Hartz IV: Unterschicht & Realität

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Plötzlich ist es Thema jeder Diskussionssendung: Die Unterschicht. Diese Diskussionen sind allerdings schon deshalb schwierig, da der Begriff Unterschicht nicht eindeutig definiert ist. Gehört grundsätzlich jeder Hartz IV Empfänger zur Unterschicht ?

Wer den Kunstbegriff Prekariat zur Definition heranzieht, bejaht diese Frage. Danach ist die Unterschicht das Proletariat der post-industriellen Gesellschaft – kurz die Leute ohne Mittel. Bei dieser Sichtweise wird keine Differenzierung bezüglich der Bildung vorgenommen. Ausgehend von dieser Betrachtung ist Hartz IV ursächlich verantwortlich für die zahlenmäßige Zunahme der Unterschicht. Vor allem durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe sowie der drastischen Kürzung der Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes war bei einem gleichzeitigen Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung diese Entwicklung gewollt bzw. zumindest vorhersehbar. Insofern ist das Vorhandensein einer wachsenden Unterschicht von den Politikern, die diese heut beklagen, allen voran der SPD Vorsitzende Beck, geschaffen worden. Auch der von Beck unterstellte fehlende Antrieb aus dieser Unterschicht heraus zu kommen, ist, soweit er tatsächlich vorhanden ist, durch Hartz IV mitverschuldet. Eine fehlende Differenzierung bei den Betroffenen bezüglich der Qualifikation und den individuellen Möglichkeiten, verringert die Motivation bzw. verhindert teilweise sogar eine Veränderung der Situation.

Alleine die sog. Eingliederungsvereinbarungen, die bei der derzeitigen Handhabung in der Praxis völlig sinnlos sind, signalisieren den Betroffenen doch ein ausgegliedert sein. Das eine solche verbale Sugesstion nicht folgenlos bleibt, ist nicht überraschend Ein Beispiel: Ein 35 jähriger Bürokaufmann mit Abitur hat keine Möglichkeit ein Studium zu beginnen, da damit sein Anspruch auf Arbeitslosengeld erlöschen würde. Gleichzeitig erhält er, wegen seines Alters, kein Bafög. Stattdessen weist ihm die Arge eine nicht bezahlte Tätigkeit als Helfer in der Gartenpflege in der Gemeinde zu. Hier wird bewusst oder unbewusst Qualifikation abgebaut statt dieselbe aufzubauen. Und dies ist kein Einzelfall: In fast jeder Eingliederungsvereinbarung steht die Pflicht zu einem 1 Euro Job festgeschrieben; es gibt allerdings keine einzige Vereinbarung, in der die Fortzahlung der Hilfe auch bei Aufnahme eines Studiums festgeschrieben wäre. Bedenkt man, wie viele arbeitslose Handwerker mit Abitur auf diese Art und Weise zu den zukünftig dringend benötigten Fachkräften ausgebildet werden könnten, werden die Fehler des Systems deutlich. Alle Politiker sind sich einig darüber, dass Bildung ein Weg aus der Unterschicht ist. Nur – warum handelt man dann nicht entsprechend? Warum gibt es keine Übernahme der Kosten für Lehrmittel bei Hartz IV Betroffenen? Warum gibt es keine Gutscheine für Nachhilfeunterricht? Hartz IV Empfänger erhalten faktisch kein Kindergeld, da dieses zuvor als Einkommen vom Leistungssatz abgezogen wird. Statt dieses Geld dann aber den Kindern in Form von kostenlosem Lehrmaterial und ähnlichem indirekt wieder zukommen zu lassen, wird es benutzt um besser- und bestverdienende Eltern eine sicher sinnvolle, aber keineswegs notwendige Lohnersatzleistung in Form eines Elterngeldes zu zahlen.

Auch bei den Regelungen des Schonvermögens wurden keine Konzepte zur Armutsbekämpfung erarbeitet. Kinder von Familien, die keine Ersparnisse haben werden hier klar benachteiligt. Auch da wäre eine Regelung, etwa das Kindergeld als unantastbares Guthaben für die betroffenen Kinder bis zur Höhe des Schonvermögens anzusparen, sinnvoll gewesen. Gerade CDU Politiker sagen immer wieder eine Erhöhung des Leistungssatzes würde die Problematik nicht ändern. Diese Erkenntnis teile ich Wenn man die Situation der Betroffenen wirklich nachhaltig verbessern möchte, reicht es nicht die Hartz IV Leistung zu erhöhen. Man muss aufhören die Betroffenen zu diskriminieren und ihnen Rechte zu nehmen, die für jeden anderen Menschen selbstverständlich sind. Im Augenblick tut man jedoch das Gegenteil: Neue Forderungen nach mehr Druck zeigen nicht nur die Hilflosigkeit sondern auch die Resignation der Politiker. Die Folgerung aus der Annahme, dass auch ein erhöhter Leistungssatz keine Lösung der Problematik bedeutet, muss dann doch lauten: Hartz IV muss komplett weg. Es muss ersetzt werden durch ein Konzept, das Betroffene entsprechend ihren Möglichkeiten fördert. Fördern bedeutet auch, das Selbstbewusstsein der Betroffenen zu stärken. Dazu gehört auch ein Gremium, ähnlich dem Ombudsrat, das die Interessen der Betroffenen vertritt. Allerdings sollte es auch von Betroffenen besetzt sein.

Wenn wir weiter die Ausgrenzung und Diffamierung, zu der neben dem Gesetzgeber auch die verzerrte Darstellung der Problematik in den Medien beigetragen hat, betreiben, dürfen wir uns über zunehmende Gewalt nicht wundern. Gerade die rechte Szene versteht es die verständliche Enttäuschung und Frustration vieler Betroffener in Wählerstimmen umzuwandeln. Es bleibt zu Hoffen, dass die derzeitige Diskussion auch zu einem konsequenten Handeln führt. Dies ist vielleicht die letzte Chance eine drohende Katastrophe zu verhindern.

Dies ist ein Leserbeitrag von
Arbeitslosenhilfe Rheinland-Pfalz Dietmar Brach, Ingelheim

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