Hartz IV: Darf das Jobcenter eine Zwangsverrentung fordern?

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Erwerbslose über 63 Jahre können eine Rente vorziehen. Aber darf das Jobcenter Arbeitslosengeld I oder Hartz IV Beziehern einen Rentenantrag einfordern? Ja, aber es existieren viele Ausnahmen.

Immer öfter fordern Jobcenter von älteren Hartz IV Beziehern eine Rente mit Abschlägen vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Allerdings können sich Betroffene gegen eine solche Zwangsverrentung zur Wehr setzen.

Jocenter muss Ermessensentscheidung treffen

Ein Aufforderung zum Rentenantrag ist nämlich nur dann zulässig, wenn das Jobcenter im Rahmen einer Ermessensentscheidung geprüft hat, ob es überhaupt auffordern soll, eine Altersrente zu beantragen.

Diese Pflicht gilt zudem zusätzlich zu den Bestandsschutzregeln (SGB II § 65 Absatz 4) und den Ausnahmeregelungen der Unbilligkeitsverordnung.

Jocenter beachten die Unbilligkeitsverordnung oft nicht

Viele Jobcenter beachten diese Regelungen nicht und gehen oftmals einfach nach dem „Schema F“ vor. Eben jene Nichtbeachtung der Ermessensausübung kann aber zur Gegenwehr eine gute Angriffsfläche bieten.

Zwar steht die Pflicht eine Ermessensentscheidung zu treffen nicht ausdrücklich im Gesetz, diese ergibt sich jedoch indirekt.

Individuelles Rentenalter

Beim Arbeitslosengeld I und II gelten vom Grundsatz her keine Altersbegrenzungen. Einzig der Eintritt in das individuelle und reguläre Rentenalter lässt den Anspruch auf das Arbeitslosengeld erlöschen.

Individuell deshalb, da für den Renteneintritt der Jahrgang mit entscheidend ist. Wer zum Beispiel zu den Geburtenjahrgang 1958 gehört, für den gilt das reguläre Renteneintrittsalter bei genau 66 Jahren.

Arbeitslosengeld 1 Bezieher von Zwangsrente ausgeschlossen

Wer Arbeitslosengeld I bezieht, 63 Jahre alt ist, hat die gleichen Rechte und Pflichten wie jüngere Erwerbslose im ALG-11 Bezug.

Die Arbeitsagentur darf ALG-1 Bezieher nicht auffordern, vorzeitig in Rente zu gehen bzw. diese zu beantragen. ALG1 Bezieher können in der Tat bis zum Erreichen des regulären Rentenalters Arbeitslosengeld Leistungen beziehen, sofern der Anspruch bis dahin besteht.

Wichtig: Häufig ist der Arbeitslosengeld-Anspruch höher, als die zu erwartende Rente mit den entsprechenden Abschlägen. Daher sollten Betroffene mit einem Rentenantrag warten, bis der Arbeitslosengeld Anspruch erlischt. Wer also mit 63 noch keinen vollen Anspruch erworben hat, kann die Leistungen bis zum Renteneintrittsalter beziehen.

Hartz IV kann eingestellt werden

Beim Bezug von Hartz IV Leistungen wird es allerdings schon schwieriger. Zwar sieht der Gesetzgeber keinen Zwang zum Rentenantrag vor, allerdings können die Leistungen gestrichen werden. Dann müssen Betroffene einen Rentenantrag stellen.

Geregelt wird dies im SGB II §12a. Kurz beschrieben bedeutet die Regelung, dass andere Sozialleistungen Vorrang gegenüber Hartz IV haben. Demnach wird Hartz IV “nachrangig” bewilligt und gezahlt.

In einigen Ausnahmen können sich Betroffene gegen eine Zwangsrente verwehren. Die Ausnahmen sind in der sog. Unbilligkeitsverordnung skizziert.

Unbilligkeitsverordnung zeigt, wann eine Zwangsrente ausgeschlossen ist

Die Unbilligkeitsverordnung besagt, wann es ungerecht wäre, Arbeitslosengeld-II-Bezieher ab 63 das Hartz IV zu streichen, um den Leistungsberechtigten so zu zwingen, einen Rentenantrag zu stellen. Die Verordnung nennt eine Reihe von Ausnahmen vom indirekten Rentenzwang.

