Hartz IV wird zu Bürgergeld, zu mehr wird’s nicht

Der Gesetzesentwurf zum Bürgergeld liegt vor. Wir haben uns den Entwurf einmal genauer angesehen. Dabei ist zu beachten, dass es sich sich um den ersten Gesetzesentwurf handelt Der Inhalt kann sich im weiteren parlamentarischen Verfahren noch erheblich ändern.

Was wurde mit Einführung des Bürgergeldes versprochen?

Wie hatten die Grünen doch so vollmundig verkündet: “Wir werden die Grundsicherung grundlegend reformieren und damit Hartz IV durch das Bürgergeld ersetzen.” (Quelle) Eine Reform sieht anders aus, erst recht eine grundlegende. Ersetzt wird zunächst mal in weiten Teilen nur der verhasste Name, das Meiste bleibt jedoch inhaltlich und in der Rechtswirkung unverändert.

Bürgergeld eigentlich nur eine Pandemie-Sonderregelung?

Bei Licht betrachtet hat man eigentlich nur die Pandemie-Sonderregelungen (Vereinfachter Zugang …) und die dem BVerfG angepasste Sanktionspraxis als Dauerregelungen ins Gesetz geschrieben. Also etwas das man bereits seit mehreren Jahren praktiziert.

Über die Höhe der, von Sozialverbänden seit Jahren als unzureichend bemängelten, Regelleistung besteht nach wie vor große Uneinigkeit. Von der versprochenen Kindergrundsicherung ist weiterhin nichts zu sehen. Gehen wir nun etwas ins Detail.

Was wird aus den Sanktionen?

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG AZ: 1 BvL 7 16) hatte bereits Ende 2019 der Sanktionspraxis einen Riegel vorgeschoben und erlaubte u.a. nur noch Sanktionen bis zu max. 30% der maßgeblichen Regelleistung ohne Beteiligung der Unterkunftskosten, ebenso keine Ungleichbehandlung von Personen unter 25.

Dabei bleibt es auch, diese bereits seit fast 2 Jahren praktizierten Vorgaben des BVerfG wurden nun lediglich in die längst fällige Textform überführt.

Eine kleine Verbesserung ist lediglich im Bereich der Meldepflichtverletzung erfolgt, die Dauer derselben wurde auf einen Monat verkürzt.

Was passiert mit den Eingliederungsvereinbarungen?

Die Eingliederungsvereinbarung heißt nun Kooperationsplan, das Prinzip bleibt. Neu ist, dass innerhalb der ersten 6 Monate die Verletzungen der Mitwirkungspflichten gar nicht sanktioniert werden dürfen und danach erst ab der zweiten Pflichtverletzung sanktioniert werden darf, das nennt sich “Vertrauenszeit”.

Außerdem darf von beiden Vertragspartnern ein Schlichtungsverfahren beantragt werden, wenn über den Inhalt des Kooperationsplanes keine Einigkeit hergestellt werden kann.

Eine Pflicht zur Schlichtung besteht indes nicht, verläuft das Schlichtungsverfahren erfolglos, wird der Kooperationsplan als Verwaltungsakt erlassen.

Wie ändert sich bei den Eingliederungs- und Weiterbildungsmaßnahmen?

Leistungsbezieher werden mit einem “Bürgergeldbonus” i.H.v. monatlich 75 Euro für die Teilnahme an solchen Maßnahmen geködert belohnt.

Was ist mit Ganzheitliche Betreuung gemeint?

Ganz neu ist die ganzheitliche Betreuung, von den Grünen als “Coaching und aufsuchende Sozialarbeit” bezeichnet. Wenn es das Jobcenter für erforderlich erachtet, kann es eine ganzheitliche Betreuung anordnen oder in einem Kooperationsplan festlegen.

Das bedeutet nichts weniger, als das der Leistungsbezieher faktisch rund um die Uhr einen Coach und Sozialarbeiter an die Seite gestellt bekommt, egal ob er will oder nicht, der jeden einzelnen Lebensbereich umfassend kontrolliert und darin nach Gutdünken unter Einforderung von Mitwirkungspflichten bei der Betreuung eingreift. Das Jobcenter erfährt so buchstäblich alles über der Leistungsempfänger, ohne Ausnahme.

Diese umfassende Einmischung Dritter in den höchstpersönlichen Lebensbereich dürfte verfassungsrechtlich unzulässig sein.

Fakt ist, dass die ganzheitliche Betreuung die konsequente Weiterentwicklung und Ausweitung des bisherigen Coachings ist, wenn es dem Gesetzgeber um umfassende Eingriffsrechte der Jobcenter in den höchstpersönlichen Lebensbereich von Leistungsempfängern geht.

