Bürgergeld: Für seelische Leiden hat das Jobcenter kein Verständnis

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Bürgergeld-Beziehern wird häufig unterstellt, nicht arbeiten zu wollen, und dabei sind die tatsächlichen Probleme der Hilfebedürftigen ein Tabuthema.

Stellen Sie sich vor, Sie sind in ein schwarzes Loch gefallen, nachdem ihr Lebenspartner gestorben ist. Sie fühlen sich allein und suchen die Nähe zu ihren Kindern, um Schmerz und Trauer besser zu ertragen.

Das ist Ihnen aber nicht möglich – wegen bürokratischer Warteschleifen. Woche für Woche, erst einen, dann einen zweiten, und dann einen dritten Monat, sitzen Sie isoliert mit ihren Angstzuständen. Sie bekommen keine Reaktion von der Behörde, ob Sie zu ihrem Sohn ziehen können.

Genau dies ist einer Frau geschehen, die auf Bürgergeld angewiesen ist und sich an die Initiative Sanktionsfrei e.V. um Hilfe wandte.

Viele Leistungsberechtigte haben Depressionen

Helena Steinhaus von der Initiative Sanktionsfrei e.V. erläuterte im Interview mit der Taz: “Ganz viele Menschen, die Bürgergeld beziehen, sind schlicht krank, haben zum Beispiel Depressionen. (…) Sie brauchen Unterstützung und fühlen sich nicht in der Lage, sich ihrem Alltag zu stellen.”

Die Jobcenter versagen hier gerade oft bei Menschen, die den Sozialstaat am dringendsten brauchen. Mitarbeiter beim Jobcenter sind psychologische Laien, und Fehleinschätzungen stehen gegenüber psychisch Erkrankten und Suchtkranken oftmals an der Tagesordnung.

Ängste und Depressionen

Jetzt veröffentlichte Steinhaus diesen Fall, der sprachlos macht. Eine 62 Jahre alte Frau bezieht Bürgergeld. Ihr Mann verstarb vor kurzen, sie leidet unter Depressionen, und Angstzustände sind ärztlich attestiert.

Um nicht allein zu sein, möchte sie zu ihrem Sohn nach Sachsen ziehen und hat bereits einen Wohnung in dessen Nähe gefunden.

Die Bearbeitung des Antrags dauert bereits Monate

Doch den Antrag auf Umzug hat das Jobcenter seit Juli nicht bearbeitet. Ohne diese Zustimmung darf sie nicht umziehen, und die Behörde würde dann die Kosten der Unterkunft nicht übernehmen.

Bei Angststörungen ist das eine existentielle Belastung

Die Leidende ist mit ihren Angstzuständen auf sich gestellt. Ihren Sohn in der Nähe zu haben, ist ihre Hoffnung, besser mit ihren psychischen Problemen umgehen zu können.

Aus psychotherapeutischer Sicht bedeutet es, Öl ins Feuer zu gießen, wenn die Betroffene nicht umziehen kann, weil das Jobcenter ihren Antrag nicht bearbeitet.

Gestrichene Mittel und überlastete Mitarbeiter

Sanktionsfrei e.V. hat einen Anwalt eingeschaltet, um der Betroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen. Steinhaus vermutet nicht einmal eine böse Absicht. Vielmehr würden den Jobcentern die Mittel gestrichen, und die Mitarbeiter seien immer mehr überlastet.

Existentielle Bedrohungen würden für “die vom Jobcenter abhängigen Menschen immer häufiger. Ein Teufelskreis.”

Erkrankungen werden nicht ernst genommen

Solches Grundwissen fehlt allerdings in Jobcentern. Eine Betroffene schreibt als Kommentar zu Helena Steinhaus Texte: “Angsterkrankungen werden von Jobcentern nicht ernst genommen und sind hier in Deutschland noch zu wenig bekannt. Ich musste so viel kämpfen deshalb. Hinter meinem Rücken hat das JC dem Gesundheitsamt erklärt, man glaube mir nicht.”

Arbeitsvermittlung hat Vorrang

Es geht allerdings bei Ignoranz in Jobcentern gegenüber psychischen Erkrankungen nicht allein um Fehler einzelner Mitarbeiter, sondern um ein strukturelles Dilemma.

Die Voraussetzung, um Bürgergeld zu beziehen, ist es, als erwerbsfähig zu gelten. Im Unterschied zu Hartz IV sollte beim Bürgergeld die psychosoziale Betreuung verbessert werden.

Doch nach wie vor ist die wichtigste Frage für die Mitarbeiter im Jobcenter auch bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen nicht die Vermittlung in eine Therapie. Es geht vielmehr darum, die Betroffenen in Arbeit zu bringen.

Medizinische Hilfe ist notwendig

Tatsächlich wollen die meisten Menschen im Bürgergeld-Bezug, die unter psychischen Erkrankungen leiden, arbeiten. Oft sehnen sie sich nach einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit als Basis eines strukturierten Lebens.

Dafür brauchen sie aber medizinisch-therapeutische Hilfe, dafür brauchen Sie eine Behörde, die ihre Anträge in psychischen Notlagen zügig bearbeitet, und dafür brauchen sie Fachleute, die die Situation einschätzen können.

Ein Labyrinth an Zuständigkeiten

Eine niedrigschwellige Zusammenarbeit der Jobcenter mit Therapeuten und Kliniken findet nicht ausreichend statt. Therapieplätze fehlen, und Arbeitgeber sind oft skeptisch gegenüber Arbeitssuchenden mit psychischen Erkrankungen.

Letzteres liegt auch daran, dass eine fachlich fundierte Betreuung der Betroffenen beim Übergang vom Bürgergeld in eine sozialversicherte Erwerbstätigkeit kaum stattfindet.

Fallmanagement ist an Berufsperspektive gebunden

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe sieht es als postitiv an, dass es in manchen Jobcentern ein psychoziales Coaching gibt.

Jobcenter bieten ein besonderes Fallmanagement an. Möglich sind dann Beratung und Begleitung durch Fachleute aus Medizin, Psychologie, Pädagogik, oder auch Physio- und Ergotherapie.
Voraussetzung ist, dass die Betroffenen eine Berufsperspektive mitbringen müssen.

Mittel werden gestrichen

2025 werden die Mittel für das Bürgergeld im Haushalt drastisch gekürzt, nämlich um 4,7 Milliarden Euro. Das Geld für die Eingliederung in Arbeit soll von 4,15 Milliarden Euro auf 3,7 Milliarden Euro gedrückt werden.

Dies wird ganz besonders Einrichtungen und Maßnahmen zur psychosozialen Betreuung treffen. Verbunden mit Sanktionen bedeutet das für Bürgergeld-Bezieher mit psychischen Erkrankungen oft einen Alptraum.