Schwerbehinderung: Rentenanspruch verloren – weil der Arzt zu langsam war – Urteil

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Ein medizinisches Sachverständigengutachten dient dazu, festzustellen, ob eine Erwerbsminderung vorliegt. Ein solches Gutachten ist aber unverwertbar und damit ungültig, wenn zu viel Zeit zwischen der Untersuchung und dem schriftlichen Verfassen des Gutachtens liegt.

Dies ist unabhängig davon, wie qualifiziert der Arzt ist und in welchem Fachgebiet seine Tätigkeit liegt. So entschied das Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 10 R 2331/23).

Entscheidung über Erwerbsminderungsrente

Der Klägerin war in erster Instanz eine Rente wegen Erwerbsminderung zugebilligt worden. Diese hatte sie nach gesundheitlichen Einschränkungen im November 2018 beantragt. Sie erhielt auch einen Grad der Behinderung von 50 und das Merkzeichen G zuerkannt.

Die Rentenversicherung lehnte den Antrag ab, und die Betroffene klagte vor dem Sozialgericht Karlsruhe, um ihren Anspruch auf volle Erwerbsminderung durchzusetzen.

Zwei verschiedene Gutachten

Das Sozialgericht beauftragte einen Nervenarzt dazu, ein medizinisches Gutachten zu erstellen. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die Betroffene mindestens sechs Stunden pro Tag arbeiten könne. Damit entfiel der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente, auf eine volle ebenso wie auf eine teilweise.

Die Klägerin beantragte daraufhin ein weiteres Gutachten und nannte dem Gericht einen Sachverständigen. Dieser kam zu einem anderen Ergebnis. Er stellte eine Erwerbsminderung fest. Das Gericht verurteilte die Rentenversicherung deshalb dazu, eine Erwerbsminderungsrente auszuzahlen.

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Rentenversicherung geht in die nächste Instanz

Die Rentenversicherung legte gegen das Urteil Berufung ein. Sie begründete dies damit, dass das von der Klägerin beantragte Gutachten unverwertbar sei. Der Zeitraum zwischen Untersuchung und der schriftlichen Erstellung des Gutachtens sei zu lang – er betrug fast acht Monate.

Landessozialgericht stimmt der Rentenkasse zu

Das Landessozialgericht stimmte dem Standpunkt der Rentenkasse zu. In dem langen Zeitraum zwischen Untersuchung und Erstellung des Gutachtens sei die Erinnerung des Gutachters verblasst. Damit könne es nicht als Basis dienen, um eine Erwerbsminderung zu beurteilen. „Zu lange“ bedeutet dabei, dass wesentlich mehr als sechs Monate vergangen waren, bis nach der Untersuchung das Gutachten verfasst wurde.

Es ging also im Urteil ausdrücklich nicht darum, dass das Gericht den Inhalt des Gutachtens selbst infrage stellte. Auch spielte die Qualifikation des Arztes, der das Gutachten verfasste, ebenso wenig eine Rolle wie das Fachgebiet, in dem er tätig ist. Es ging auch nicht um mögliche Fehler während der Untersuchung oder um Aspekte, die das Gutachten möglicherweise nicht berücksichtigt hatte.

Der Grund dafür, dass das Landessozialgericht dieses Gutachten für unverwertbar und damit für ungültig erklärte, lag ausschließlich in der verstrichenen Zeit zwischen Untersuchung und dem schriftlichen Gutachten.

Fazit für Betroffene

Für die Betroffene war das Urteil unerfreulich. Sie trifft auch keinerlei Verantwortung, denn diese liegt beim Mediziner, der sich in diesem Fall zu viel Zeit gelassen hat. Betroffene können aus der Gerichtsentscheidung den Schluss ziehen, den zuständigen Mediziner bereits bei der Untersuchung darauf zu drängen, das Gutachten so schnell wie möglich zu schreiben und ihn informieren, dass es sonst unverwertbar sein könnte.

Der Rentenexperte Peter Knöppel schließt: „Für Antragsteller bedeutet dies, dass sie bei ablehnenden Gutachten immer auch darauf achten müssen, wann das Gutachten nach der Begutachtung erstellt wurde. Sollte es mehr als 6 Monate später erstellt sein, so kann sich dies auf die Verwertbarkeit als Beweismittel auswirken.“

Diese Gerichtsentscheidung lässt sich auch auf die umgekehrte Situation übertragen. Wenn das erste Gutachten eine Erwerbsminderung festgestellt und ein zu spät niedergeschriebenes Gutachten dies verneint hätte, würde eine Erwerbsminderung gelten.