Rechtswidrige Rechtsfolgenbelehrung bei Hartz IV?
20.08.2012
Angesichts der sich verdichtenden Hinweise, dass Sanktionen bei Hartz IV verfassungswidrig sind, stellt sich die Frage, ob damit die in den von den Jobcentern versendeten Einladungen, den abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarungen, EGV, oder Maßnahmen beigefügten Rechtsfolgebelehrungen nicht schon rechtswidrig sind.
Vor Kurzem entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz "evident unzureichend" sind, wenn sie unter dem "Hartz-IV-Niveau" liegen. Damit folgte das Bundesverfassungsgericht einem Urteil vom 9. Februar 2010, wonach der Regelsatz bei Hartz IV als Existenzminimum ein Grundrecht ist und "stets verfügbar" sein muss.
So führte das Bundesverfassungsgericht am 18. Juli 2012 aus: "Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfGE 125, 175). Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht (BVerfG, AZ: 1 BvL 10/10, Leitsatz 2). Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt (vgl. BVerfGE 87, 209 <228>) und sie in solchen Notlagen nurdurch materielle Unterstützung gesichert werden kann (vgl. BVerfGE 125, 175 <222 f.>) (BVerfG v. 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, Abs-Nr. 89)."
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die ALGII-Regelsätze als Maßstab genommen, es hat aber nicht gesagt, dass diese auch verfassungskonform sind. Insofern wird es auch hier noch abzuwarten sein, ob es zu den Regelsätzen noch eine Entscheidung über deren Höhe gibt.
Wenn, wie oben geschrieben, der ALG II-Regelsatz ein Existenzminimum und garantiertes Grundrecht ist, dann kann man nahezu sicher von der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen ausgehen. Wenn das Überleben in einer existenziellen Notlage von Gegenleistungen abhängig ist, dann widerspricht das dem Sozialstaatsprinzip. Denn man "darf" dann nur überleben, wenn man eine Gegenleistung erbracht hat. Diese Erlaubnis wird mit einer Strafe, Sanktion, entzogen, wenn man diese Gegenleistung nicht erbringt. Dies steht in jeder Rechtsfolgenbelehrung schwarz auf weiß.
Wenn nun die Rechtsfolgenbelehrungen rechtswidrig sind, weil sie stets die Sanktionen aufführen, müsste man in logischer Konsequenz selbst bei der "schönsten" Eingliederungsvereinbarung, der "tollsten" Einladung und der besten Maßnahme einen Widerspruch einlegen und ggf. klagen können. Mit anderen Worten. Jede Rechtsfolgenbelehrung müsste rechtswidrig sein, wenn sie mit Sanktionen droht. Jeder Rechtsfolgenbelehrung sollte dann widersprochen werden. (Berthold Bronisz)
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