Jobcenter bedrohen Eltern mit Leistungsentzug aufgrund rückwirkender Bildungspaket-Anträge
05.08.2011
Eltern, die rückwirkend vom 1. Januar bis 31. März 2011 Leistungen des sogenannten Hartz IV Bildungspakets beantragten, wurden in der Vergangenheit immer wieder von Berliner Jobcenter mit Leistungsentzug bedroht. Das berichtet das Erwerbslosen Forum Deutschland in einer aktuellen Pressemitteilung.
Eltern können Leistungen des Bildungspakets auch rückwirkend zum Jahresbeginn beantragen. Soweit die Theorie. In Berlin sind die Hartz IV Behörden allerdings dazu übergangen, Eltern zu bedrohen, die ihren Anspruch auf rückwirkende Zahlungen geltend machen. Insbesondere sind Familien betroffen, die für ihre Kinder das gemeinsame Schulmittagessen oder die Schulfahrkarte bezahlt haben. Die Behörden verlangen für den beantragten Zeitraum Nachweise, die jedoch die Antragsteller nicht erbringen können, weil sie von dem Ergebnis des damaligen Vermittlungsausschusses in der Antragszeit noch nichts erahnen konnten. Dennoch drohen die Behörden den Antragstellern mit Sanktionen in Form von Leistungskürzungen des regulären Arbeitslosengeld II Regelsatzes. Die Erwerbslosen-Initiativen „Erwerbslosen Forum Deutschland“ sowie die „Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS)“ werfen den berliner Hartz IV Behörden „ungeheuerliche Drohungen vor, die bei betroffenen Angst und Entsetzen auslösen“.
Jobcenter Berlin verwendet Textbausteine
Die Bundesagentur für Arbeit wird von den Initiativen dazu aufgefordert, sofort eine Weisung zu erlassen, damit solche Textbausteine zukünftig nicht mehr verwendet werden. „Sollten Jobcenter tatsächlich die kompletten Leistungen einstellen, werden wir Betroffene juristisch unterstützen“, so Martin Behrsing, Pressesprecher des Erwerbslosenforum. „Hier wird stur nach Schema F ein unzutreffender Textbaustein eingesetzt, der Antragsteller verunsichert und abschreckt“, ergänzt Martin Künkler von der gewerkschaftlichen KOS.
Rückwirkende Anträge Bildungspaket rechtens
Die meisten Erwerbslosen-Initiativen darunter auch Tacheles e.V., Elo und gegen-hartz.de, hatten bereits zu Beginn des Monats April dazu aufgerufen, einen Antrag auf Bildung und Teilhabe (Bildungspaket) zu stellen und zusätzlich das gemeinsame Schulmittagessen für die ersten drei Monate mit zu beantragen, falls ein solches Essen in der Schule angeboten wird. (Rückwirkende Bildungspaket-Leistungen). Ab dem ersten April 2011 müssen Nachweise für das Schulmittagessen, Bildung und kulturelle Teilhabe erbracht werden. Diese Nachweise in Form von Quittungen müssen bei den zuständigen Leistungsträgern abgerechnet werden. Das galt jedoch nicht für den Zeitraum davor. „Das entsprechende Gesetz schreibt vor, dass pro Monat pauschal 26 Euro für das Mittagessen ausgezahlt werden und monatlich 10 Euro für Teilhabe erbracht werden.“ Trotzdem werden betroffene Eltern aufgefordert, zu einem vorgeschriebenen Termin entsprechende Nachweise auch für den Zeitraum davor zu erbringen. In den Anschreiben werden die Antragsteller direkt mit einem Leistungsentzug bedroht. Das liest sich dann so: „Haben Sie zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen. Dies bedeutet, dass Sie und die mit Ihnen in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen keine Leistungen erhalten. In der Zeit, in der Sie keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes erhalten, sind Sie nicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versichert.“
Katja Kipping, Arbeitsmarktexpertin der Partei "Die Linke" forderte die Bundesagentur dazu auf, sofort die rechtswidrigen Anschreiben zu unterlassen. "Ich fordere die Bundesregierung auf, sofort den Jobcentern die skandalösen und rechtswidrigen Androhungen von Leistungskürzungen zu untersagen. Sie lösen bei den Leistungsbeziehenden Angst und Schrecken aus, weil die Kürzung rechtmäßig zustehender Leistungen für den Lebensunterhalt angedroht wird."
Bundesagentur für Arbeit bestätigt rechtswidriges Handeln
Mittlerweile hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) auf die Pressemitteilung der Erwerbslosen-Gruppen reagiert. Die BA gibt den beiden Initiativen Recht und spricht selbst in diesem Zusammenhang von „rechtswidrig verschickten Bescheiden“. „Denn es können in der Tat keine Leistungen zum Lebensunterhalt gekürzt oder eingestellt werden, nur weil einige Nachweise für Leistungen aus dem Bildungspaket fehlen.“ Die Bundesagentur geht davon aus, dass das Jobcenter Berlin ohne weitere Prüfung Textbausteine verwendet hat, die auf Sanktionen aufgrund „mangelnder Mitwirkung“ hinweisen. Die Texte sind allerdings nur bei „normalen Hartz IV Leistungen anzuwenden“. Die BA will aber selbst keine Weisung heraus geben, um das Problem zu lösen. „Die Zuständigkeit für die Bewilligung der Leistungen für Bildung und Teilhabe und damit die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsverfahrens liegt bei den kommunalen Trägern“. Demnach müsste die Senatsverwaltung Berlin dafür sorgen, dass die rechtswidrigen Anschreiben nicht mehr versendet werden. (sb)
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Bild: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de
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