Hartz IV: Jobcenter übt Staatsanwaltschaft

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Das Jobcenter Bochum übt Staatsanwaltschaft

25.04.2011

Eine Zeitung mit großen Buchstaben und den noch größeren Bildern meldete vor Ostern sichtlich entsetzt, daß die Arbeitsargenturen im vergangenen Jahr häufig Strafen verhängen mussten. So sei zum Beispiel der arbeitslose M. aus Hamburg zu einem Gespräch ins Jobcenter beordert worden, aber ohne Entschuldigung ferngeblieben; ihm habe man Hartz IV für drei Monate komplett streichen müssen.

Arbeitsagentur und Jobcenter sind zwar zwei verschiedene Behörden, mit Strafen sind wohl Sanktionen gemeint, für ein Meldeversäumnis beträgt die Sanktion 10 % statt gastronomisch "komplett" und mit beordert ist wohl die Aufforderung gemeint, sich bei Jobcenter zu melden – aber so genau kommt es bei dieser Zeitung wohl nicht.

Auch beim Jobcenter Bochum kommt es nicht so genau, wenn es sich mal bei Gericht melden soll, also zu einer Gerichtsverhandlung geladen ist; aber der Reihe nach.

Das Jobcenter zahlte einem Arbeitgeber viel Geld, damit dieser einen arbeitslosen Kunden einstellt. Erst war der Kunde glücklich, weil er endlich viel Arbeit hatte. Seinen Lohn bekam er aber weder vollständig noch pünktlich. Da war dann der Arbeitgeber glücklich, weil er endlich viel Geld hatte. Der fleißig arbeitende Kunde wandte sich wieder an das Jobcenter. Er war nun ein böser Kunde, weil im Laufe der Monate ein mächtiges Durcheinander zwischen Leistungen des Jobcenters und den unvorhersehbaren homöopatischen Lohnzahlungen entstanden war. Das Durcheinander war nach Ansicht des Jobcenters eine Ordnungswidrigkeit, nein, nicht des Arbeitgebers, sondern des Kunden, weshalb er vom Jobcenter ein saftiges Bußgeld auf gebrummt bekam. Dieser fühlte sich nun weniger als Kunde behandelt und wehrte sich gerichtlich.

Die zuständige Strafkammer des Amtsgerichts Bochum setzte einen Gerichtstermin an und lud alle Beteiligten vor. Pünktlich zum Termin fanden sich der Richter, der Schriftführer, der Kunde sowie dessen Anwalt ein. Das Jobcenter war nicht vertreten, aber das kann ja mal passieren. Der Richter schaute erstaunt, kontrollierte, ob das Jobcenter als anklagende Behörde auch eine "Einladung" bekommen hatte, betätigte dies und setzte einen neuen Termin an.
Beim zweiten Termin saß man in gleicher Runde wieder im Gerichtssaal. Der Richter schaute nicht mehr erstaunt, sondern deutlich verärgert. Seine Überlegungen ergaben, dass es nicht möglich sei, die Staatsanwaltschaft oder eine andere anklagende Behörde durch die Polizei vorführen zu lassen. Dass dies einmal erforderlich sein könnte, habe der Gesetzgeber schließlich nicht ahnen mögen. Also lud er zur Aufklärung des Falles den Verfasser des Bußgeldbescheides, nunmehr als Zeugen, vor, damit nach einem eventuellen fruchtlosen dritten Termin wenigstens im vierten Termin – nach polizeiliche Vorführung des Mitarbeiters – eine gerichtliche Klärung des Vorwurfes erfolgen konnte.
Im dritten Termin traf sich wieder die mittlerweile vertraute Runde, ohne Störungen durch einen Vertreter des Jobcenters. Dieser hatte immerhin telefonisch mitteilen lassen, ein Freispruch gehe in Ordnung. Insgesamt entstand der Eindruck, das Jobcenter müsse bei ihrem Job gefördert werden und noch etwas üben.

Folgte man der Vorstellung der Zeitung, stünde nun der Mitarbeiter des Jobcenters neun Monate ohne Gehalt da – aber das Jobcenter hätte einen neuen Kunden gewonnen. Vor einer ersten Zahlung wäre allerdings zunächst das Vermögen weitgehend aufzubrauchen. Nach den neun Monaten wären eventuelle Restzahlungen wegen sozialwidrigen Verhaltens zurückzuzahlen, auch durch den Erben (§ 34 SGB-II). Folgte man der Idee des Förderns und Forderns – dem Grundgedanken von Hartz-IV – sinngemäß, wäre das Gehalt für drei Monate um 30 % zu kürzen. Folgt man der Lebensrealität außerhalb von Hartz-IV.. (Rechtsanwalt Martin Reucher, Bochum)

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Bild: Rainer Sturm / pixelio.de

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