Halbwahrheiten des BA-Chefs Berlin-Brandenburg

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Die Halbwahrheiten des BA-Chefs Berlin-Brandenburg in Springers Blatt "B.Z."

18.11.2012

Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit, Dieter Wagon, beantwortete Fragen der B.Z. zur Nichtausschöpfung der Eingliederungsmittel durch die Berliner Jobcenter und zu den Kürzungen dieser Mittel durch die Bundesregierung.

Die Nichtausschöpfung der Eingliederungsmittel der Jobcenter habe „nichts mit der Finanzierung der Bundesagentur aus Beitragsgeldern zu tun“. (Dieter Wagon) Voraussichtlich fließen etwa 60 Millionen Euro an den Bund zurück, obwohl 15,8 Millionen Euro der Eingliederungsmittel in die Verwaltungskostenbudgets der Berliner Jobcenter umgeschichtet wurden. Aber nicht nur der Bund profitiert: Diese „Einsparungen“ (auf Bundesebene voraussichtlich mehr als 500 Millionen Euro) teilen sich Bund und Bundesagentur für Arbeit ein letztes Mal halbe-halbe … alles andere wäre ein Skandal. Und: Die seit 2010 erfolgte drastische Kürzung der Eingliederungsmittel liege „… daran, dass wir immer weniger Arbeitslose haben“. (Dieter Wagon) 2013 werden den 12 Berliner Jobcentern voraussichtlich 46 Prozent weniger Eingliederungsmittel zur Verfügung stehen als 2010. Aber die Zahl der registrierten Arbeitslosen sank in Berlin von 2010 bis 2012 lediglich um sieben Prozent, die im SGB II wichtigere Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (Arbeitslosengeld II-Empfänger/innen) sogar nur um etwa vier Prozent. Und für 2013 ist kein deutlicher Rückgang zu erwarten. Im Gegenteil.

Zudem: Informationen zu den Verwaltungskostenbudgets der Berliner Jobcenter 2012 und 2013. Und im Anhang: Eine Frage zu einer unzutreffenden Antwort des Berliner Senats und/oder der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg zu den Umschichtungen in die Verwaltungskostenbudgets 2011.

Nichtausschöpfung der Eingliederungsmittel hat „… nichts mit der Finanzierung zu tun“?
Den 12 Jobcentern in Berlin wurden für das laufende Haushaltsjahr (2012) vom Bund insgesamt 416,3 Millionen Euro für „Leistungen zur Eingliederung nach dem SGB II“ zugewiesen. Etwa 15,8 Millionen Euro davon wurden in die Verwaltungskostenbudgets der Jobcenter2 umgeschichtet. Die sogenannten „verfügbaren Mittel“ betrugen demnach 400,5 Millionen Euro. Von diesen 400,5 Millionen Euro wurden von Januar bis Oktober insgesamt 278,4 Millionen Euro ausgegeben.
Für die verbleibenden zwei Abrechnungsmonate stehen demnach noch etwa 122,1 Millionen Euro zur Verfügung. Der Monat mit den höchsten abgerechneten Ausgaben war in den ersten zehn Monaten dieses Jahres der Oktober mit Ausgaben in Höhe von 30,7 Millionen Euro. Sollten die Berliner Jobcenter in den beiden verbleibenden Monaten jeweils einen Betrag wie im Oktober ausgeben, blieben etwa 60 Millionen Euro „übrig“.

Die B.Z. fragte dazu den Vorsitzenden der Geschäftsführung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit (BA), Dieter Wagon: „Dann fließt das Geld aber zurück an die Arbeitsagentur?“ Die Antwort des Chefs der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg: „Nein. Die Mittel für die Jobcenter fließen direkt aus dem Bundeshaushalt über das Arbeitsministerium an die Jobcenter. Das hat nichts mit der Finanzierung der Arbeitsagentur aus Beitragsgeldern zu tun. Nicht genutztes Geld der Jobcenter fließt also zurück in den Bundeshaushalt.“ (Hervorhebung durch Verfasser) Die Behauptung, dies habe „nichts mit der Finanzierung der Arbeitsagentur aus Beitragsgeldern zu tun“, ist nicht ganz richtig.

