Hartz IV: Offener Brief an Angela Merkel (CDU)

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Offener Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel
Sehr geehrte Frau Merkel,

diesen Brief schreibe ich an Sie von Frau zu Frau, von Ossi zu Ossi und von Christin zu Christin. Beginnen möchte ich mit Heinrich Heine: “Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht…“ Auch Sie erinnern sich noch an den Ruf: “Wir sind das Volk!“ Und was ist aus den frohen Anfängen geworden? Armes Deutschland! Sie stehen an der Spitze, Sie haben die Macht, Sie könnten es ändern!

Es geht in meinem Brief um Sozialpolitik. Das Gespenst der Armut kriecht über Deutschland, West und Ost. Himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit macht sich breit. Sehr geehrte Frau Merkel, merken Sie nichts von der Unzufriedenheit Ihres Volkes? Mit welchen schlechten Ratgebern haben Sie sich umgeben? Nehmen Sie nicht einmal kritische Stimmen Ihrer eigenen Partei war, die sich christlich demokratisch nennt und doch so weit davon entfernt ist?

Einst war ich ein Rädchen im Theaterwerk der DDR. Meine Gage war klein, aber die Arbeit machte Spaß. Arbeit und Selbstverwirklichung waren für uns Theaterschaffende sehr wichtig. Ich möchte Sie nicht mit meiner beruflichen Vita beschäftigen, obwohl diese sehr spannend ist und ein Buch füllen könnte. Nur den Schluß müssen Sie sich anhören.

Ich hatte einen Unfall, danach war ich länger krank, dann wurde ich gemobbt und schließlich entlassen. Ich führte einen Prozeß und gewann, aber meine Gesundheit blieb auf der Strecke. Das, wofür ich qualifiziert bin, kann ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr machen. Was der Arbeitsmarkt hergibt, dafür bin ich nicht qualifiziert.

Sie brauchen mir also nicht den Job als Kulturministerin anzubieten. Meine Kraft reicht dafür nicht mehr aus. Daß die Kultur in diesem unseren Land, dem Land der Dichter und Denker, sich in einem bedauernswerten Zustand befindet, ist jedoch ein anderes Kapitel.

Was ist das für ein Land? Spart an sozialen Leistungen, an Bildung und Kultur!

Meine Frage an Sie, Frau Merkel: Was habe ich falsch gemacht, daß ich nach 37 Jahren Vollberufstätigkeit, jetzt in Armut leben muß? Hätte ich vielleicht so wie Sie in die Politik gehen sollen? Sie können mir glauben, daß meine Lebensplanung eine ganz Andere war!
Ich bin ein Einzelschicksal und möchte keinen persönlichen Vorteil. Es gibt Millionen solcher Einzelschicksale!

Doch es gibt Menschen, die nehmen mein Elend wahr, laden mich mal zum Essen ein oder spendieren mir einen Sack Hundefutter. Den Stolz “Nein Danke“ zu sagen, habe ich schon lange nicht mehr. Aber habe ich nicht auch das Recht, jemanden zum Essen einzuladen, ins Kino oder Theater zu gehen und mich gesund zu ernähren? Wenn ich z. B. zu einer ärztlichen Behandlung fahre, kann ich wegen der anfallenden Fahrtkosten an diesem Tag nichts essen. Hat das mit Würde zu tun?

Dann klopft mir jemand wohlmeinend auf die Schulter, mit dem guten Rat: “Geh´ doch zur Tafel!“ Nein!!! Das werde ich nicht tun! Die Menschen, die dort nach Essen anstehen, haben sich mit ihren Verhältnissen abgefunden. Sie haben keinen Mut und keine Hoffnung mehr! Solche Einrichtungen lindern den Hunger, aber letztendlich unterstützen sie das System, weil sie es nicht verändern.

Nun, wo ich alles verloren habe: Arbeit, Gesundheit, Ersparnisse und zu guter Letzt meine Liebe, die dieser Armutsbelastung nicht standhielt, jetzt soll mir auch noch meine Würde genommen werden? Nein, das lasse ich nicht zu!

Sie können es ändern, mein Schicksal und das von Millionen Anderen! So bin ich die Stimme aller, die keine Kraft haben, sich zu wehren.

Ich fordere von Ihnen, als Gründungsmitglied der Hartz4-Plattform Wiesbaden, die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens, damit jeder Mensch in diesem Land die Möglichkeit hat, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Ich möchte mit dem Hymnus von Heinrich Heine enden:

Hymnus

“Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme.
Ich habe euch erleuchtet in der Dunkelheit, und als die
Schlacht begann, focht ich voran, in der ersten Reihe.
Rund um mich her liegen die Leichen meiner Freunde, aber
wir haben gesiegt. Wir haben gesiegt, aber rund umher liegen
die Leichen meiner Freunde. In die jauchzenden Triumphgesänge
tönen die Choräle der Totenfeier. Wir haben aber weder Zeit
zur Freude noch zur Trauer. Aufs neue erklingen die Drommeten,
es gilt neuen Kampf –
Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme.
( wahrscheinlich 1829/30 )

Ich wünsche Ihnen, sehr geehrte Frau Merkel, möge Gott Ihnen Augen und Herz öffnen für eine menschenwürdige Sozialpolitik. Mit freundlichen Grüßen, Brigitte Wolters Hartz4-Plattform e.V. Vorstand (23.08.07)

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