Ein Urteil, dass derzeit mit Spannung erwartet wird, könnte dafür sorgen, dass die Anrechnung des Partnereinkommens bei der Grundrente gekippt wird. Kommt es dazu, könnte sich der Anteil der Anspruchsberechtigten stark erweitern. Zudem könnten Nachzahlungen folgen. Aber der Reihe nach.
Einkommensanrechnung sorgt für Zündstoff?
Die Grundrente ist ein Zuschlag auf die eigene gesetzliche Alters‑ oder Erwerbsminderungsrente. Anspruch haben Menschen mit mindestens 33 Jahren sogenannter Grundrentenzeiten, deren individuelle Rentenansprüche trotz jahrzehntelanger Beitragsleistung unterdurchschnittlich bleiben.
Ende 2023 erhielten rund 1,1 Millionen Rentnerinnen und Rentner – knapp sechs Prozent aller Altersrentner – einen Durchschnittszuschlag von etwa 96 Euro monatlich.
Die Anhebung der kleinen Renten ist nicht bedingungslos: § 97a SGB VI schreibt vor, dass auf den Grundrentenzuschlag sowohl eigenes als auch – bei Verheirateten – gemeinsames zu versteuerndes Einkommen angerechnet wird. Für Alleinstehende liegt die Grenze derzeit bei 1.317 Euro, für Ehepaare bei 2.055 Euro.
Kritiker wie der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt beanstanden, dass damit allein der Familienstand darüber entscheidet, ob jemand den vollen Zuschlag behält oder nicht. Wer nämlich in einer nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebt, muss das Partner‑Einkommen nicht offenlegen, Ehepaare dagegen sehr wohl.
Der Rentenberater Peter Knöppel spricht deshalb von einer „Vermischung von Renten‑ und Grundsicherungsrecht“, die den eigentlichen Zweck der Grundrente – die Anerkennung eigener Lebensleistung – unterlaufen werde.
Was hat das Landessozialgericht Nordrhein‑Westfalen entschieden?
Am 30. Januar 2024 bestätigte zunächt das LSG NRW (Az. L 18 R 707/22), dass die Anrechnung des Ehegatteneinkommens verfassungsgemäß sei. Die Richter argumentierten, ein möglicher Nachteil werde „bei der Gesamtbetrachtung aller an die Ehe anküpfenden Regelungen“ ausgeglichen; zudem bleibe Grundrentenberechtigten auch nach Anrechnung in der Regel ein Einkommen oberhalb der Grundsicherung.
Die Klägerin – ihre Grundrente war wegen des höheren Partnereinkommens vollständig entfallen – hielt dagegen, dass Art. 3 Abs. 1 (Gleichheitssatz) in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz der Ehe) verletzt werde. Damit ist allerdings nicht das letzte Wort gesprochen.
Es geht vor das Bundessozialgericht
Gegen das LSG‑Urteil wurde Revision eingelegt. Unter dem Aktenzeichen B 5 R 9/24 R prüft der 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) seit Herbst 2024, ob § 97a SGB VI in seiner derzeitigen Fassung gegen das Grundgesetz verstößt. Die Rechtsprechungsübersicht des BSG listet das Verfahren als „anhängig“.
Ein Urteil wäre ein Präzedenzfall: Kippt das Gericht die Einkommensanrechnung, müssten Rentenbescheide massenhaft rückwirkend korrigiert werden; bestätigt es die Regelung, dürfte die politische Debatte um Nachbesserungen dennoch neu aufflammen.
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Verstößt die Anrechnung des Partners bei der Grundrente gegen die Verfassung?
Die Befürworter der Revision verweisen darauf, dass der Grundrentenzuschlag ein individueller Versicherungsanspruch ist, der an eigene Beitragsjahre, nicht aber an familiäres Einkommen anknüpft. Eine Kopplung an Partnereinkommen verletze deshalb den Gleichheitssatz und diskriminiere Verheiratete gegenüber nicht verheirateten Paaren.
Gegner kontern, der Gesetzgeber dürfe Paare wegen ihres in der Regel gemeinsamen Wirtschaftens anders behandeln; die Grenze von 2.055 Euro schütze zudem die Bedürftigsten, ohne staatliche Mittel an besser gestellte Haushalte umzuleiten.
Wie wirkt sich die Anrechnung ganz praktisch aus?
Zum Jahreswechsel 2024/2025 erhielten zahlreiche Rentnerinnen und Rentner neue Bescheide – teilweise mit drastisch gekürzten oder ganz gestrichenen Zuschlägen.
Betroffene berichten von Einbußen von mehr als 200 Euro monatlich. In Einzelfällen sank das verfügbare Alterseinkommen damit wieder unter die Schwelle, die das Gesetz eigentlich überwinden wollte.
Welche Schritte sollten Betroffene jetzt prüfen?
Juristen wie Knöppel raten, gegen Kürzungs‑ oder Aufhebungsbescheide fristgerecht Widerspruch einzulegen oder ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X anzustrengen.
In der Begründung sollte auf das beim BSG anhängige Verfahren B 5 R 9/24 R verwiesen und beantragt werden, das Verwaltungsverfahren bis zur höchstrichterlichen Klärung ruhen zu lassen.
Ob das sinnvoll ist, hängt aber vom Einzelfall ab: Wird der Zuschlag nur teilweise gekürzt, können die verbleibenden Beträge existenzsichernd sein. Außerdem kann ein verspäteter Bescheid zu Nachzahlungen führen, wenn das BSG die Regelung kippt.
Welche sozialpolitischen Folgen hat der Streit?
Rund 1,1 Millionen Menschen, überwiegend Frauen, profitieren heute von der Grundrente. Gleichzeitig erreicht die Grundsicherung im Alter neue Höchststände: Ende 2024 waren 739.000 Seniorinnen und Senioren darauf angewiesen.
Damit steht doppelt viel auf dem Spiel: Für die Betroffenen geht es um sofortiges, oft dringend benötigtes Geld; für die Politik um Glaubwürdigkeit, denn die Grundrente wurde als Antwort auf wachsende Altersarmut eingeführt.
Sollte das BSG die Anrechnung verwerfen, müssten Bundeshaushalt und Rentenversicherung kurzfristig zusätzliche Milliarden mobilisieren – eine Herausforderung in Zeiten angespannter Finanzen.
Wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen und was passiert danach?
Verfahrensbeteiligte rechnen mit einer mündlichen Verhandlung noch 2025. Fällt das Urteil, kann jede Seite das Bundesverfassungsgericht anrufen, falls sie Grundrechte verletzt sieht.
Bestätigen die obersten Sozialrichter die Verfassungswidrigkeit, muss der Gesetzgeber zügig nachbessern; hält das BSG die Regelung dagegen für zulässig, bleibt der politische Druck bestehen, weil viele Betroffene die Einkommensanrechnung als ungerecht erleben.
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Fazit – wohin entwickelt sich die Grundrente?
Die Grundrente bleibt ein sozialpolitisches Großexperiment. Ihr Erfolg wird nicht allein an juristischen Spitzfindigkeiten gemessen, sondern an der Frage, ob sie Altersarmut wirksam lindert, ohne neue Gerechtigkeitslücken aufzureißen. Das Verfahren B 5 R 9/24 R ist deshalb weit mehr als ein Streit um Paragrafen: Es entscheidet darüber, ob das Versprechen, jahrzehntelange Arbeit stärker zu würdigen, gegenüber allen Rentnerinnen und Rentnern gleichermaßen gilt.