Erweiterter Kündigungsschutz für Schwerbehinderte ab GdB 40

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Der Grad der Behinderung (GdB) wird in Deutschland in Zehnerstufen zwischen 20 und 100 festgestellt. Ein GdB von 30 oder 40 belegt bereits „erhebliche“ gesundheitliche Einschränkungen – allerdings ohne den Status der Schwerbehinderung.

Erst mit einem GdB von mindestens 50 eröffnet das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) ein eigenes Schutz- und Nachteilsausgleichssystem. Wer knapp unter dieser Schwelle bleibt, besitzt also nach wie vor messbare Leistungsdefizite, darf sich aber nicht automatisch auf denselben Rechtsrahmen stützen wie eine schwerbehinderte Kollegin.

Wann greift der erweiterte Kündigungsschutz für Schwerbehinderte im Normalfall?

Beschäftigte mit anerkanntem Schwerbehindertenstatus genießen einen besonderen Kündigungsschutz. Bevor ein Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung ausspricht, muss er das Integrations‑ bzw. Inklusionsamt einschalten.

Erst wenn diese Stelle zustimmt, darf das Arbeitsverhältnis beendet werden (§§ 168 ff. SGB IX). Ziel ist, Entlassungen nicht zu verbieten, sondern sie sorgfältig abzuwägen und Alternativen – zum Beispiel Versetzungen oder technische Hilfen – in Betracht zu ziehen.

Wie kommt es zur Gleichstellung trotz (nur) mittlerem GdB?

Genau hier setzt die „Gleichstellung“ an: Wer einen GdB von mindestens 30, aber weniger als 50 besitzt, kann sich von der Agentur für Arbeit Schwerbehinderten gleichstellen lassen.

Rechtlich steht dann nicht der gesundheitliche Grad, sondern die Gefahr im Mittelpunkt, dass eine Behinderung den Arbeitsplatz akut bedroht oder die Aufnahme einer Beschäftigung verhindert (§ 2 Abs. 3 i. V. m. § 151 Abs. 2 SGB IX).

Wird dem Antrag stattgegeben, entsteht ein Status, der dem Schwerbehindertenrecht allein beim Kündigungsschutz gleichkommt. Der schwerbehinderungsrechtliche Urlaub, Ausgleichsabgabe oder vorgezogene Altersrenten bleiben dagegen außen vor.

Welche Argumente überzeugen die Agentur für Arbeit?

Damit die Gleichstellung bewilligt wird, braucht es konkrete Anhaltspunkte: Ist die Person wegen ihrer Einschränkungen regelmäßig arbeitsunfähig? Ist sie für bestimmte Schicht‑ oder Akkordmodelle nicht mehr einsetzbar?

Erschwert eine Funktionsstörung nachweislich die Stellensuche? Solche Fragen beantwortet der Antragsteller schriftlich. Meist genügen eine ärztliche Stellungnahme, Arbeitsunfähigkeitsstatistiken und eine kurze Darstellung der Arbeitsplatzsituation. Je nachvollziehbarer die Begründung, desto zügiger fällt die Entscheidung – in der Praxis nach einigen Wochen.

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Ab wann entfaltet die Gleichstellung Wirkung und was ändert sich konkret?

Sobald der Antrag eingeht, läuft eine Art „Schutzschonfrist“: Wird die Gleichstellung später genehmigt, gilt sie rückwirkend ab Eingang des Formulars. In diesem Moment stehen Arbeitgeber und Arbeitnehmer juristisch dort, wo sie bei einer Schwerbehinderung mit GdB 50 stünden.

Kündigungsabsichten müssen über das Integrationsamt laufen; betriebsbedingte oder verhaltensbedingte Kündigungen werden auf mögliche Behinderungsbezüge geprüft, und im Zweifel mahnt die Behörde zu betrieblichen Lösungen statt zum schnellen Ausstieg.

Wo liegen die Grenzen der Gleichstellung gegenüber der echten Schwerbehinderung?

Wer nur „gleichgestellt“ ist, bekommt weder den als Ausgleich gedachten Zusatzurlaub (in der Regel fünf Arbeitstage) noch die Option, die Altersrente zwei Jahre vorzeitig ohne Abschläge und bis zu fünf Jahre mit Abschlägen zu beziehen.

Auch steuerliche Nachteilsausgleiche, Parkerleichterungen oder der besondere Kündigungsschutz bei Teilzeitreduzierung bleiben Schwerbehinderten vorbehalten. Die Gleichstellung zielt wirklich ausschließlich auf den Arbeitsplatzschutz.

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In welchen Lebenslagen kann die Gleichstellung ein Gamechanger sein?

Besonders häufig greifen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Instrument, wenn Fehlzeiten infolge chronischer Leiden die Personalabteilung nervös machen. Gleiches gilt im Rahmen von Sanierungen oder Outsourcing‑Projekten, bei denen Beschäftigungssicherungslisten nach „sozialen Gesichtspunkten“ aufgestellt werden.

Wer arbeitslos ist und spürt, dass Vorstellungsgespräche wegen gesundheitlicher Einschränkungen immer wieder scheitern, schafft sich mit der Gleichstellung ein Plus an Vermittlungsunterstützung seitens der Arbeitsagentur.

Welche Rolle übernimmt das Integrationsamt, wenn eine Kündigung droht?
Erhält das Integrationsamt einen Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur Kündigung, prüft es zunächst, ob die Behinderung die maßgebliche Ursache für Leistungsdefizite ist.

Häufig fordert es ergänzende ärztliche Stellungnahmen an, besucht den Betrieb oder vermittelt zwischen den Parteien.

Vorgeschaltet ist stets die Frage, ob technische Hilfen, innerbetriebliche Versetzungen oder Qualifizierungen ein milderes Mittel darstellen. Erst wenn diese Optionen ausscheiden, stimmt die Behörde einer Kündigung zu. Das Verfahren verlängert die Frist erheblich und schafft Raum für Lösungen.

Warum zahlt sich eine frühzeitige Beratung aus?

Je eher Betroffene aktiv werden, desto größer die Chance, den Arbeitsplatz dauerhaft zu sichern. Gleichstellung kann nur schützen, wenn sie bei Beginn einer Kündigungswelle bereits vorliegt – oder zumindest beantragt ist.

Wer die Agentur für Arbeit erst einschaltet, wenn die Kündigung schon auf dem Tisch liegt, riskiert, dass die Gleichstellung zu spät greift. Frühzeitige Beratung hilft zudem, den GdB selbst überprüfen zu lassen: Mancher 40er‑Bescheid ist heute inhaltlich ein Fall für die 50.

Fazit

Die Gleichstellung ist zwar kein Allheilmittel, aber ein wirkungsvolles Mittel, um die Lücke zwischen mittlerer Behinderung und Schwerbehindertenrecht zu schließen. Sie verleiht jenen Beschäftigten Rückhalt, die wegen gesundheitlicher Einschränkungen besonders verletzlich sind, ohne ihnen Sonderrechte zuzuschanzen, die vom Gesetz ausdrücklich einem höheren GdB vorbehalten bleiben.

Wer sich um seinen Arbeitsplatz sorgt oder trotz Qualifikation keinen Fuß in die Tür bekommt, sollte prüfen, ob dieser Schutzmechanismus nicht genau das ist, was er braucht, um in einer immer dynamischeren Arbeitswelt bestehen zu können.