Nimmt jemand mit 63 Jahren unmittelbar eine Altersrente für langjährig Versicherte in Anspruch, sinkt die monatliche Bruttorente für jeden vorgezogenen Monat um 0,3 Prozent und damit um insgesamt 14,4 Prozent, wenn der Rentenbeginn vier Jahre vor der persönlichen Regelaltersgrenze liegt.
Eine frühere Rente kostet nicht nur dauerhaft; von der gekürzten Bruttorente gehen zusätzlich rund elf Prozent für Kranken‑ und Pflegeversicherung sowie gegebenenfalls Lohnsteuer ab.
Zum Vergleich: Wer statt dessen Arbeitslosengeld I beantragt, erhält 60 Prozent des letzten Nettolohns – bei mindestens einem kindergeldberechtigten Kind sogar 67 Prozent.
In typischen Rechenbeispielen führt das dazu, dass das ALG I netto häufig um mehrere Hundert Euro höher liegt als die gekürzte Altersrente.
Welche Langfristwirkung haben zwei Jahre ALG I auf die spätere Rente?
Anders als viele glauben, entfallen während des Leistungsbezugs die Rentenbeiträge nicht. Die Bundesagentur für Arbeit überweist weiter Pflichtbeiträge auf Basis von 80 Prozent des früheren Brutto‑Arbeitseinkommens, so dass zusätzliche Entgeltpunkte entstehen.
Gleichzeitig reduziert sich für jeden aufgeschobenen Monat der Abschlag um die gleichen 0,3 Prozent.
Zwei Jahre ALG I heben den späteren Abschlag also um 7,2 Prozent an und steigern die Rentenhöhe zusätzlich um die neu erworbenen Entgeltpunkte. Die Lücke zwischen der gekürzten Sofortrente und der späteren Vollrente kann damit lebenslang mehrere tausend Euro pro Jahr betragen.
Was ist der Preis für „zwei Jahre mehr Freiheit“?
Arbeitslosengeld I wird nur dann bezahlt, wenn die oder der Betroffene dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung steht.
Das bedeutet Meldepflicht, Bewerbungsaktivitäten und die Bereitschaft, zumutbare Stellenangebote oder Weiterbildungsmaßnahmen anzunehmen. Diese Pflichten sind gesetzlich verankert und werden im Merkblatt für Arbeitslose der Bundesagentur detailliert erläutert.
Ein Vermittlungsdruck in eine vorgezogene Rente besteht rechtlich nicht – doch alltägliche Vorgaben des Jobcenters können als belastend empfunden werden, insbesondere wenn die gesundheitliche Verfassung bereits angeschlagen ist.
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Wie beeinflussen Steuern, Kranken‑ und Pflegekasse die Entscheidung?
Bei der Rente tragen Versicherte sowohl den vollen Pflegeversicherungsbeitrag als auch den halben Krankenversicherungsbeitrag – insgesamt gut elf Prozent. Beim Arbeitslosengeld übernimmt der Staat die Beiträge zur gesetzlichen Kranken‑ und Pflegeversicherung zusätzlich zu den Rentenbeiträgen.
Das Nettoeinkommen aus ALG I liegt deshalb im Regelfall erheblich näher am früheren Nettoarbeitslohn als eine gekürzte Rente und ist obendrein steuerfrei, solange keine weiteren Einkünfte zufließen.
Kann eine Sonderzahlung das Argument umdrehen?
Wer genug Ersparnisse hat, kann ab dem 50. Lebensjahr Sonderzahlungen leisten und damit Rentenabschläge ganz oder teilweise ausgleichen.
Auf diese Weise ist es möglich, trotz frühem Rentenbeginn eine nahezu ungekürzte Altersrente zu beziehen – allerdings um den Preis einer Einmalzahlung, deren Rendite unter anderem von der individuellen Lebenserwartung abhängt. Fehlt das Kapital, bleibt der Weg über das Arbeitslosengeld oft der kostengünstigere Hebel.
Ab wann lohnt sich der direkte Sprung in die Rente dennoch?
