Alleinerziehende Mutter nimmt Minijob an – Jobcenter stoppt Bürgergeld

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F. ist alleinerziehende Mutter und hat zum 1. August einen Minijob begonnen. Doch sie ist in einer verzweifelten Situation. Obwohl sie sich bemüht, ihre Lage durch eine Beschäftigung zu verbessern, steht sie und ihr Kind nun im September ohne unterstützende Bürgergeld-Leistungen da.

Das bringt die alleinerziehende Mutter mit ihrem Kind in eine ernsthafte Lage, da sie ihre Miete und andere Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Über diesen Fall berichtet der Sozialverein “Sanktionsfrei” aus ihrer Beratungspraxis.

Was war passiert?

Das Jobcenter hat F. das Bürgergeld komplett entzogen, bis sie ihre erste Lohnabrechnung einreicht. Diese Lohnabrechnung wird jedoch erst Mitte September verfügbar sein, was F. auch vom Arbeitgeber schriftlich bestätigt wurde.

Trotz dieser eindeutigen Bestätigung verweigert das Jobcenter jegliches Bürgergeld. Besonders schlimm ist, dass F. berichtet, dass ihr persönliche Gespräche mit Sachbearbeitern und der Leistungsabteilung verweigert wurden.

„Ich bin verzweifelt, ich stehe mit meinem Kind für September ohne Geld da, kann meine Miete und andere Rechnungen nicht bezahlen. Persönliche Gespräch mit dem Sachbearbeiter und der Leistungsabteilung wurden mir verweigert”, berichtet sie gegenüber der Vereinsgründerin Helena Steinhaus.

Schwerwiegende Folgen durch die Entscheidung des Jobcenters

Die Entscheidung des Jobcenters hat weitreichende Konsequenzen für F. und ihr Kind. Ohne das Bürgergeld ist sie nicht in der Lage, ihre Miete zu zahlen, was die Gefahr einer Kündigung ihres Mietvertrags nach sich ziehen könnte.

Zudem fehlen ihr die Mittel für andere wichtige Ausgaben wie Lebensmittel und Versorgungsleistungen. In der ohnehin schon angespannten Situation, in der sie versucht, sich durch einen Minijob finanziell über Wasser zu halten, stellt der Entzug des Bürgergeldes eine erhebliche Belastung für die Betroffenen dar. Diese Art von bürokratischer Härte trifft besonders diejenigen, die ohnehin schon am Rande des Existenzminimums leben.

Jobcenter haben Ermessensspielraum- der wird kaum genutzt

Eine angeblich fehlende Mitwirkung wird von den Jobcentern immer öfter dazu genutzt, die Bürgergeld-Leistungen komplett einzustellen. Dabei haben die Behörden tatsächlich einen Ermessensspielraum, den sie aber oft nicht umsetzen.

Dabei hatte erst kürzlich das Landessozialgericht Bayern (AZ: L 16 AS 382/22) geurteilt, dass eine eine Versagungsentscheidung nur dann rechtmäßig sei, “sofern der Leistungsträger sein Entscheidungs- und Auswahlermessen betätigt, dabei die Grenzen des Ermessensspielraumes eingehalten und seine Entscheidung hinreichend begründet hat.”

Noch schwerwiegender ist die Tatsache, dass hier das Kind gleich mit “totalsanktioniert” wird, obwohl trotz der Aufnahme eines Minijobs sehr wohl noch eine Hilfebedürftigkeit besteht, kritisiert Sebastian Bertram von “Gegen-Hartz.de.

Die Vorgehensweise des Jobcenters ist schon deshalb rechtswidrig, weil

§ 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I ermächtigt nicht dazu, einer Person Sozialleistungen zu entziehen oder zu versagen, die keine eigene Mitwirkungspflicht verletzt. ( LSG NRW, Beschluss v. 29.11.2018 – L 21 AS 1116/18 B – rechtskräftig – )

Rechtswidrigkeit des Entziehungsbescheids, denn § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I darf von vornherein nicht zu einer Entziehungs- oder Versagungsentscheidung gegenüber Personen ermächtigen, die selbst keine Mitwirkungspflicht verletzt haben.

Sondern mit einer anderen Person, die eine eigene Mitwirkungspflicht verletzt hat, in einer Bedarfsgemeinschaft i.S. des § 7 Abs. 3 SGB II leben oder deren Anspruch auf Sozialleistungen in sonstiger Weise von Umständen abhängig ist, die in der Person des zur Mitwirkung Verpflichteten begründet liegen. (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht vom 21.06.2016 – L 6 AS 121/13; SG Potsdam vom 09.04.2014 – S 40 AS 1288/11).

Denn für eine solche Zurechnung dürfte es an der dafür erforderlichen normativen Grundlage fehlen (Zieglmeier, NZS 2012, 135, 137 m. w. N.; zu Sanktionen BSG vom 02.12.2014 – B 14 AS 50/13 R ).

Aufgrund der an ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft gerichteten Mitwirkungsaufforderung kann nicht gegenüber dem anderen volljährigen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft die Leistung nach dem SGB II versagt werden ( so auch das SG Potsdam vom 09.04.2014 – S 40 AS 1288/11 -).
a. Auffassung – SG Augsburg, Urt. v. 08.11.2023 – S 3 AS 308/23 –

Aufgrund der an ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft gerichteten Mitwirkungsaufforderung kann auch gegenüber den anderen minderjährigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft die Leistung nach dem SGB II versagt werden ( entgegen Schleswig-Holsteinisches LSG, Urt. vom 21.06.2016 – L 6 AS 121/13 – ).

Leitsätze

1. Eine angemessene Frist nach § 66 Abs. 3 SGB I kann auch bei umfangreicherer Unterlagenanforderung mit 2 Wochen angemessen bemessen sein und eine Versagung rechtfertigen.

2. Eine Versagung wirkt bei Verletzung der Mitwirkungspflichten der Eltern auch gegenüber den minderjährigen Kindern, da diese noch keine eigenen Mitwirkungshandlungen zu erbringen haben.

3. Ein Ermessensnicht- oder fehlgebrauch kann der Behörde nicht unterstellt werden, wenn die Mitwirkungshandlung ausschließlich vom Leistungsempfänger erbracht werden kann.

Anmerkung Detlef Brock

Der Auffassung des SG Augsburg ist nach meiner Meinung nicht zu folgen, denn das würde dazu führen, dass im SGB II eine sog. ” Sippenhaft ” gilt, doch das SGB II kennt keine Sippenhaftung.

Ausgehend von den das SGB II prägenden Einzelansprüchen der in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen (stRspr seit BSG Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 8/06 R – BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 12), ist keine Rechtsvorschrift ersichtlich, aus der eine Art Mithaftung der weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für ein nach dem SGB II sanktioniertes Verhalten des Dritten oder eine Zurechnung der Sanktionsfolgen ihnen gegenüber zu entnehmen ist – BSG B 14 AS 50/13 R -.