Denn für das Haushaltsjahr 2012 dürfte ein letztes Mal gelten: Jeder vom Bund für „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ und die „Verwaltungskosten“ der Jobcenter zugewiesene Euro den die Jobcenter nicht ausgeben, entlastet den vorwiegend beitragsfinanzierten Haushalt der Bundesagentur für Arbeit um 50 Cent. Wenn also z.B. von den Berliner Jobcentern im laufenden Haushaltsjahr 60 Millionen Euro nicht ausgegeben werden, reduziert sich der von der BA an den Bund zu zahlende Eingliederungsbeitrag um 30 Millionen Euro … es sei denn, die vom Bundestag beschlossene Streichung des § 46 Abs. 4 SGB II zum 1. Januar 2013 entzieht der Bundesagentur für Arbeit auch ihr dort geregeltes Recht auf Erstattung des im laufenden Haushaltsjahr 2012 viel gezahlten Eingliederungsbeitrages. Dies wäre ein Skandal.

Auf Bundesebene werden nach Schätzung des Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) mehr als 500 Millionen Euro der an die Jobcenter zugewiesenen Mittel für „Verwaltungskosten“ (Bundesanteil) und „Eingliederungsleistungen“ nicht ausgegeben. Die Bundesagentur für Arbeit könnte demnach gemäß zur Zeit geltendem Recht3 zum 15. Februar 2013 mit einer Erstattung des 2012 zu viel gezahlten Eingliederungsbeitrags in Höhe von über 250 Millionen Euro rechnen4 … es sei denn … siehe oben.

Kürzung der Eingliederungsmittel liegt daran, „dass wir immer weniger Arbeitslose haben“?
Die B.Z.: „Kritiker befürchten, wenn nicht das gesamte Geld ausgegeben wird, bekommt Berlin im kommenden Jahr noch weniger.“ Die Antwort des Chefs der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg: „Schon seit 2010 werden die Gelder reduziert. 2013 bekommen wir voraussichtlich 37 Millionen Euro weniger für die Förderung von Hartz-IV-Empfängern. Das Budget liegt dann bei voraussichtlich 380 Millionen Euro. Die Reduzierung liegt aber daran, dass wir immer weniger Arbeitslose haben.“ (Hervorhebung durch Verfasser)

Für das Haushaltsjahr 2013 erwartet der Chef der Regionaldirektion Brandenburg etwa 37 Millionen Euro weniger als die 416,3 Millionen Euro in 2012.5 Dies wären, selbst wenn man die in Fußnote 5 genannten 384 Millionen Euro zugrunde legt, 43,3 Prozent (293,5 Millionen Euro) weniger als 2010. Die Reduzierung liege „… daran, dass wir immer weniger Arbeitslose haben.“ Stimmt das?

Ein Blick auf die Daten in der Tabelle auf Seite 1 zeigt: Von 2010 bis 2012 wurden die den 12 Berliner Jobcentern zugewiesenen Bundesmittel für „Leistungen zur Eingliederung nach dem SGB II“ um 38,6 Prozent gekürzt. Die für diese Eingliederungsleistungen „verfügbaren Mittel“ wurden sogar um 41,4 Prozent (282,4 Millionen Euro) reduziert. Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (Arbeitslosengeld II-Empfänger/innen), ist demgegenüber in Berlin von 2011 bis 2012 um 4,1 Prozent gesunken, die im SGB II weniger wichtige Zahl der registrierten Arbeitslosen im Rechtskreis SGB II um 7,0 Prozent.

Die Behauptung des Chefs der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, „Die Reduzierung liegt aber
daran, dass wir immer weniger Arbeitslose haben.“, ist offenkundig irreführend. Der Chef einer Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit argumentiert hier wie die Bundesministerin Ursula von der Leyen oder wie ein Pressesprecher der Bundesministerin für Arbeit und Soziales.

