Sozialverband: Hartz IV ist verfassungswidrig

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Sozialverband: Die Hartz IV Berechnung nicht verfassungskonform

Der Paritätische Wohlfahrtsverband bekräftigte erneut, dass die neue Berechnungsgrundlage der Hartz IV Regelleistungen verfassungswidrig ist. Das Verfahren zur Herleitung der Regelsätze sei "weder nachvollziehbar, noch sach- oder realitätsgerecht“. Doch genau ein solches Verfahren hatte das Bundesverfassungsgericht im Februar 2010 vom Gesetzgeber gefordert.

Bereits in der letzten Woche hatte die gegen-hartz.de Redaktion zahlreiche Auswertungen vorgelegt, die aufzeigten, dass die Herleitung der neuen Berechnungsgrundlagen weiterhin nicht verfassungskonform ist. Nun hat auch der Paritätische Wohlfahrtsverband bestätigt, dass die neuen Arbeitslosengeld II Regelsätze für Kinder und Erwachsene „voraussichtlich nicht verfassungskonform“ sind. "Dass durch das Bundesarbeitsministerium vorgeschlagene Verfahren ist weder nachvollziehbar, noch sach- oder realitätsgerecht" sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Verbandes. Denn die statistischen Grundlagen die verwendet wurden, um den Regelsatz für Kinder herzuleiten, sind im Gesetzentwurf "so löchrig aus wie ein Schweizer Käse", sagte Schneider gegenüber der „TAZ“. So hat auch der Sozialverband festgestellt, dass die Mehrzahl der berechneten Positionen für die 14 bis 18 Jährigen mit "hoher statistischer Unsicherheit" berechnet wurden. Das betrifft allein 75 von 82 ermittelten Einzelpositionen. Das bedeutet, dass die gewonnenen Stichproben in der genannten Referenzgruppe so klein sind, dass sie unter Statistik-Experten als "nicht valide" gelten, da die mögliche Fehlerquote in der Berechnung zu hoch ausfällt.

So ergeht aus dem Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministerin, dass beispielsweise weniger als 25 Haushalte im erhobenen Zeitraum von 3 Monaten ein Fahrrad gekauft haben. Wie viel Geld diese wenigen Haushalte dafür im Durchschnitt ausgegeben haben wird, anders als bei Posten, für die größere Stichproben vorliegen, im Gesetzentwurf nicht aufgeführt. Doch das Arbeitsministerium kennt diese Zahl und leitet aus ihr einen Betrag ab, den sie der benannten Gruppe der 14 bis 18 Jährigen zu spricht. Für den Sozialverbandschef Schneider ist dies „eine geschüttelte Zahl“, denn die Grundlagen zur Berechnung der Hartz IV Regelleistungen sei überhaupt nicht „verlässlich“ oder gar "realitätsgerecht". Gerade einmal auf 168 Haushalte basiere die Berechnung der ALG II Sätze für die 14 bis 18 Jährigen. Für Kinder bis 6 Jahre fußen die Berechnungen auf gerade einmal 237 Haushalten, für 6 bis unter 14-Jährige auf 184 Haushalten. Bei den Erwachsenen ist der Wert noch am höchsten und liegt bei 1678 Haushalten. Damit steht für den Paritätischen Wohlfahrtsverband fest, dass die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) so wie sie von dem Arbeitsministerium angewandt wurde, nur "sehr eingeschränkt zur Errechnung der Kinderregelsatzes brauchbar" sind. Aber genau diese Frage würde eine Bundesverfassungsgericht stellen. Im Falle einer Klage werden sind diese Detailfragen von großer Bedeutung und es würde genau geprüft werden, ob das Existenzminimum der Betroffenen gesichert sei. So haben Eltern für Babys zum Beispiel monatlich nur 6,93 Euro für den Kauf von Windeln zur Verfügung. Solche Werte sicherten jedoch das Existenzminimum in keinem Fall.

Auch die Datenlage bei den Berechnungen für Erwachsene ist in einigen Teilen problematisch. Weil die EVS nur 3 Monate erhoben wurde, sind Ausgaben für zahlreiche Positionen von weniger als 25 Haushalten getätigt worden. Zum Beispiel für Waschmaschinen, Kühlschränke oder Gefriertruhen. Die Regierung berücksichtige für solche Posten Beträge im Regelsatz, "die in keinem Verhältnis zu den Kosten stehen, die für die tatsächlichen Anschaffungen anfallen würden", sagte Schneider. Die Lösung wäre jedoch ganz einfach, so der Verband. Wenn zum Beispiel solche Sonderausgaben wieder als einmaligen Bedarf bewerten und gewähren würde, bestehe das Problem nicht mehr.

Auch die vom Bundesarbeitsministerium neu gewählte Referenzgruppe steht im Fadenkreuz der Kritik. Früher wurden noch die unteren 20 Prozent in der EVS ermittelt, nun hatte das Ministerium jedoch nur noch 15 Prozent herangezogen, um daraus den Hartz IV Regelsatz für Erwachsene zu ermitteln. Warum das so ist, wird an keiner Stelle des vorgelegten Gesetzesentwurf hinreichend und wissenschaftlich begründet. Hier gilt, dass das weder „sachgerecht oder nachvollziehbar“ ist. Somit gilt auch hier, dass die Herleitung nicht der Verfassung entspricht.

Weiterhin nicht wissenschaftlich begründet ist zudem, warum für die Erwachsenen die Referenzgruppe nur zu 15 Prozent berücksichtigt wurde, aber den Kindern aber weiterhin die 20 Prozent Regelung gilt. "Ich habe den Eindruck, dass jetzt erst so langsam im Ministerium durchdringt, dass die Plausibilitätsbegründung nicht trägt", argumentiert der Verbands-Vorsitzende Schneider. Denn die neue 15 Prozent Regelung drückt die Grenze des Einkommens nach unten, so dass die Regelleistungen für Erwachsene deutlich niedriger ausfallen. Laut Bundesarbeitsministerin liegt der Grenzwert derzeit bei 901 Euro. Würde man aber die alte EVS mit den 20 Prozent als Grundlage heran ziehen, liegt der Grenzwert schon bei 940 Euro. Nehme man nun die EVS von 2008 und verwendet hiervon 20 Prozent, kommen bestimmt noch höhere Beträge heraus. Doch genau diese Daten gibt die Bundesregierung nicht frei, obwohl die Opposition darauf drängt. Warum diese Daten nicht freigegeben werden, liegt wohl auf der Hand.

Doch die Bundesregierung will die neuen Hartz IV Regelsätze so schnell wie möglich „durch peitschen“. So will sie weder wichtige Daten an die Opposition frei geben, noch Kompromisse eingehen. So sagte der CDU Fraktionsvorsitzende Volker Kauder gegenüber dem Hamburger Abendblatt: "Der Regelsatz ist gerecht errechnet und darum muss es bei ihm bleiben".

Dass die Herleitung der Regelsätze nicht der Verfassung entsprechen, scheint der Bundesregierung völlig egal zu sein. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht erneut hinzu gezogen wird, wird eine ganze Zeit vergehen. Bis dahin gibt es vielleicht schon eine neue Bundesregierung, die sich dann erneut mit der Frage der Hartz IV Regelsätze auseinander setzen muss. Die Leidtragenden sind die Betroffenen, die wiederum um ihr Existenzminimum betrogen wird. (sb, 04.10.2010)

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