Edit: Bislang soll das “Coaching” nicht mit Rechtsfolgen verbunden sein. Das bedeutet, dass in dem Entwurf keine Sanktionen geplant sind, wenn der oder die Betroffene diese Maßnahme ablehnt.

Wie wird das Vermögen angerechnet?

1. In den ersten zwei Jahren wird nur erhebliches Vermögen berücksichtigt, dabei gilt ein Freibetrag von 60.000 Euro für die erste und jeweils 30.000 Euro für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft.
Danach gilt ein Freibetrag von 15.000 Euro pro Person, wobei nicht genutzte Freibeträge auf andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft übertragen werden.

2. Für ein selbst genutztes Hausgrundstück gilt eine Wohnfläche von max. 140 qm als angemessen, die Größe der Nutzfläche spielt keine Rolle mehr. Für eine Eigentumswohnung gilt eine Wohnfläche von max. 130 qm als angemessen. Ab der 5. Person erhöhen sich diese Grenzen um jeweils 20 qm je weiterer Person.

3. Ein Kraftfahrzeug pro erwerbsfähiger Person ist nun unabhängig von seinem Verkehrswert nicht als Vermögen zu berücksichtigen.

Was ändert sich beim Einkommen?

Azubis unter 25 erhalten einen (Grund)Freibetrag auf ihre Ausbildungsvergütung i.H.v. 520 Euro, das entspricht in etwa dem BAföG-Bedarf.

Wie siehts bei den Bedarfen für Unterkunft und Heizung aus?

1. In den ersten zwei Jahren gelten die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung als angemessen.
2. Verringert sich die Anzahl der Bewohner infolge eines Todesfalls, ist eine Senkung der Unterkunftskosten für die Dauer von 12 Monaten nicht zumutbar.

Was soll sich noch ändern?

1. In § 14 “Grundsatz des Förderns” wird klargestellt, dass auch nicht arbeitslose erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu fördern sind. Ein Vollzeitjob schützt somit nicht mehr davor, sich einen besser bezahlten suchen zu müssen.

2. Für Erstattungsforderungen vom Jobcenter gilt eine Bagatellgrenze von 50 Euro.

3. Bei Leistungseinstellungen wegen fehlender Mitwirkung darf nun die Leistung aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft eingestellt werden, wenn die zu klärenden Umstände Auswirkungen auf deren Leistung haben, was üblicherweise der Fall ist.

4. Darlehen dürfen nicht aufgerechnet werden, wenn und solange bereits mehr als 10% der Regelleistung von einer Aufrechnung betroffen ist.

5. Das Sanktionsmoratorium zur Nichtanwendung des § 31a SGB II endet mit dem Abschluss eines Kooperationsplans, spätestens mit Ablauf des 31.12.2023, je nachdem was zuerst eintritt. Das Sanktionsmoratorium zur Nichtanwendung des § 32 SGB II endet mit in Kraft treten des Bürgergeld-Gesetzes.

Eine kritische Zusammenfassung

Das Meiste ist gleichgeblieben, Einiges wurde in Teilen nur anders formuliert, mit dem gleichen Endergebnis.

Bei den Sanktionen hat sich nichts Grundsätzliches geändert.

Selbstbestimmung? Fehlanzeige. Beim Kooperationsvertrag bleibt es beim an-die-Leine-legen, diese wurde lediglich um einige unwesentlichen Zentimeter verlängert für ein Pseudo-Freiheitsgefühlt. Und mit der ganzheitlichen Betreuung wurde die Selbstbestimmung de facto abgeschafft, denn indem sich das Jobcenter zum Sozialarbeiter mit den Machtbefugnissen des SGB II aufschwingt, hat dieses Kontrolle und Mitbestimmung in jedem einzelnen höchstpersönlichen Lebensbereich.

Die Neuerungen beim Vermögen lassen erkennen, was unsere Politiker für die Zukunft erahnen: das immer mehr auch besser situierte Menschen auf eine Grundsicherung angewiesen sein werden. Diese will man offensichtlich nicht verprellen und die Mittelschicht nicht der Armut preisgeben.

Das man gerade Azubis wirtschaftlich deutlich besser stellt, anstatt ihnen ihre Zukunft in düsteren Farben zu zeigen, ist zu begrüßen.

Ebenso ist zu begrüßen, dass Eigenheimbesitzer nicht mehr ihr Haus veräußern müssen, nur weil die Kinder ausgezogen sind.

Fazit

Jedoch: aus Hartz IV wird Bürgergeld, mehr wird’s nicht. (fm, hartz.info)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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