Hartz IV soll durch Workfare ersetzt werden

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Hartz IV soll durch Workfare ersetzt werden

Die Bundesregierung plant offenbar, Hartz IV durch Workfare zu ersetzen. Workfare heißt soviel wie: Sozialleistungen gegen Arbeit, d.h. nur wer arbeitet soll auch Sozialleistungen erhalten. Workfare ist insbesondere in den USA ein weit verbreitetes Modell, das aber auch dort auf Fördern und Fordern setzt. Im Gegensatz dazu favorisieren die Befürworter in Deutschland, zu denen u.a. der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen und das Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (ifo) gehören (ifo steht der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) nahe, das auf die Abschaffung der sog. sozialen Marktwirtschaft und die Schaffung eines reinen profitorientierten Kapitalismus hinwirkt), ein totalitäres Workfare-Modell.

Um den Hintergrund zu verstehen, zuerst ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit von Hartz IV, bevor ich näher auf die Ziele des deutschen Workfare-Modells eingehe.

Wer in Deutschland kein Anrecht mehr auf Arbeitslosengeld hatte, erhielt bis 2004 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 53% (57% mit Kind), welches der Staat aus Steuermitteln finanzierte. Aufgrund der hohen Löhne in den alten Bundesländern erhielten dortige Empfänger von Alhi ca. 1300 Euro/Monat, in den neuen Bundesländern waren es dagegen meist nur ca. 500 Euro bis 700 Euro/Monat.

Die Arbeitslosenzahlen schwanken seit 1993 immer zwischen 3,5 und 4 Millionen, wovon etwa 2/3, ca. 2,2 Millionen, Langzeitarbeitslose sind und den Arbeitslosen max. 600.000 offene Stellen gegenüber stehen, von denen aber nur ca. 2/3 sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten sind. D.h. effektiv fehlen seit mindestens 15 Jahren über 3 Millionen Arbeitsplätze. Woher nehmen? Das man diese nicht durch herbeireden oder Gesetze schaffen kann, ist unseren Politikern schon lange klar.

So war das Ziel der unter den Bezeichnungen Hartz I bis IV bekannt gewordenen Gesetzesänderungen auch nicht, 3 Millionen Arbeitsplätze aus dem Hut zu zaubern, sondern die zu einem Problem gewordenen Kosten für Langzeitarbeitslose zu senken. Durch die Zusammenlegung der Arbeitslosen- mit der Sozialhilfe und der Festlegung des Eckregelsatzes auf 345€ wurde genau dieses Ziel verfolgt und bei den Langzeitarbeitslosen ca. 75% (West) und 50% (Ost) an Kosten eingespart.

Während bisher die meisten Langzeitarbeitslosen auch ihre Unterkunftskosten aus ihrer Alhi bezahlt hatten und die mit geringer Alhi ergänzendes Wohngeld erhielten, mussten die Unterkunftskosten nun zusätzlich gezahlt werden. Die Absicht der Bundesregierung, die Unterkunftskosten auf die Länder und Kommunen abzuwälzen, ging jedoch fehl. Durch die von den Ländern erstrittene Beteiligung des Bundes an den, durch Preiserhöhungen stetig steigenden, Unterkunftskosten in Höhe von ca. 30% wurde diese erhoffte Einsparung teilweise wieder "aufgefressen".

Hinzu kam, dass die von der Hartz-Kommission zugrunde gelegten statistischen Daten falsch waren und viel mehr Menschen Anspruch auf ALG II hatten als ursprünglich veranschlagt. Die stetig sinkenden Reallöhne und zunehmende Langzeitarbeitslosigkeit taten ein Übriges, um die Zahl der ALG II Empfänger weiter zu erhöhen. Außerdem wird von den Arbeitgebern ALG II zunehmend als Lohnergänzung missbraucht und so Billiglöhne gerechtfertigt und durchgesetzt.

Derzeit stehen 3,283 Millionen Arbeitlosen, davon 71% = 2,315 Millionen Langzeitarbeitlose ALG II Bezieher, 579.000 offene Stellen gegenüber, davon sind 63% sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten (Statistik der BA; Mai 2008). Wie viele davon so viel Lohn erbringen, dass eine Hilfebedürftigkeit, d.h. ergänzendes ALG II, vermieden würde, ist statistisch nicht erfasst. Aufgrund der allgemeinen Lohnentwicklung auf dem Arbeitsmarkt dürfte der Anteil aber unter 50% liegen. Hinzu kommen ca. 97.000 Bedürftige, die ergänzend ALG II erhalten.

Das Ziel der Bundesregierung: ihre Steuerausgaben für Langzeitarbeitlose massiv zu senken, ist damit vollkommen verfehlt worden. Teils wurden die Einsparungen durch Umverteilung (statt Alhi nun Unterkunftskostenbeteiligung), teils durch massive Zunahme der Leistungsberechtigten und teilweise durch den Missbrauch als Lohnergänzung wieder aufgehoben. Hinzu kamen die erheblichen zusätzlichen Kosten für die neue Verwaltung, fehlerhafte Software (A2LL) und durch erhebliche Rechtsunsicherheit und ungeschulte Mitarbeiter verursachte massive Kosten für Klagen.

Workfare soll’s nun richten. Mit diesem System, in dem man aber "Fördern" ganz streichen will, sollen nun diese Kosteneinsparungen erzielt werden. Grundvoraussetzung ist hierbei die Abschaffung des Sozialstaatsgebotes aus dem Grundgesetz. Die Grundsicherung für Erwerbsfähige Arbeitslose soll dann nur noch gezahlt werden, wenn Bedürftige dafür unentgeltlich dort arbeiten, wo das Amt sie hinschickt. Als Basis sollen die bisherigen 1€ Jobs dienen, wobei die Mehraufwandsentschädigung, die ihnen diesen Namen gab, Ersatzlos gestrichen und diese Jobs ohne Beschränkungen überall vergeben werden sollen – auch bzw. gerade in der Privatwirtschaft.

D.h. also: sozialversicherungspflichtige Angestellte die entlohnt werden müssen, können ganz legal durch Arbeitsdienstverpflichtete Grundsicherungsempfänger ersetzt werden. Arbeitsdienstverpflichtete Grundsicherungsempfänger werden so zu Arbeitnehmern ohne Arbeitnehmerrechte deren "Lohn", die Grundsicherung, vom Staat bezahlt wird. 100% Subventionen für Arbeitgeber, bestmögliche Profitmaximierung. Das Ziel: eiskalter Kapitalismus nach dem Grundsatz: friss oder stirb.

Über diese Bestrebungen hat bereits die Sendung Kontraste am 29.05.2008 im Beitrag "Arbeitszwang für Hartz IV-Bezieher? – Was bringt die «Bürgerarbeit»?" berichtet, in dem es um die Pläne des Wirtschaftsministers Michael Glos zur ‘Bürgerarbeit’ ging, dem deutschen Workfare-Modell, das bereits seit 1 1/2 Jahren in Bad Schmiedeberg getestet wird: arbeiten für ALG II; ohne zusätzliche Entschädigung; wer Bürgerarbeit leistet, taucht nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auf – und ersetzt reguläre Vollzeitbeschäftigte. Diesen Beitrag kann man sich auf der Internetseite des RBB als Video ansehen. Ebenfalls hat die Neue Rheinische Zeitung mit ihrem Artikel "Schöne Welt Bürgerarbeit" in ihrem Online-Flyer Nr. 149 vom 04.06.2008 dieses Thema aufgegriffen. Dieser ist auf der Internetseite der Zeitung einsehbar. (20.06.2008, geändert am 02.07.2008)