Bürgergeld-Verweigerung und Vertreibung durch das Jobcenter Hannover

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Die Stadt Hannover gesteht ein, dass in Behörden, hier insbesondere das Jobcenter der Stadt Hannover Roma und Sinti systematisch und über Jahre hinweg gezielt aus der Stadt getrieben wurden. Die Stadt bestätigte, dass es „antiziganistische Handlungsmuster innerhalb der Verwaltung“ gebe. Aufgedeckt wurde dieses Treiben durch ein Forschungsprojekt.

Institutioneller Antiziganismus

Grundlage dieser Erkenntnis ist ein Forschungsbericht für die Unabhängige Kommission Antiziganismus von Tobias Neuburger und Christian Hinrichs „Mechanismen des institutionellen Antiziganismus: Kommunale Praktiken und EU-Binnenmigration am Beispiel einer westdeutschen Großstadt.“. Obwohl nicht namentlich genannt, ist klar, dass es sich bei der „westdeutschen Großstadt“ um Hannover handelt.

Einfach ganz weit weg geschoben

Dem Forschungsbericht zufolge wurden Roma gezielt (und nicht aus Platzmangel) in menschenunwürdigen Unterkünften untergebracht. Sie wurden immer wieder ohne sachlichen Grund umquartiert und an „den Arsch der Welt“ geschoben.

Betroffenen sei per Vorurteil „bandenmäßiger Missbrauch von Sozialleistungen“ unterstellt worden. Selbst Wohnadressen hätten als Verdacht für kriminelle Bandenbildung gedient, Behörden hätten untereinander Daten zur Überwachung weitergegeben, und das Kindeswohl sei durch menschenunwürdige Unterbringung gefährdet gewesen.

Schikanen beim Jobcenter

Beim Jobcenter sei Betroffenen das Recht auf zustehende Dolmetscher / innen verweigert worden. Anträge auf das Bürgergeld seien bei der Behörde „verschwunden“.

Der Studie zufolge war der Grund für dieses Fehlverhalten durch Mitarbeiter/innen des Jobcenters nicht Fahrlässigkeit oder Überforderung. Es handelte sich vielmehr um gezielte Schikanen, die den Betroffenen den Aufenthalt in Hannover so unbequem wie nur möglich machen sollten. Die Autoren der Studie zitieren dafür den Begriff „Unbequemlichkeitskultur“.

Behörden sehen Roma als „abzuwehrende Gefahr“
Dieser Begriff „Unbequemlichkeitskultur“ stammt nicht von den Wissenschaftlern, die die Studie durchführten, sondern wurde wortwörtlich von einer interviewten Amtsleiterin benutzt, um die eigene Praxis in ihrer Behörde zu beschreiben.

In der Studie steht:

„Da diese ethnisierten Migrant_innen innerhalb der städtischen Behörden als abzuwehrende Gefahr für das kommunale Gemeinwesen betrachtet werden, so führt die Amtsleiterin unmittelbar an diese Interviewpassage anknüpfend aus, werden die Integrations- und Sprachförderungsangebote nicht ihren Bedürfnissen angepasst. Die innerhalb der städtischen Verwaltung vorherrschende und handlungsleitende Behördenkultur bezeichnet sie vielsagend als „Unbequemlichkeitskultur.“

Vertreibungspolitik in antiziganistischer Tradition

Neuburger und Hinrichs schließen: Mit der Etablierung einer exkludierenden kommunalen ‚Unbequemlichkeitskultur‘ verknüpft die städtische Verwaltung offenbar das Handlungsziel, die Verhältnisse vor Ort so unattraktiv zu gestalten, dass die als ‚Roma‘ gelabelten Unionsbürger_innen „irgendwann wieder gehen“ und die Kommune verlassen.

Die mit der kommunalen ‚Unbequemlichkeitskultur‘ verbundenen institutionellen Praktiken des Unterlassungshandelns erweisen sich somit als subtile Artikulation einer Abwehr-/Vertreibungspolitik, die in der antiziganistischen Tradition moderner ‚Zigeunerpolitik‘ steht.“

Bürgergeld-Leistungsbezug wurde effektiv eingschränkt

Der Studie zufolge wurden Sachbearbeiter/innen eine Reihe von Praktiken und Techniken der „Betreuung“ nahegelegt, um den Leistungsbezug der betroffenen Roma und Sinit effektiv einzuschränken.

Die besonderen Kontrollpraktiken (darunter eine verschärfte Variante der Residenzpflicht für rumänische und bulgarische Leistungsbezieher/innen) hätten sich weit abgehoben von der generellen Verpflichtung Arbeitssuchender, ihre Abwesenheit vom Wohnort dem Jobcenter mitzuteilen.

Ausgrenzung und Antiziganismus

Ein Ergebnis der Studie lautet: „Handlungsanleitende Wirklichkeitsinterpretation der Arbeits- und Sozialbehörden ist die antiziganistisch konnotierte Verdachtskonstruktion des ‚bandenmäßigen Sozialleistungsmissbrauchs‘.

Diese behördliche Wirklichkeitsinterpretation richtet sich mit institutionellen Machtpraktiken wie Abwehr, Verdrängung, Unterlassung und Eindämmung gegen als ‚Roma‘ gelabelte Unionsbürger_innen. (…) Bereits prekarisierte EU-Arbeitsmigrant_innen werden auf Basis antiziganistischer Deutungsmuster erneut zum Gegenstand repressiver Macht- und Ausschlusspraktiken gemacht.“

Stadtverwaltung verspricht, das Problem anzugehen

Die Stadtverwaltung und der Bürgermeister Hannovers, Belit Onay, versprechen, sich der Verantwortung für institutionellen Rassismus und Antiziganismus zu stellen. Jahrhundertealte Ausgrenzung und Verfolgung von Sinti und Roma seien großen Teilen der Gesellschaft nicht bewusst. Die Stadtverwaltung widme sich dem, verstünde es aber zugleich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe.