Immer wieder machen Jobcenter so genannte Hausbesuche, wenn sie den Verdacht haben, dass Bürgergeldempfänger keine oder geringere Ansprüche haben. Oft kommen die Außendienstmitarbeiter der Behörde unangemeldet und dringen in die intimste Privatsphäre ein. Wir sprachen mit Dani W., bei der gestern ein Hausbesuch vom Jobcenter stattfand.
Inhaltsverzeichnis
Das Jobcenter hat bei Ihnen einen Hausbesuch abgestattet. Was war der Grund?
Die Mitarbeiter des Jobcenters waren da, weil ich Mitte Mai 2023, also zwei Wochen nach dem Einzug in die Wohnung, einen Antrag auf Erstausstattung gestellt habe. Aufgrund von des Auszugs wegen Spannungen mit Eltern und Großeltern wurde der Umzug genehmigt (sog. Zusicherung zum Umzug).
Wurde der Hausbesuch im Vorfeld angekündigt?
Nein, der wurde nicht angekündigt.
Wie verlief der Hausbesuch?
Gegen Mittag (kurz vor 12) klingelte es. Ich sah über die Gegensprechanlage zwei Menschen – einen Mann und eine Frau. Ich öffnete die Eingangstür. Sie gingen hoch und ich ging in mein Zimmer, weil ich dachte, es wären Kunden für die Firma unten im Haus. Es klopfte und meine Mitbewohnerin öffnete die Tür – anschließend holte sie mich.
Sie standen vor der Wohnungstür im Flur. Die Frau hattet ein Klemmbrett mit Zetteln und Stift in der Hand. Beide zeigten einen Ausweis im Scheckkartenformat. Sie fragten, ob sie herein dürften. Ich war selbstverständlich kooperativ und ließ sie herein.
Anfangs standen sie in der Diele und stellten viele Fragen, unter anderem, ob meine Mitbewohnerin und ich eine WG haben oder ob wir zusammen sind. Was ist mit den Elektrogeräten (Waschmaschine, Kühlschrank, Herd)? – Sie ließen sich Rechnungen zeigen. Meine Mitbewohnerin übernahm die Gesprächsführung, weil ich zu aufgeregt und überrumpelt von der Situation war.
Sie stellten Fragen zur Küche – ob diese vorher schon vorhanden war. Wir zeigten ihnen den Chat mit der Vormieterin und was die Küchenablöse gekostet hatte. Meine Mitbewohnerin erklärte den Mitarbeitern, dass sie das alles vorgestreckt hat.
Anschließend gingen wir ins Wohnzimmer. Es wurden Fragen zum Sofa gestellt. Dieses hatten die Vorbesitzer dagelassen, obwohl es hätte weg sein müssen.
Zum Schluss begutachteten sie mein Zimmer – stellten Fragen zum Kleiderschrank und zu einem Schreibtischstuhl. Den hatte mir in der Zwischenzeit (bis zum Hausbesuch vergingen nach Einzug 6 Monate) meine Großmutter finanziert. Die Frau mit dem Klemmbrett schrieb die ganze Zeit mit und wirkte unfreundlich.
Der Mann war beruhigend und nett. Sie stellten Fragen zu allen Dingen, die in meinem Zimmer standen – Schrank vom Vormieter übernommen, der Rest kam aus Niedersachsen mit.
Was haben sich die Außendienstmitarbeiter in der Wohnung konkret angeschaut?
Elektrogeräte, Wohnzimmer, Küche und mein Zimmer
Wie haben Sie sich dabei gefühlt?
Ich habe mich schlecht gefühlt. Ich war Aufgeregt und am Zittern, weil die Beiden ja in meinen Safe-Space waren. Es war sehr unangenehm, besonders wie die Frau sich umgeguckt hat.
Man fühlt sich wie ein Schwerverbrecher, der sich zu rechtfertigen hat und wenn er nicht „liefert“, dann muss man Angst haben. Es fühlt sich ebenfalls so an, als würde man sich nackt ausziehen… Was ein wichtiger Punkt ist: da es ein unangekündigter Besuch war, konnte ich mich mental nicht darauf vorbereiten oder noch ein bisschen Ordnung machen. Ich war gerade dabei, die Küche aufzuräumen. Ich habe mich geschämt.
Lesen Sie auch:
Hausbesuch vom Jobcenter – Wie können sich Bürgergeld-Bezieher wehren?
Waren Zeugen anwesend?
Ja, meine Mitbewohnerin war zufällig im Homeoffice.
Wie wäre die Lage, wenn die Mitbewohnerin das Geld nicht hätte vorstrecken können?
Ich habe auf den Bescheid für das Bürgergeld ebenfalls knapp 3 Monate gewartet, d. h. es war sowieso schon existenzbedrohend. Es gäbe bis heute entweder weder Waschmaschine (Handwäsche in der Badewanne), noch Kühlschrank (in dem man Lebensmittel haltbar lagern kann – gerade in einer Dachgeschosswohnung überlebenswichtig) oder einen Herd – sollte man sich etwa Essen bei McDonalds oder Liferando bestellen?
Ach stimmt, geht ja nicht. Eine Finanzierung via Darlehen vom Jobcenter wäre vielleicht möglich gewesen, aber wenn ich mir ansehe, wie lange alleine der Antrag auf BG gedauert hat, wäre ich wahrscheinlich über Monate hinweg ohne grundlegende Dinge dagestanden
Wie fühlt man sich dabei?
Man fühlt sich komplett ausgeliefert und im Stich gelassen – das ist eine Form von struktureller Gewalt, denn man hat eben nicht die Macht, Dinge zu beschleunigen, egal wie oft man schreibt, anruft oder vorbeigeht.
Man wird auch gar nicht darüber aufgeklärt, was man machen könnte. Es fühlt sich an, als wäre man lästiges Beiwerk der Gesellschaft – eins, was halt da ist. Ich hatte in den 3 Monaten bevor der Bewilligungsbescheid wahnsinnige Existenzängste und es hat mir sehr viel Druck gemacht. Vor allem habe ich mir oft die Fragen gestellt: „liegt’s an mir?“, „hätte ich noch mehr tun können?“ oder „hätte ich etwas besser machen können?“
Welche Rechtfertigungen sind Ihnen durch den Kopf geschossen?
Wie erkläre ich, warum ich schon einen Schreibtischstuhl habe? Was sage ich? Was sage ich, wenn sie fragen, warum ich eine Scheibengardine an meinem Fenster habe? Was antworte ich, wenn sie Fragen, warum der Kühlschrank so durcheinander ist? (Da haben sie nicht hineingeschaut, auch nicht in die Schränke)
Wie rechtfertigt man das Erbsenzählen bei Bürgergeldempfängern gegenüber Steuerhinterziehung im großen Stil oder Steuergeschenken an Superreiche?
Es ist einfach ein riesen Problem, dass immer nach unten getreten wird. Ich persönlich finde es ziemlich schwierig, dass man beispielsweise bei Menschen die Bürgergeld-Leistungen kürzt, die Geldgeschenke erhalten haben, weil sie nichts mehr zu essen haben. Ich halte es für unklug, alle unter Generalverdacht zu stellen. Der überwiegende Teil der Bürgergeldbeziehenden ist ehrlich.
Danke für das Interview
- Über den Autor
- Letzte Beiträge des Autors