Die Regelsätze des Bürgergeldes vor dem Bundesverfassungsgericht: Warum es um mehr als nur Zahlen geht. Seit Jahren wird das Bürgergeld und die Regelsätze immer wieder diskutiert. Nun soll die Frage der Angemessenheit dieser Regelleistungen im SGB II vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden. Doch warum ist diese Klage so wichtig und was steht auf dem Spiel? Dr. Utz Anhalt interviewte für Gegen-Hartz.de Thomas Wasilewski, einen der Kläger gegen die zu niedrig angesetzten Regelsätze.
Inhaltsverzeichnis
Warum sind die Regelsätze des Bürgergeldes umstritten?
Die Kritik an den Regelsätzen des Bürgergeldes (und davor Hartz IV) ist nicht neu. Seit Jahren bemängeln Betroffene, Erwerbsloseninitiativen, Sozialrechtsexperten und Sozialverbände, dass die Höhe dieser Leistungen nicht ausreiche, um ein menschenwürdiges Leben zu führen.
Thomas Wasilewski, einer der Kläger, schildert die alltäglichen Herausforderungen, die mit einem Leben am Existenzminimum verbunden sind. Er beschreibt, wie die Inflation der letzten Jahre die Situation weiter verschärft hat, und spricht von einem „unerträglichen Leben“, in dem nicht einmal Geld für grundlegende Bedürfnisse wie Lebensmittel oder Bustickets ausreiche.
Diese Berichte verdeutlichen eine Kernproblematik: Die Berechnung der Regelsätze orientiert sich nicht an den tatsächlichen Lebenshaltungskosten, sondern an politisch motivierten Sparzielen.
Das Interview in ganzer Länge
Wer ist Thomas Wasilewski, und warum engagiert er sich?
Thomas Wasilewski, 61 Jahre alt und erwerbsunfähig, ist eine zentrale Figur in dieser Klage. Er engagiert sich seit Jahren in sozialen Projekten, beispielsweise bei der Tafel in Mönchengladbach, wo er als ehrenamtlicher LKW-Fahrer arbeitet und Lebensmittel an Bedürftige verteilt.
Seine Erfahrungen mit Armut und sozialer Ausgrenzung haben ihn dazu veranlasst, sich für die Rechte von Menschen am Existenzminimum einzusetzen. Dabei sieht er sich selbst nicht als Sozialaktivist, sondern als „ein Mensch, der seiner Pflichten in einer Demokratie bewusst ist“.
Sein Engagement ist geprägt von tiefem Frust über den politischen Umgang mit sozial Schwachen.
Insbesondere kritisiert er die Ignoranz und Abweisung, die er bei Gesprächen mit Abgeordneten und politischen Gremien erlebt hat. Überall wurde Thomas Wasilewski abgewiesen. Einzig die Partei “Die Linke” haben ihm Gehör geschenkt und einen Kontakt zum SoVD vermittelt.
Diese Erfahrungen haben ihn dazu bewegt, den Rechtsweg zu beschreiten – gemeinsam mit Sozialverbänden wie dem VdK und dem SoVD.
Welche rechtlichen Fragen werden vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt?
Die Klage dreht sich um die zentrale Frage, ob die aktuellen Regelsätze des Bürgergeldes ausreichen, um das sozioökonomische Existenzminimum zu gewährleisten.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in früheren Urteilen betont, dass das Existenzminimum durch das Grundgesetz geschützt ist. Dazu gehören nicht nur die Sicherung von Nahrung und Obdach, sondern auch die gesellschaftliche Teilhabe.
Die Kläger argumentieren, dass die Regelsätze weder ausreichend berechnet noch rechtzeitig an die Inflation angepasst wurden. Zudem stellen sie infrage, ob die Berechnungsmethodik mit dem verfassungsmäßigen Schutz der Menschenwürde vereinbar ist.
Was ist das sozioökonomische Existenzminimum, und warum ist es wichtig?
Das sozioökonomische Existenzminimum umfasst nicht nur die Grundversorgung mit Lebensmitteln, Kleidung und Wohnraum, sondern auch die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe.
Dazu gehören beispielsweise der Zugang zu Bildung, kulturellen Angeboten und sozialem Leben. Laut Wasilewski spiegelt die aktuelle Situation jedoch eine Realität wider, in der viele Menschen von diesen Möglichkeiten ausgeschlossen sind. Er berichtet von Rentnern, Alleinerziehenden und Migranten, die sich an Suppenküchen wenden müssen, weil sie sich keine warme Mahlzeit leisten können.
Das Grundgesetz garantiert aber die Unantastbarkeit der Menschenwürde – ein Prinzip, das für viele in der Praxis nicht erfüllt wird. Sie sehen in den aktuellen Regelsätzen eine Verletzung dieses verfassungsmäßigen Rechts.
Was hätte die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht für Folgen?
Sollte das Bundesverfassungsgericht die Klage der Kläger unterstützen, könnte dies weitreichende Konsequenzen haben. Eine Entscheidung zugunsten der Kläger würde die Bundesregierung dazu verpflichten, die Regelsätze anzupassen. Dies hätte nicht nur finanzielle Auswirkungen, sondern könnte auch die gesellschaftliche Wahrnehmung von Armut und sozialer Gerechtigkeit beeinflussen.
Allerdings zeigt sich auch, wie tief die gesellschaftlichen Gräben in dieser Debatte sind. Während Betroffene und Sozialverbände auf Solidarität hoffen, gibt es in der breiten Öffentlichkeit oft Vorurteile gegenüber Leistungsbeziehern. Wasilewski berichtet von Vorwürfen und Ressentiments, die er als Bürgergeldempfänger erlebt, und kritisiert die Darstellung von Hilfebedürftigen in den Medien.
Es herrscht ein Klima des Nachuntern Tretens. Von oben, in die Mitte und dann weiter nach unten. Die, die ganz unten sind, haben keine Lobby, weil sie kein Geld haben. Deshalb ist es so leicht, diejenigen zu verurteilen, die kaum gehört werden.
Wie kann jeder Einzelne helfen?
Für Thomas Wasilewski ist klar: Der Kampf um soziale Gerechtigkeit kann nur gewonnen werden, wenn mehr Menschen hinschauen und sich engagieren. Er appelliert an die Menschen, nicht wegzusehen, sondern aktiv gegen soziale Missstände einzutreten. Auch die anstehende Verhandlung vor dem Sozialgericht Düsseldorf könnten ein Zeichen der Solidarität setzen, wenn kommenden Montag möglichst viele Menschen vorbei kommen würden.
Darüber hinaus fordert er, dass politische Entscheidungen und öffentliche Diskussionen respektvoller und sachlicher geführt werden. Die Polarisierung, die er in den Medien und in politischen Debatten wahrnimmt, sieht er als eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.
Ob die Klage tatsächlich bis zum Bundesverfassungsgericht gelangt, ist noch ungewiss. Thomas Wasilewski will aber nicht aufgeben. Er bleibt dran. Vor allem für die vielen Menschen, die jeden Tag aufs neue um ihr Überleben mit den kargen Regelsätzen kämpfen müssen.
Das gesamte Interview kann man sich auf YouTube anschauen.
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