Bürgergeld und Sozialhilfe: Keine pauschale Überprüfung aller Bescheide

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Sozialamt muss keine pauschale Überprüfung aller Sozialhilfe – Bescheide für 2020-2023 vornehmen
Ein Bezieher von Sozialleistungen begehrt mittels eines Überprüfungsantrags nach § 116a SGB XII i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X die Überprüfung sämtlicher Bescheide seiner Behörde, weil sie alle rechtswidrig sein.

Die Behörden müssen aber egal ob Jobcenter oder Sozialamt keine Massenüberprüfung von erlassenen Bescheiden vornehmen (§ 116a SGB XII i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sowie § 40 SGB 2)

Bei Überprüfungsanträgen gilt für das Bürgergeld sowie für die Sozialhilfe die Ein- Jahresfrist.

Es besteht keine Pflicht des Sozialamtes zur inhaltlichen Prüfung von Bescheiden für die Jahre 2020 bis 2023 bei Nicht- Konkretisierung des Antrags im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ( – B 4 AS 22/13 R – ).

Beantragt ein Leistungsberechtigter die Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Verwaltungsakte auf seine Rechtmäßigkeit, muss der Sozialleistungsträger zumindest in die Lage versetzt werden, bestimmen zu können, warum der zur Überprüfung gestellte Verwaltungsakt rechtswidrig ist (Anschluss an Bundessozialgericht, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R; Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 39/13 R – sowie Beschluss vom 14. März 2012 – B 4 AS 239/11 B -).

In eine solche Lage wird der Sozialleistungsträger regelmäßig nicht versetzt, wenn ein Leistungsberechtigter die Überprüfung sämtlicher Bewilligungsbescheide von 2020-2023 als rechtswidrig – aufzuheben – und damit die vollständige Nachprüfung des Verwaltungshandelns in dem genannten Zeitraum begehrt.

Damit hatte er nicht mehr die Überprüfung einzelner Verfügungssätze oder jedenfalls einer ohne Weiteres bestimmbaren Zahl von Verfügungssätzen von Verwaltungsakten zur Überprüfung des Sozialamtes gestellt.

Insoweit fehlte es während des gesamten Verfahrens an einer Konkretisierung des an den Sozialamtes gerichteten Prüfauftrages „im Einzelfall“.

Der weder bei der Antragstellung noch nachfolgend hinreichend konkretisierte Überprüfungsantrag löste daher keine Prüfpflicht des Sozialhilfeträgers aus und hätte von diesem ohne weitere Sachprüfung abgelehnt werden können.

Dies gibt aktuell das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 19.03.2025 – L 2 SO 2555/24 – bekannt.

Begründung

Nach § 116a SGB XII i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Allerdings bestimmt § 116a Nr. 2 SGB XII, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach § 44 Abs. 4 Satz 1 X ein Zeitraum von einem Jahr tritt.

Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus.

Der Antrag bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist.

Aufgrund oder aus Anlass des Antrags muss sich der Verwaltung im Einzelfall objektiv erschließen, aus welchem Grund – Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage – nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll.

Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein, d.h. entweder aus dem Antrag selbst – ggf. nach Auslegung – oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden.

Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen.

Diese Begrenzung des Prüfauftrags der Verwaltung wird nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) durch den Wortlaut, die Gesetzesbegründung sowie den Sinn und Zweck des § 44 SGB X gestützt.

Nach dem Wortlaut von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X soll „im Einzelfall“ eine Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes – sei es ein rechtswidriger belastender Verwaltungsakt, mit dem Leistungen ganz oder teilweise abgelehnt worden sind, sei es ein Rückforderungsbescheid – erfolgen.

Der Sozialleistungsträger muss zumindest in die Lage versetzt werden, bestimmen zu können, welcher konkrete Verwaltungsakt zur Überprüfung gestellt und warum er zur Überprüfung gestellt wird (BSG, Urteil vom 28.10.2014 – B 14 AS 39/13 R – sowie Beschluss vom 14.03.2012 – B 4 AS 239/11 B -, Rn. 6).

Hieraus hat das BSG geschlossen, dass dann, wenn nicht ein einzelner oder mehrere konkrete, ihrer Zahl nach bestimmbare Verfügungssätze von Verwaltungsakten, sondern das Verwaltungshandeln – ohne jede Differenzierung – insgesamt zur Überprüfung durch die Verwaltung gestellt wird, keine Prüfung im Einzelfall begehrt wird.

Trotz des Vorliegens eines „Antrags” löst ein solches Begehren bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift noch keine inhaltliche Prüfpflicht des Sozialleistungsträgers aus.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob ein hinreichend konkretisierter Überprüfungsantrag vorliegt, ist – obwohl es sich um eine Verpflichtungskonstellation handelt – der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung über den Überprüfungsantrag (BSG, Urteil vom 28.10.2014 – B 14 AS 39/13 R – ).

Hiernach lag bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens kein hinreichend konkretisierter Überprüfungsantrag vor. Der Kläger hatte beantragt, „die Leistungs-Bescheide… für die Jahre 2020, 2021, 2022 und 2023 als rechtswidrig aufzuheben“ und damit die vollständige Nachprüfung des Verwaltungshandelns in dem genannten Zeitraum begehrt.

Damit hatte er nicht mehr die Überprüfung einzelner Verfügungssätze oder jedenfalls einer ohne Weiteres bestimmbaren Zahl von Verfügungssätzen von Verwaltungsakten zur Überprüfung des Beklagten gestellt.

Fazit

Insoweit fehlte es während des gesamten Verfahrens an einer Konkretisierung des an die Behörde gerichteten Prüfauftrages „im Einzelfall“.

Der weder bei der Antragstellung noch nachfolgend hinreichend konkretisierte Überprüfungsantrag löste daher keine Prüfpflicht des Behörde aus und hätte von diesem ohne weitere Sachprüfung abgelehnt werden können.

Bei Überprüfungsanträgen gilt für das Bürgergeld sowie für die Sozialhilfe die Ein- Jahresfrist.

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