Bundesweit schränken Jobcenter ihre Erreichbarkeit über normale E-Mails ein. Aus “datenschutzrechtlichen Gründen” sollen die Behörden nur noch über den Postfachservice jobcenter.digital.de zu erreichen sein.
Entspricht diese Praxis überhaupt gültigem Recht? Welche Probleme bringt der Postfachservice mit sich? Geht es tatsächlich um Datenschutz? Oder geht es um Standardisieren und Kontrollieren zum Vorteil der Behörde, allerdings nicht im Sinn der Leistungsberechtigten?
Inhaltsverzeichnis
Wie begründen Jobcenter die Einschränkung der Erreichbarkeit per E-Mail?
Auf Websites der Behörden findet sich inzwischen regelmäßig der Hinweis, dass der Versand von Daten mit “normalen” E-Mails riskant sei, da Nachrichten verändert oder verfälscht werden könnten. E-Mails seien nicht gegen den Zugriff Dritter geschützt, und die Vertraulichkeit womöglich nicht gewährt.
Dazu finden sich Formulierungen wie “Das Jobcenter (…) informiert, dass Anträge und Veränderungsmeldungen zum Leistungsbezug SGB II (Bürgergeld) und anderen Förderleistungen sowie damit verbundene Dokumente (…) nicht mehr per E-Mail entgegengenommen werden.
Jobcenter loben jobcenter.digital
Stattdessen preisen die Behörden ihr eigenes System www.jobcenter.digital an. Damit könnten Unterlagen jederzeit sicher an die Jobcenter vermittelt werden.
Was ist die Voraussetzung, diesen Service zu nutzen?
Um jobcenter.digital nutzen zu können, müssen Leistungsberechtigte ein passwortgeschütztes Benutzerkonto anlegen. Falls die Betroffenen noch keine Zugangsdaten bei der Jobbörse oder den eServices der Bundesagentur für Arbeit haben, können sie sich auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit registrieren.
Das Online-Postfach
Zudem gibt es ein Online-Postfach, das, laut den Jobcentern, “der E-Mail entsprechen soll”. Dort können die Betroffenen Nachrichten über einen verschlüsselten Zugangskanal senden und empfangen, als PDF speichern und abheften.
“Vereinfachung digitaler Dienste” oder Rechtsbeugung?
Deutlich drängen die Jobcenter Leistungsberechtigte also dazu, digital nur noch den jobcenter.digital Postfachservice zu nutzen – statt E-Mails zu schreiben. Was die Jobcenter nicht erwähnen, und was rechtlich äußerst bedenklich ist: Die Behörden dürfen E-Mails nicht ablehnen.
Harald Thomé von der Sozialberatungsstelle “Tacheles e. V.” wies deutlich auf die gültige Rechtslage hin und sieht beim Ablehnen von E-Mails durch Jobcenter eine Rechtsbeugung. Laut Thomé begingen die Behörden damit “eine vorsätzlich falsche Anwendung des Rechts durch Amtsträger zum Nachteil der SGB II – Antragstellenden”.
Im Paragrafen 9 des Sozialgesetzbuches X sowie im Paragraf 37 des Sozialgesetzbuches II steht ausdrücklich, dass Jobcenter ein formloses Verfahren zur Vereinfachung anbieten müssen.
Kontakt per Fax, persönlich, mündlich / telefonisch, schriftlich – und auch per E-Mail muss demnach möglich sein.
Die Rechtslage ist klar
Das Bundessozialgericht hatte festgelegt, dass die Beantragung von Hartz IV Leistungen per E-Mail zulässig sei (Az. B 14 AS 51/18 R).
Die Begründung lässt sich direkt auf die Praxis übertragen, eine Kommunikation per E-Mail unmöglich zu machen, und Leistungsberechtigte in jobcenter.digital zu pressen. Das oberste Sozialgericht erklärte nämlich, dass die Jobcenter verpflichtet seien, dass „jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält“.
Dafür müssten die Behörden „ihre Verwaltungs- und Dienstgebäude frei von Zugangs- und Kommunikationsbarrieren ausführen“.
Ein zusätzlich angelegtes passwortgeschütztes Benutzerkonto ist aber per se eine Zugangs- und Kommunikationsbarriere. Jedenfalls dann, wenn es sich hier um die einzige mögliche Form der digitalen Kommunikation handelt, also Verständigung per E-Mail nicht mehr möglich ist.
Können ja, müssen nein
Thomé zeigte in einem konkreten Fall eines Betroffenen aus Hagen zwar Verständnis dafür, dass Jobcenter möchten, dass viele Leistungsbezieher das Portal “jobcenter.digital” nutzen. Dies dürfe aber nicht dazu führen, eingehende E-Mails abzulehnen.
Thomé schloss aus dem Fall in Hagen, wo das Jobcenter dem Betroffenen die Kommunikation per Mail verweigerte: “Es erscheint, als müsse hier die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesarbeitsministerium mal eine Fachaufsicht durchführen. Bürokratieabbau und bürgerfreundliche Verwaltung geht anders.”
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.