Sonderbedarf in a-typischen Lebenssituationen
Für das Umgangsrecht mit den eigenen Kindern nach einer Scheidung sowie für weitere, atypische Bedarfslagen sind über die ALG II-Regelleistung hinaus zusätzliche Leistungen im Rahmen der Sozialhilfe (§ 73 SGB XII) zu gewähren.
Das Bundessozialgericht wertet die Kosten für den Umgang mit den an einem anderen Ort lebenden Kindern nicht als "Beziehungen zur Umwelt" und somit auch nicht als von der Regelleistung nach § 20 SGB II umfasst. Vielmehr wertet das BSG die Lebenslage, nach einer Scheidung den Umgang mit den getrennt lebenden Kindern aufrecht zu erhalten, als eine besondere,
atypische Bedarfslage, für die eine zusätzlich „Hilfe in sonstigen Lebenslagen“ nach § 73 SGB XII möglich ist.
Mit diesem BSG-Urteil wird erstmals höchstrichterlich anerkannt, dass es besondere Bedarfslagen gibt, die nicht durch die Hartz IV-Regelleistung gedeckt werden können und für die ein Anspruch auf zusätzliche Leistungen besteht. Allerdings sieht das BSG
keine Möglichkeit, diese zusätzlichen Leistungen direkt im Rahmen des SGB II zu gewähren und verweist auf die "Hilfe in sonstigen Lebenslagen" nach § 73 SGB XII.
Für ALG-II-Bezieher sind prinzipiell zusätzliche Leistungen für den Lebensunterhalt nach SGB XII – das anders als das SGB II im Einzelfall auch abweichende, höhere Leistungssätze vorsieht (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII) – ausgeschlossen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II sowie § 21 SGB XII).
Etwas anderes gilt für die ehemalige „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ der alten Sozialhilfe, die nun im fünften bis neunten Kapitel des SGB XII geregelt ist. Diese Leistungen stehen grundsätzlich auch ALG-II-Beziehern offen. Der hierzu gehörende (und wenig
bekannte) § 73 SGB XII lautet: "Leistungen können auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden." (Urteil: BSG, Urteil vom Az: B 7bAS 14/06 R)
Was heißt dies konkret?
Wenn es um das Umgangsrecht und ähnliche Bedarfslagen geht, ist es somit künftig zu empfehlen, entsprechende Anträge beim
kommunalen Sozialhilfeträger zu stellen. Das BSG-Urteil ist in gewissen Grenzen auf andere Lebenssituationen übertragbar. Dazu schreibt das BSG: „Erforderlich ist nur das Vorliegen einer besonderen Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell
in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist […] und dadurch eine Aufgabe von besonderem Gewicht darstellt.“ (Urteilsbegründung, Rz. 22) Sie müssen also einen Antrag auf Sonderbedarf stellen und sich auf das Urteil berufen. Konkrete Erfahrungen, ob der Sonderbedarf tatsächlich gewährt wird, gibt es bislang nicht. Es empfielt sich also, eine unabhängige Beratungsstelle aufzusuchen. (09.06.07)
- Über den Autor
- Letzte Beiträge des Autors