10 Jahre Hartz-Kommission: „Arbeitsministerin für Nachbesserungen“ – eine nette Geste zum 10. Jahrestag!?
15.08.2012
37 Tage vor der Bundestagswahl 2002 (22. September), am 16. August vor genau 10 Jahren, ließ sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Französischen Dom zu Berlin von Peter Hartz den Bericht der „Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit“ (kurz: „Hartz-Kommission“) übergeben. 173 Tage nach der Bundestagswahl 2002, am 14. März 2003, wurde vom wiedergewählten Bundeskanzler Gerhard Schröder die „Agenda 2010“ präsentiert. Am 1. Januar 2005 trat dann, nach „Hartz I, II und III“, „Hartz IV“ in Kraft.
Nach dem 10. Jahrestag (16. August 2012) ist vor dem 10. Jahrestag (14. März 2013). Etwa ein halbes Jahr später findet dann die Bundestagswahl 2013 statt. Dass die SPD am 14. März 2013 ihren Kanzlerkandidaten und/oder ihr Bundestagswahlprogramm präsentieren will, ist ein bösartiges Gerücht. „
Eine nette Geste zum 10. Hartz-Jahrestag am 16. August 2012 hat sich die Bundesarbeitsministerin, Ursula von der Leyen (CDU), einfallen lassen. Sie sieht „Nachbesserungsbedarf“ und fordert in den Medien vielbeachtete „Nachbesserungen bei Hartz IV“: In den vergangenen Jahren habe die Tarifbindung abgenommen. „Deswegen benötigen wir unter anderem eine verbindliche Lohnuntergrenze, die auch in tariffreien Zonen Ausreißer nach unten verhindert.“
Für eine verbindliche Lohnuntergrenze (Lug) kommt der 10. Hartz-IV-Jahrestag zu früh. Aber auf dem Weg dorthin soll die für die Jobcenter zuständige Bundesministerin zum 10. Hartz-Jahrestag angewiesen haben, die „Fachlichen Hinweise“ zu § 10 SGB II („Zumutbarkeit“) an der einschlägigen Stelle zu ändern. Bisher lautet diese: „Eine untertarifliche Entlohnung oder eine Entlohnung unter dem ortsüblichen Entgelt stehen der Zumutbarkeit der Arbeitsaufnahme nur dann entgegen, wenn die Entlohnung gegen entsprechende arbeitsrechtliche Vorschriften oder die guten Sitten verstößt.“ Ein Aufruf für die jetzt von der Bundesminister beklagten „Ausreißer nach unten“.
Zum 10. Hartz-Jahrestag wurde dies von der Bundesministerin erkannt … und, nach Informationen gewöhnlich falsch informierter Kreise, korrigiert. Der Passus in den „Fachlichen Hinweisen“ zu § 10 SGB II lautet ab dem 16. August 2012: „Eine untertarifliche Entlohnung oder eine Entlohnung unter dem ortsüblichen Entgelt stehen der Zumutbarkeit der Arbeitsaufnahme entgegen.“ Der Passus zur Sittenwidrigkeit kann entfallen.
Eine nette Geste, ein erster erwarteter Schritt der Bundesministerin – auf den man am 16. August 2012 vermutlich vergeblich wartet.
1. Zumutbarkeit
(1) Nach dem Grundsatz des Forderns und Förderns sind die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und die mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen verpflichtet, alle zumutbaren Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten, insbesondere durch den Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit sind Gründe, die in der Sphäre oder im Verantwortungsbereich der Leistungsberechtigten liegen, durch diese nachzuweisen.
(2) Eine untertarifliche Entlohnung oder eine Entlohnung unter dem ortsüblichen Entgelt stehen der Zumutbarkeit der Arbeitsaufnahme nur dann entgegen, wenn die Entlohnung gegen entsprechende arbeitsrechtliche Vorschriften oder die guten Sitten verstößt. Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn besteht in Deutschland nicht. Der Arbeitgeber ist jedoch verpflichtet, mindestens die Entgelte zu zahlen, die nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG), Tarifvertragsgesetz (TVG) oder Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) für einzelne Branchen aufgrund von Rechtsverordnungen oder Allgemeinverbindlicherklärungen festgelegt worden sind. Mit der GA 19/2010 wird ein laufend aktualisiertes Verzeichnis (Leitfaden Mindestlöhne/zwingende Arbeitsbedingungen) der für nach dem TVG allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge, der Mindestlöhne nach dem AEntG und der Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung zur Verfügung gestellt. Ergänzend wird auf die Regelungen zum Vermittlungsverbot in den Fachlichen Hinweisen zu § 16 SGB II verwiesen.Bei einem Verstoß gegen die genannten gesetzlichen Vorschriften ist den Regelungen zum Arbeitsentgeltübergang in den Fachlichen Hinweisen zu § 33 SGB II zu entsprechen.
(3) Sittenwidrigkeit ist für die Fälle anzunehmen, in denen die Lohngestaltung durch ein auffälliges Missverhältnis gegenüber dem allgemeinen Lohnniveau für vergleichbare Arbeiten gekennzeichnet ist. Ein solch auffälliges Missverhältnis liegt nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts vor, wenn die Entlohnung nicht einmal 2/3 eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns beträgt (Urteil AZ: 5 AZR 436/08). In Bereichen, in denen keine einschlägigen Tarifverträge existieren, sind ggf. verwandte Tarifverträge als Vergleichsmaßstab heranzuziehen. Dieser Richtwert bildet zunächst den Ausgangspunkt für die Beurteilung der Entgeltvereinbarung. In die notwendige Gesamtwürdigung fließen sämtliche Umstände des Einzelfalles mit ein, wie etwa überlange und unregelmäßige Arbeitszeiten. Auch hier wird bei entsprechend abweichender Entlohnung auf die Regelungen zum Arbeitsentgeltübergang in Fachlichen Hinweisen zu § 33 SGB II verwiesen.
(4) Eine Konkretisierung der Zumutbarkeit im Einzelfall sollte u. a.wegen der Eigenbemühungen in der Eingliederungsvereinbarung (EinV) erfolgen. Hier ist auch aufzunehmen, unter welchen Bedingungen eine Arbeit zumutbar ist (z. B. bei Betreuungspflichten). (Artikel von Büro für absurde Statistik (BaSta) c/o Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ)
Bild: Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de
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