Welche Hilfsmittel Menschen mit Schwerbehinderung von der Versicherung bezahlt werden, beschäftigt immer wieder die Sozialgerichte.
Dabei geht es besonders um die Frage, ob diese Mittel tatsächlich dem Ausgleich einer Behinderung dienen, beziehungsweise deren Verschlimmerung vorbeugen, und ob es sich zweitens um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt.
Solche Fragen sind oft knifflig, wie eine Entscheidung des Bundessozialgerichts zeigt. ((B 3 KR 17/22 R)
Inhaltsverzeichnis
Eine Matratze gegen Schlafstörungen bei eingeschränkter Mobilität
Beim Konflikt zwischen Versicherter und Versicherung ging es in diesem Fall um die Versorgung mit einer speziellen Matratze. Diese soll dazu dienen, Schlafstörungen von Kindern mit eingeschränkter Mobilität zu lindern.
Hirnschädigung und Entwicklungsstörung
Die Betroffene, für die diese Matratze vorgesehen war, erkrankte als Baby an einer schweren BNS-Epilepsie und daraus entwickelte sich ein West-Syndrom mit schwerster komplexer Behinderung.
Die Jugendliche leidet an einer frühkindlichen Hirnschädigung und einer schweren psychomotorischen Entwicklungsstörung. Dazu hat sie eine schwer gestörte Koordination in der zentralen Körperbewegung.
Sie kann sich weder aktiv fortbewegen noch aktiv kommunizieren. Laut ärztlicher Diagnose hat sie durch den Bewegungsmangel Schlafstörungen entwickelt, die sich durch Medikamente nicht behandeln lassen.
Schlafstörungen durch Bewegungsmangel
Diese führen dazu, dass nächtliche Schlafphasen durch Wachphasen unterbrochen werden, was Zustände der Unruhe auslöst. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung stellte diese Störungen bereits 2013 fest.
Krankenkversicherung lehnt Antrag auf Matratze ab
Einen 2015 gestellten Antrag auf die Versorgung mit einer speziellen Matratze, die ärztlich verschrieben war, lehnte die Krankenkasse ab. Die Matratze sollte die Eigenbewegung des Kindes durch Mikrostimulation unterstützen, und auf diese Art die Schlafqualität fördern.
Das Sozialgericht verpflichtet die Krankenkasse
Eine Klage vor dem Sozialgericht hatte Erfolg. Das Gericht holte ein Sachverständigengutachten ein und entschied, dass die Kasse die Versorgung mit der Matratze gewährleisten müsste.
Der Gerichtsbescheid wurde damit begründet, dass die Matratze dem unmittelbaren Behinderungsausgleichs diene, indem sie die nächtlichen Wachphasen reduziere und so dazu helfe, die allgemeinen Grundbedürfnisse zu befriedigen.
Das Landesgericht weist die Klage ab
Im Berufungsverfahren entschied das Landesgericht anders und hob die Entscheidung der ersten Instanz auf. Jetzt lautete die Begründung, dass die Matratze ein Hilfsmittel sei.
Ein ungestörter Schlaf sei ein allgemeines Grundbedürfnis, und es fehle an einem ausreichenden Nachweis des medizinischen Nutzens nach dem allgemein anerkannten aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse.
Die wissenschaftliche Grundlage ist unzureichend
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin bezögen sich weder auf das vorliegende Krankheitsbild noch auf die spezifische Matratze. Es gebe dazu auch keine relevanten medizinischen Fachveröffentlichungen.
Revison beim Bundessozialgericht
Letztlich ging es bis zur Revision beim Bundessozialgericht. Für die Betroffene argumentierte die Klage, dass die Matratze ausschließlich dem Behinderungsausgleich diene, und keinen Bezug zu einem therapeutischen Konzept habe.
Deshalb seien die Anforderungen des Landessozialgerichts zu hoch gesetzt. Es handle sich also nicht um eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode.
Das Bundessozialgericht hielt die Revision zwar für zulässig, aber für unbegründet. Das Landessozialgericht liege richtig damit, dass es keinen Anspruch auf Versorgung mit dieser Matratze gebe.
Welcher Anspruch auf Leistungen besteht?
Der Leistungsanspruch bestünde rechtlich auf “Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen, oder eine Behinderung auszugleichen.”
Die Matratze sei hier als Hilfsmittel zu bewerten, mit dem der Erfolg der Krankenbehandlung gesichert werden sollte. Die Ein- und Durchschlafstörungen seien behandlungsbedürftige Erkrankungen mit eigenem Krankheitswert.
“Es geht um Krankheitsbehandlung”
Laut der in der Produktbeschreibung beschriebenen Wirkungsweise ginge es eben nicht um den Ausgleich einer ausgefallenen Körperfunktion, sondern um eine veränderte Körperwahrnehmung und Muskelspannung, die Schlafbeschwerden mindern sollte. Es handle sich also bei der Matratze um eine Therapieform.
Eine Therapieform ist kein Ausgleich einer Behinderung
Dies schließe aus, dass die Matratze als Hilfsmittel diene, um einer Behinderung vorzubeugen, oder um eine Behinderung auszugleichen. Zudem sei die Matratze aufgrund ihrer Besonderheiten kein Gegenstand des täglichen Lebens.
Um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern fehle wiederum die erforderliche Methodenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss.
Es fehlt die fachliche Prüfung
Auch wenn die Matratze als Hilfsmittel zum Ausgleich der Behinderung angesehen würde, wie vom Sozialgericht in der ersten Instanz, würden ebenfalls die Feststellungen des Gemeinsamen Bundesausschuss fehlen – zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse.
Fazit
Der Dreh- und Angelpunkt, warum die Betroffene nicht mit dieser besonderen Matratze versorgt wurde, ist die unzureichende Prüfung. Sowohl als Krankheitsbehandlung wie auch als Behinderungsausgleich wäre es vermutlich möglich gewesen, mit der Matratze versorgt zu werden.
Doch dies scheiterte in beiden Fällen daran, dass es erstens keine hinreichenden wissenschaftliche Studien zum Nutzen gibt, und dass zweitens keine Methodenbewertung der maßgeblichen Instanz vorliegt.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.