Trotz aller Vorteile des ALG I wählen manche Versicherten bewusst die gekürzte Sofortrente. Häufige Motive sind gesundheitliche Einschränkungen, die Pflicht zur Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt oder der Wunsch nach absoluter Plan‑ und Freizeit ohne weitere Behördentermine. Auch wer für den Zwei‑Jahres‑Bezug nicht auf 48 Pflichtbeitragsmonate zurückblicken kann, hat schlicht keinen Anspruch auf die volle ALG‑I‑Dauer.
Beispiel aus der Praxis
Frau Schneider ist 63 Jahre alt, seit 40 Jahren versicherungspflichtig beschäftigt und verdient zuletzt 3 500 Euro brutto im Monat. Ihre Rentenauskunft beziffert die künftige Regelaltersrente – also ohne Abschläge mit 67 Jahren – auf rund 1 600 Euro brutto.
Entscheidet sie sich jetzt für die vorgezogene Altersrente, werden wegen des vierjährigen Vorlaufs 14,4 Prozent dauerhaft abgezogen. Das reduziert die Bruttorente auf gut 1 370 Euro.
Nach Kranken‑ und Pflegeversicherungsbeiträgen – zusammen etwas über elf Prozent – bleiben knapp 1 220 Euro netto. Der Betrag muss zudem individuell versteuert werden.
Wählt Frau Schneider stattdessen den Weg zur Agentur für Arbeit, erhält sie zwölf Monate lang 60 Prozent ihres letzten Nettoentgelts.
Ihr Netto lag bei etwa 2 400 Euro; das ergibt ein Arbeitslosengeld I von rund 1 440 Euro im Monat, das steuer‑ und beitragsfrei ausgezahlt wird.
Bundesagentur für Arbeit
Während dieses Jahres laufen Rentenbeiträge weiter – berechnet auf 80 Prozent des früheren Bruttoverdienstes. Jeder der zwölf Monate bringt ihr so zusätzliche Entgeltpunkte und zugleich sinkt der künftige Abschlag um 0,3 Prozent. Nach Ablauf der zwölf Monate – Frau Schneider ist jetzt 64 – beträgt der Restabschlag noch 10,8 Prozent.
Ihre dann fällige Bruttorente liegt schon bei etwa 1 430 Euro, weil der prozentuale Abzug kleiner ist und neue Beitragsmonate hinzugekommen sind. Netto bleiben etwa 1 270 Euro.
Hätte sie den vollen Zwei‑Jahres‑Anspruch auf ALG I ausgeschöpft, fiele der Abschlag nur noch 7,2 Prozent hoch aus; die Bruttorente läge bei rund 1 485 Euro, netto bei circa 1 340 Euro – also um mehr als 100 Euro im Monat höher als bei sofortigem Renteneintritt.
In Zahlen bedeutet das: Ein Jahr Arbeitslosengeld verschafft Frau Schneider heute 220 Euro mehr Monatseinkommen als die sofortige Rente und zugleich eine lebenslang um rund 50 Euro höhere Nettorente.
Zwei Jahre ALG I sichern ihr sogar einen dauerhaften Vorsprung von gut 120 Euro netto pro Monat im Ruhestand – erkauft mit der Verpflichtung, während dieser Zeit für den Arbeitsmarkt verfügbar zu bleiben.
Fazit – Welcher Weg maximiert unterm Strich das Einkommen im Alter?
Ist das Arbeitslosengeld deutlich höher als die gekürzte Altersrente, führt der Zeitpuffer aus ALG I in aller Regel zu mehr Geld sowohl heute als auch künftig, weil Abschläge schwinden und neue Rentenpunkte wachsen.
Kommen beide Beträge einander sehr nahe, entscheidet der persönliche Stellenwert von Freiheit gegenüber bürokratischem Aufwand. Für eine belastbare Entscheidung braucht es daher stets den direkten Vergleich von Netto‑ALG, Netto‑Rente, verbleibenden Abschlägen und individueller Belastbarkeit.
Erst im Zusammenspiel dieser Zahlen mit der eigenen Lebenssituation wird sichtbar, welcher Pfad tatsächlich der bessere ist.