Anspruch auf abschlagsfreie Altersrente in naher Zukunft

Ein zwangsweise vorgeschrieben Rentenantrag darf das Jobcenter nicht fordern, „wenn Hilfebedürftige in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen können“.

Diese Ausnahme ist für diejenigen wichtig, die die 45jährige Wartezeit für die Rente für besonders langjährig Versicherte erfüllen, aber das entsprechende Renteneintrittsalter noch nicht erreicht haben.

So urteilte das Bundessozialgericht (AZ: B 14 AS 1/18 R), dass ALG II Bezieher, die nur noch vier Monate bis zum Anspruch der Altersrente für besonders langjährig Rentenversicherte nicht verpflichtet werden dürfen, einen Rentenantrag vorzeitig zu stellen. Dem Kläger musste das ALG II weiterhin gezahlt werden.

Das Bundessozialgericht urteilte: Eine „zusätzliche Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen von vier Monaten bei einer durchschnittlichen Rentenbezugsdauer von gegenwärtig nahezu 20 Jahren [sei] so kurz, dass der Verweis auf eine dauerhaft geminderte Altersrente einem Leistungsberechtigten nicht zuzumuten“ ist.

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Wenn aus Hartz IV- ein Sozialhilfe Bezug entsteht

Eine weitere Ausnahme ist, wenn ältere Erwerbslose durch einen früheren Rentenantrag zu Sozialhilfe-Beziehern werden. Die Verordnung, die im Jahre 2017 geändert wurde, besagt, dass eine vorgezogene Rente nicht in Anspruch genommen werden muss, wenn die Rente derart niedrig ausfällt, so dass ergänzende Sozialhilfe bzw. später Grundsicherungsleistungen bezogen werden müssen.

Damit die Verordnung greift, muss der aktuelle Hartz IV Regelbedarf (Regelsatz plus Unterkunftskosten) mit dem zu erwartendem Rentenanspruch verglichen werden. Dabei ist allerdings nicht die volle Rente ausschlaggebend, sondern lediglich 70 Prozent.

Beispielrechnung: Die Altersrente würde 900 Euro betragen . Der maßgebliche Vergleichsbetrag beträgt dann 600 Euro.

Das bedeutet, wenn der Regelbedarf um bis zu 10 Prozent überschritten wird, ist laut Weisung der Bundesagentur für Arbeit von einer Aufforderung eines Rentenantrages “Abstand zu nehmen”.

Aufstockende Hartz IV Leistungen und Rentenantrag

Wer regulär beschäftigt ist oder eine selbstständige Tätigkeit ausübt, und lediglich mit Hartz IV aufstockt, ist von einer Zwangsrente ebenfalls ausgeschlossen.

Allerdings muss die Erwerbstätigkeit „den überwiegenden Teil der Arbeitskraft in Anspruch nehmen”. Das bedeutet, dass Leistungsbeziehende mindestens “die Hälfte der im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit möglichen Arbeitszeit in Anspruch” genommen sein muss.

Wenn demnächst ein neuer Jo begonnen wird

Ein weiterer Hinderungsgrund für eine vorzeitige Rente ist, wenn Betroffene eine Stellenzusage haben und demnächst den Jo antreten. Hierzu muss der Arbeitsvertrag oder mindestens eine Einstellungszusage vorliegen.

Arbeitslosengeld I Bezug und aufstockende Hartz IV Leistungen

Ausgeschlossen von einer Zwangsrente sind auch ALG1 Beziehende, die gleichzeitig auch ALG2 beziehen, weil das reguläre Arbeitslosengeld nicht ausreicht, um das Existenzminimum zu sichern. Auch dann darf die Behörde nicht zum Rentenantrag auffordern.

Widerspruch einlegen, wenn Ausnahmeregelung zutrifft

Betroffene in konkreten Situationen können demnach gegen die Aufforderung des Jobcenters fristgerecht einen Widerspruch einlegen. Beim Sozialgericht kann dann die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs beantragt werden.

Bei Bedarf: Zusätzlich fristgerecht Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Jobcenters erheben und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragen. Wer sich unsicher ist, sollte zuvor einen Rechtsanwalt konsultieren, eine Erwerblosen-Initiative vor Ort befragen oder im Forum nachfragen.

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