Umschichtungen von Eingliederungsmitteln in die Verwaltungskostenbudgets der Jobcenter
Für die „Verwaltungskosten“ der 12 Berliner Jobcenter wurden vom Bund 2012 insgesamt 355,7 Millionen Euro zugewiesen, nach Abzug von 13,2 Millionen Euro für „überörtlich wahrzunehmende Verwaltungsaufgaben“ durch die BA-Zentrale (amtlich: üKo). Einschließlich der Umschichtungen aus den Eingliederungsbudgets (15,8 Millionen Euro) und 68,9 Millionen Euro, die das Land Berlin von den Gesamtverwaltungskosten der Jobcenter zu tragen hat,6 standen den Jobcentern 440,4 Millionen Euro für die „Verwaltungskosten“ zur Verfügung, ohne die 13,2 Millionen Euro für üKo.

Für „Verwaltungskosten“ im kommenden Haushaltsjahr 2013 wird der Bund den 12 Berliner Jobcentern voraussichtlich insgesamt 356,5 Millionen Euro zuweisen, nach Abzug von 21,3 Millionen Euro für üKo (8,1 Millionen Euro mehr üKo-Abzüge als 2012!).7 Einschließlich des kommunalen Finanzierungsanteils in Höhe von 67,7 Millionen Euro (15,2 Prozent der Summe aus 356,5 Millionen und 21,3 Millionen Euro) stünden den Berliner Jobcentern 2013 insgesamt 424,2 Millionen Euro für „Verwaltungskosten“ zur Verfügung, ohne die 21,3 Millionen Euro für üKo.

Es ist davon auszugehen, dass auch 2013 wieder Mittel aus den Eingliederungsbudgets der Berliner
Jobcenter in deren Verwaltungskostenbudgets umgeschichtet werden. In der Tabelle auf Seite 1 wurde eine Umschichtung von 16 Millionen Euro unterstellt. Dies hätte zur Folge, dass auch der absolute kommunale Finanzierungsanteil des Landes Berlin steigt, und zwar um 2,9 Millionen Euro.8 Insgesamt stünden unter dieser Annahme im Jahr 2013 den 12 Berliner Jobcentern 443,1 Millionen Euro für die „Verwaltungskosten“ zur Verfügung, ohne die 21,3 Millionen Euro für üKo.

Umschichtungen 2011: Unzutreffende Antwort des Berliner Senats und/oder der RD BB
Am 24. November 2011 fragte die Abgeordnete Sabine Bungert (GRÜNE) den Senat u.a.: "In welcher Höhe wurden im Rahmen der Umsetzung des Programms "Joboffensive" für das Jahr 2011 finanzielle Mittel aus dem Eingliederungstitel in das Verwaltungskostenbudget umgeschichtet (bitte die jeweiligen Summen für jedes JC getrennt ausweisen)?"

Die Antwort im Namen des Berliner Senats vom 23. Januar 2012 lautete: "Nach Auskunft der Regionaldirektion hat im Haushaltsjahres 2011 lediglich das Jobcenter Steglitz-Zehlendorf eine geringe Umschichtung zulasten der Eingliederungsleistungen in Höhe von ca. 65.400 € vorgenommen, die jedoch nicht unmittelbar auf die Umsetzung des Programms Berliner Job-Offensive zurückgeführt werden kann."

Diese Antwort ist offenkundig falsch und/oder unvollständig. Die Eingliederungsbilanzen (EB 2011) der 12 Berliner Jobcenter zeigen: Neben dem in der Antwort mit einem relativ kleinen Umschichtungsbetrag richtig genannten Jobcenter Steglitz-Zehlendorf, wurde im deutlich größeren Jobcenter Mitte ein wesentlich größerer Betrag vom Eingliederungsbudget in das Verwaltungskostenbudget umgeschichtet, nahezu 2,5 Millionen Euro.

Die Fragen dazu:
Wurde das Jobcenter Mitte in der Auskunft der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg an den Berliner Senat vergessen? Wenn nein, warum wurde das Jobcenter Mitte in der Antwort des Berliner Senats nicht genannt? (Anm.: Eine Frage, die auch noch an den Berliner Senat gestellt werden sollte.) Wie würde die korrekte Antwort auf die eingangs genannte Frage bezogen auf das zu Ende gehende Haushaltsjahr 2012 lauten? Sie wurden vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) am 9. November 2012 an die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg gestellt (eMail), blieben aber bisher unbeantwortet. (biaj)

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