Die Frage, ob ein steuerlicher Verlustvortrag bei der Einkommensermittlung für die Witwenrente berücksichtigt werden darf, hat immer wieder für Unsicherheit gesorgt.
Hinterbliebene, die selbstständig tätig sind oder aus anderen Gründen in ihrer Einkommensteuererklärung negative Einkünfte ausweisen, stellten sich die Frage, ob sich diese Verluste auf die Höhe ihrer Witwenrente auswirken können.
Der Verlustvortrag im Sinne von § 10d Absatz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) führt in der Regel dazu, dass Steuerpflichtige in künftigen Veranlagungszeiträumen ihre steuerpflichtigen Einkünfte mindern können.
Ob diese Minderung allerdings auch bei der Anrechnung des Einkommens auf eine Witwen- oder Witwerrente zählt, war der Ausgangspunkt eines Rechtsstreits, den das Bundessozialgericht (BSG) entscheiden musste.
Was wurde verhandelt?
Das BSG in Kassel ist die höchste Instanz in sozialrechtlichen Fragen und legt bindend aus, wie die einschlägigen Vorschriften des Sozialgesetzbuches auszulegen sind.
In dem konkreten Fall (Az: B 5 R 3/23 R) ging es darum, ob ein negativ ausfallendes Einkommen aufgrund eines Verlustvortrags bei der Berechnung der Witwenrente mit einbezogen werden darf.
Nachdem sich Vorinstanzen bereits dahingehend geäußert hatten, dass ein Verlustvortrag nicht anzuerkennen sei, klärte nun das BSG am die Rechtslage letztinstanzlich.
Die Entscheidung bestätigt den Standpunkt der Deutschen Rentenversicherung, wonach Verlustvorträge nicht zur Verringerung des für die Witwenrente anzurechnenden Einkommens herangezogen werden können.
Wie begründete das Gericht seine Entscheidung?
Das BSG stellte klar, dass die Witwenrente eine Unterhaltsersatzfunktion hat. Sie soll den finanziellen Ausfall kompensieren, der durch den Tod des Ehegatten entsteht. Wenn ein Ehepartner verstirbt, entfällt ein Teil des Haushaltseinkommens, das durch die Witwen- oder Witwerrente zumindest teilweise ersetzt werden soll.
Ein Verlustvortrag hingegen widerspiegelt keinen tatsächlichen Einkommensabfluss im aktuellen Zeitraum, sondern bezieht sich auf Verluste, die in vorangegangenen Jahren entstanden sind und nun steuerlich geltend gemacht werden können.
Diese rein steuerliche Komponente hat nach Auffassung des Gerichts nichts mit der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Hinterbliebenen zum Zeitpunkt der Rentenanrechnung zu tun.
Deshalb ist sie bei der Ermittlung des berücksichtigungsfähigen Einkommens im Rahmen des § 18a Absatz 2a SGB IV außen vor zu lassen.
Was bedeutet das Urteil für die Praxis?
Hinterbliebene, die eigene Einkünfte erzielen und zugleich von einer Hinterbliebenenrente profitieren, können das zu versteuernde Einkommen nicht durch einen steuerlichen Verlustvortrag mindern, wenn es um die Anrechnung auf ihre Rente geht.
Für viele Betroffene ist dies eine Klarstellung, denn in der Vergangenheit war durchaus unklar, ob sich negative Einkünfte aus einer selbstständigen Tätigkeit oder aus Kapitalerträgen auch dann rentenmindernd auswirken, wenn sie aus einem Verlustvortrag resultieren.
Das BSG hat nun bestätigt, dass allein das tatsächliche Einkommen, das in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum zur Verfügung steht, maßgeblich ist. Verluste aus früheren Jahren, die steuerlich vorgetragen werden, wirken sich nicht mindernd auf die Witwen- oder Witwerrente aus.
Welche Konsequenzen haben Hinterbliebene zu erwarten?
Wer in der Vergangenheit gehofft hatte, mithilfe eines Verlustvortrags die Anrechnung des eigenen Einkommens auf die Hinterbliebenenrente zu reduzieren, muss nach diesem Urteil nun damit rechnen, dass diese Verluste von der Rentenversicherung nicht anerkannt werden.
Betroffene sollten ihre Einkommensverhältnisse entsprechend prüfen und sich bei Unsicherheiten fachkundig beraten lassen. Da das BSG in letzter Instanz entscheidet, gibt es auf dieser Ebene keine weitere Rechtsmittelmöglichkeit.
Für laufende Rentenbescheide oder bereits abgeschlossene Fälle bedeutet dies, dass die Rentenversicherung die bisherige Praxis beibehält oder gegebenenfalls anpasst, sollte sie das Urteil als Bestätigung ihrer bisherigen Vorgehensweise ansehen.
Warum ist das Urteil so wichtig?
Die Entscheidung des fünften Senats des BSG hat nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Rentenversicherungsträger erhebliche Bedeutung.
Das höchstrichterliche Urteil schafft Rechtssicherheit bei einem Thema, das in der Praxis häufig auftauchte, wenn Hinterbliebene ihre Einkommensteuer optimierten und dabei auch ältere Verluste berücksichtigten.
Mit der Klarstellung, dass solche steuerlichen Möglichkeiten bei der Hinterbliebenenrente unberücksichtigt bleiben, folgt das BSG dem gesetzgeberischen Zweck: Hinterbliebenenrenten sollen jenen Teil des Einkommens ersetzen, der durch den Tod des Partners entfallen ist, und nicht durch rein steuerliche Effekte erhöht oder verringert werden.