In der öffentlichen Diskussion wird immer wieder eine Verschärfung des Bürgergeldes gefordert, da es sich bei den Empfängern des Bürgergeldes überwiegend um sogenannte “Arbeitsverweigerer” handele.
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die tatsächliche statistische Situation in den einzelnen Jobcentern.
Im Oktober tagte dazu der Leipziger Stadtrat und diskutierte über die Arbeit der Jobcenter vor Ort und die anstehenden Änderungen im Bürgergeldgesetz. Schnell wurde klar, dass die aktuellen Zahlen keinen Anlass für Verschärfungen geben.
Denn die Darstellung, dass eine große Zahl an Bürgergeld-Empfängern bewusst Arbeitsangebote ablehnt, lässt sich durch die Zahlen des Jobcenters Leipzig nicht stützen.
Anfrage zu den Sanktionen bei Arbeitsverweigerungen
Die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat hatte deshalb die Initiative ergriffen und in einer Anfrage die Realität der Zahlenlage aufgedeckt. Sie stellte fest, dass die Bundesregierung Anfang Oktober 2024 neue Sanktionen beschlossen hat, die ab Januar 2025 in Kraft treten werden.
Dazu gehört unter anderem eine Kürzung der Grundsicherung um 30 Prozent für drei Monate, wenn eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne triftigen Grund abgelehnt wird.
Auch das Versäumen von Terminen beim Jobcenter sowie die Ausübung von Schwarzarbeit sollen zu Sanktionen führen. Ferner wurden die Jobcenter angewiesen, Schwarzarbeit zukünftig an die Zollbehörden zu melden.
Sanktionen im Promillebereich
Der Linke-Stadtrat Volker Külow nutzte die Ratsversammlung, um von Clemens Schülke eine Einschätzung zur Notwendigkeit der Sanktionen im Kontext der tatsächlichen Sanktionsquote in Leipzig zu erhalten. Doch Schülke verzichtete darauf, inhaltlich zu argumentieren – die Zahlen sprechen für sich.
Im Zeitraum von Januar 2023 bis Juni 2024 gab es monatlich zwischen 28 und 718 Fälle von Leistungsminderungen im Jobcenter Leipzig, was lediglich 0,3 bis 1,6 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten betrifft.
Bei den 15- bis 24-Jährigen lag die Quote im Durchschnitt bei 1,5 Prozent, bei den 25- bis 50-Jährigen bei 1,3 Prozent und bei den über 50-Jährigen sogar nur bei 0,3 Prozent.
Verweigerung der Arbeitsaufnahme fast nie Grund für Sanktionen
Diese niedrigen Zahlen verdeutlichen, dass die politische Debatte um das Bürgergeld und die erneuten Forderungen nach Verschärfungen kaum eine Basis in der Realität haben.
Die „Verweigerung einer Arbeitsaufnahme“ war dabei einer der geringsten Gründe für die ausgesprochenen Sanktionen.
Im Juni 2024 wurden bei 625 sanktionierten Bürgergeld-Empfängern lediglich 14 Personen aufgrund der Ablehnung einer zumutbaren Arbeit bestraft. Das entspricht gerade einmal 2 Prozent der sanktionierten Personen und nur 0,035 Prozent aller 40.262 erwerbsfähigen Leistungsbezieher in Leipzig.
Meldeversäumnisse als Hauptgrund für Bürgergeld-Sanktionen
Ein noch deutlicheres Bild ergibt sich, wenn man die Art der Verstöße näher betrachtet. Der Großteil der Sanktionen – zwischen 61 und 98 Prozent – wurde aufgrund von Meldeversäumnissen ausgesprochen. Das bedeutet, dass die meisten Betroffenen schlichtweg Termine im Jobcenter verpasst hatten.
Diese Tatsachen entlarven die aktuelle politische Diskussion um die angeblich weitverbreitete Arbeitsverweigerung als überzogen und unverhältnismäßig. Die Vorstellung, dass eine erhebliche Zahl von Bürgergeld-Empfängern systematisch der Arbeit ausweicht, entspricht nicht den Tatsachen.
Vielmehr lassen die Zahlen darauf schließen, dass es sich bei vielen Fällen um organisatorische Probleme handelt, die zu Sanktionen führen – etwa durch verpasste Termine oder Unklarheiten in der Kommunikation mit dem Jobcenter.
Geschlechterunterschiede bei den Sanktionen
Das Wirtschaftsdezernat der Stadt Leipzig gab darüber hinaus Einblick in die Verteilung der Sanktionen nach Geschlechtern. Demnach wurden im Durchschnitt 70 Prozent der Leistungsminderungen bei männlichen und etwa 30 Prozent bei weiblichen Leistungsberechtigten verhängt.
Die Tatsache, dass Frauen seltener von Sanktionen betroffen sind, könnte somit auf eine bessere Organisation oder auch andere persönliche Umstände zurückgeführt werden.
Zukünftige Verwendung der zusätzlichen Finanzmittel
Volker Külow, Mitglied der Linksfraktion, stellte auch die Frage, ob die zusätzlichen 7 Millionen Euro, die das Jobcenter Leipzig im Jahr 2025 erhalten soll, genutzt werden könnten, um Arbeitsgelegenheiten zu schaffen, beispielsweise in Schulbibliotheken oder bei der Stadtreinigung.
Doch auch hierzu konnte Clemens Schülke noch keine konkreten Angaben machen. Eine Entscheidung darüber, wie diese Gelder verwendet werden könnten, wird erst Mitte November erwartet, wenn dem Stadtrat ein erster Entwurf zur Finanzplanung vorgelegt wird.
Kommunen stehen vor großen Herausforderungen
Die Debatte zeigt, wie die veränderten politischen Rahmenbedingungen Auswirkungen auf die kommunalen Strukturen haben können und welche Unsicherheiten dadurch entstehen.
Während einerseits vonseiten der Bundesregierung ein verstärkter Sanktionsdruck aufgebaut wird, stehen die Kommunen vor der Herausforderung, die zugesagten finanziellen Mittel effizient einzusetzen, um tatsächlich sinnvolle Maßnahmen zur Förderung der Erwerbsfähigkeit zu ergreifen.
Zahlen sprechen eine klare Sprache
Die aktuellen Zahlen des Jobcenters Leipzig zeigen deutlich, dass bei den meisten Sanktionen echte Arbeitsverweigerung die Ausnahme darstellt. Dennoch wird diese minimale Gruppe in der öffentlichen Debatte immer wieder als Beleg für den angeblichen Missbrauch des Bürgergeldes herangezogen.
Dabei handelt es sich bei den betroffenen Personen vielfach um Menschen, die eher organisatorische Probleme als eine bewusste Ablehnung von Arbeit haben.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.