bedarfsfalls daher nicht mรถglich war”, heiรŸt es in dem LSG-Urteil vom 9. Juli 2020. Wegen grundsรคtzlicher Bedeutung wurde die Revision zum BSG zugelassen. fle/mwo