Ein Gedankenexperiment: Könnte man als Bürgergeld-Bezieher bei einem Jobcenter-Termin einfach stumm bleiben – quasi erscheinen, den Ausweis vorzeigen, aber jegliche Kommunikation verweigern – und damit das Gespräch in wenigen Minuten beenden?
Hinter der Frage steht die Annahme, Schweigen müsse genügen, um der gesetzlichen Meldepflicht Genüge zu tun, alles Weitere sei „Nötigung“. Eine solche „Nichtsagen-Technik“ wirkt auf den ersten Blick verlockend, zumal sie vermeintlich Zeit spart und unangenehme Diskussionen vermeidet. Doch juristisch und praktisch ist die Idee heikler, als viele glauben.
Die Meldepflicht: Erscheinen allein reicht selten
Sowohl im Rechtskreis des Bürgergelds (SGB II) als auch beim Arbeitslosengeld I (SGB III) gibt es eine ausdrückliche allgemeine Meldepflicht. In § 59 SGB II wird dafür direkt auf § 309 SGB III verwiesen.
Dort heißt es, Leistungsberechtigte müssen persönlich vorsprechen, wenn die Behörde sie dazu auffordert, etwa zur Berufsberatung, Vermittlung oder Leistungsprüfung.
Entscheidend ist jedoch der Zweck der Meldung: Die Behörde soll arbeitsmarktpolitische oder leistungsrechtliche Fragen klären können. Wer zwar physisch erscheint, aber jedes Gespräch blockiert, vereitelt diesen Zweck – und riskiert, dass sein bloßes „Dasein“ von Gerichten als Nichterscheinen qualifiziert wird.
Schweigen vor Gericht: Präzedenzfälle sprechen eine klare Sprache
Das Sozialgericht Konstanz hat 2013 entschieden, dass ein Leistungsbezieher, der zwar in der Tür steht, jede Kommunikation ablehnt und wieder geht, seine Meldepflicht nicht erfüllt. Eine 10-Prozent-Sanktion wurde bestätigt.
Gleichlautende Beschlüsse gibt es vom Bayerischen Landessozialgericht. Die Richter argumentieren, dass „kurzzeitige physische Präsenz ohne jegliche Mitwirkung“ das Gesprächsziel vereitelt und damit wie ein unentschuldigtes Fernbleiben zu werten ist.
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Melde- und Mitwirkungspflichten: Zwei Ebenen, ein Risiko
Neben der reinen Meldepflicht greift die allgemeine Mitwirkungspflicht des Sozialrechts (§§ 60 ff. SGB I). Werden für die Leistungsgewährung erforderliche Auskünfte verweigert, kann die Behörde Leistungen ganz oder teilweise versagen (§ 66 SGB I) – eine Maßnahme, die deutlich drastischer ausfällt als die prozentualen Kürzungen bei klassischen Bürgergeld-Sanktionen.
Schweigen kann also nicht nur als Meldeversäumnis, sondern auch als fehlende Mitwirkung ausgelegt werden.
Sanktionspraxis seit der Bürgergeld-Reform
Das Bürgergeld kennt seit Juli 2023 ein abgestuftes Sanktionssystem: Zehn Prozent Kürzung bei einem Meldeversäumnis, gestaffelt 10 / 20 / 30 Prozent bei Pflichtverletzungen wie Maßnahme- oder Arbeitsverweigerung.
Erst bei „beharrlicher Arbeitsverweigerung“ sind für maximal zwei Monate vollständige Streichungen des Regelbedarfs möglich; Miete und Krankenversicherung bleiben unangetastet.
Parallel existiert aber ein „härteres Schwert“: Versagungs- oder Entziehungsbescheide nach § 66 SGB I, wenn Betroffene die Mitwirkung rundweg verweigern. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat 2025 bestätigt, dass bei völliger Verweigerung notwendiger Unterlagen sogar eine unbefristete Totalversagung zulässig sein kann – eine erhebliche Drohkulisse für sogenannte „Totalverweigerer“.
Recht auf Beistand statt Mauer des Schweigens
Wer Befürchtungen vor Konfrontation hat, muss nicht verstummen. § 13 SGB X erlaubt jederzeit, einen Beistand zum Gespräch mitzunehmen – das kann eine Vertrauensperson, ein Anwalt oder eine Helferin aus einer Erwerbslosen-Initiative sein.
Ein Beistand schafft Transparenz, beugt Eskalationen vor und kann das Protokoll führen. Er ist damit die rechtssichere Alternative zur Verweigerungshaltung.
In der Praxis führt nämlich hartnäckiges Schweigen häufig zu erhöhter Eskalationsbereitschaft beim Fallmanagement: engmaschigere Einladungen, eine „Zuweisungsflut“ zu Maßnahmen und detaillierte Nachweisforderungen. Juristisch droht zunächst die 10-Prozent-Sanktion wegen Meldeversäumnisses.
Spätestens wenn Nachweise oder Mitwirkung verweigert werden, steht ein Versagungs- oder Entziehungsbescheid im Raum. Die Belastung verlagert sich dann aus dem Gesprächsraum in langwierige Widerspruchs- und Klageverfahren – mit der Gefahr finanzieller Engpässe in der Zwischenzeit.
Fazit: Distanz und Dokumentation statt lautloser Boykott
Das Recht verlangt Präsenz und angemessene Mitwirkung. Wer bewusst schweigt, läuft Gefahr, dass sein Termin als nicht wahrgenommen oder als Pflichtverletzung gewertet wird – mit Sanktionen oder sogar Leistungsversagung als Folge.
Ein souveräner Umgang mit dem Jobcenter heißt nicht, jedes Wort preiszugeben, sondern die eigenen Interessen sachlich zu vertreten, gegebenenfalls mit Unterstützung. Die „Nichtsagen-Technik“ mag eine rebellische Pointe sein; als Strategie zur Sicherung des Lebensunterhalts taugt sie kaum.