Hartz IV: Erschießung anscheinend unproblematisch

Tatort Jobcenter: „Erschießung anscheinend unproblematisch“

27.05.2011

Die Media-Watch Organisation "der braune mob e.V." zeigte sich bestürzt über den Vorfall im Jobcenter Frankfurt am Main, die Erschießung einer Schwarzen Deutschen durch Polizeibeamte, die zynische empathiefreie Reaktion des Sprechers der Polizeigewerkschaft sowie tendenziöse Medienberichterstattung.

Am 19. Mai 2011 war in der deutschen Medienberichterstattung der Tod einer Frau, die von einer Polizistin in einer Außenstelle des RheinMain-Jobcenter in Frankfurt am Main erschossen worden ist, eines der beherrschenden Themen. Wir, die Mitglieder der media-watch Organisation "der braune mob e.V. – schwarze deutsche medien /öffentlichkeit" möchten hiermit sowohl unsere Bestürzung über den Tod der Frau sowie unsere Empörung über die diesbezügliche -größtenteils einseitige und unreflektierte- Berichterstattung zum Ausdruck bringen.

Nach polizeilicher Darstellung soll es am 19. Mai 2011 zu einem Streit zwischen der 39- jährigen Frau und einem Sachbearbeiter bezüglich der Auszahlung von Sozialleistungen gekommen sein. Die Frau soll anschließend den Betriebsablauf im Jobcenter „gestört“ und sich geweigert haben, das Jobcenter zu verlassen. Die daraufhin von den Mitarbeitern des Jobcenters herbeigerufenen Polizeibeamten, eine Polizistin sowie ihr Kollege, sollen darauf hin die Frau zum Vorzeigen ihrer Ausweispapiere aufgefordert haben. Hierauf soll die Frau ein Messer gezogen und auf den Bauch und den Arm des Polizeibeamten eingestochen haben, woraufhin als Reaktion die Polizistin einen Schuss in den Bauch der Frau abgefeuert haben soll, der diese lebensgefährlich verletzt habe. Die Frau ist kurze Zeit später ihren Verletzungen im Krankenhaus erlegen.

Der Berichterstattung zufolge erklärte die zuständige Staatsanwaltschaft ebenso wie die zuständige Polizei noch am selben Tag, es handele sich offensichtlich um einen „klaren Fall von Notwehr“ seitens der Polizistin. Hiesige Medien übernahmen trotz des Gebots objektiver und ausgewogener Berichterstattung überwiegend in unkritischer und auffallend reflexhafter Art die polizeiliche Darstellung über die getötete so betitelte „Randaliererin“ oder „Messerstecherin“ und berichteten hierüber, als stehe der Tathergang bereits fest und als sei der Fall eindeutig, obwohl sämtliche Ermittlungen sich erst im Frühstadium befanden.

Mehrere Fragen werfen sich unsererseits auf:
1. Welche schwerwiegenden Vorkommnisse durch die 39-jährige Frau sollen geschehen sein, die es angemessen erscheinen lassen, die Polizei hierfür benachrichtigt zu haben und ihre Personalien aufzunehmen, die dem Sachbearbeiter des Jobcenters bereits wohlbekannt waren? Haben die Beamten den Teil ihrer Ausbildung vergessen, bei dem die Zusammenhänge zwischen demonstrativem Ausüben von polizeilicher Macht, Demütigung, Hilflosigkeitesgefühlen und Aggression gelehrt werden?

2. Wie kann die zuständige Staatsanwaltschaft noch am selben Tag des Vorfalls einen „klaren Fall von Notwehr“ erkennen wollen, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Aussagen zahlreicher Zeug_innen noch ausstanden und die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen waren?

3. Es liegt vollständig innerhalb der beruflichen Ausbildung und Anforderung für Polizist_innen, bei ihren Aktionen möglichst deeskalierend vorzugehen und auch in schwierigsten Situationen den Tod von Menschen zu vermeiden. Zu bedenken sei hier, dass der Polizist, der von der Frau verletzt worden sein soll, eine Schutzweste trug und die beiden Polizeibeamten beide Schusswaffen trugen, während die Frau nicht ebenfalls eine Schusswaffe trug, sondern ein Messer getragen haben soll. Warum wird es als akzeptabel empfunden, wenn sich mehrere Polizist_innen gegen eine Frau mit einem Messer wehren indem sie sie direkt töten? Warum ist in diesen Fällen nicht von einem möglichem „Notwehrexzess“ die Rede?

4. Wie soll nun der Tathergang überhaupt unabhängig ermittelt werden, wenn Polizist_innen den tatsächlichen Tathergang ermitteln sollen, in welchen ihre eigenen Kolleg_innen involviert sind?

Neben diesen Fragen, deren Beantwortung wir uns zeitnah wünschen würden, erscheint uns zur Beurteilung des Vorfalls Folgendes wesentlich:

• Es soll bei dem Streit um weniger als 50 Euro Barauszahlung gegangen sein, was der Sachbearbeiter jedoch auf Verweis einer Überweisungszahlung verweigert haben soll. Die Frau war angeblich frisch nach Frankfurt gezogen und in Not und seit über 14 Tagen ohne Geld. Der Tatort ist eine kleine Außenstelle des Rhein-Main-Jobcenters für „Härtefälle“; Wohnungslose, Menschen mit Suchtproblemen und Flüchtlinge, also Menschen in sehr schwierigen Sozialsituationen. Ein solches Jobcenter hat alle Möglichkeiten, in Notfällen bar auszuzahlen. Das rechtfertigt nicht das Vorgehen der Frau, wenn dieses denn zutreffen sollte, doch offensichtlich gab es trotz des spezialisierten und besonderen Profils des Jobcenters dort niemanden, der in der Lage war, eine Krisenintervention einzuleiten, Schaden zu vermeiden und deeskalierend einzuwirken.

Demütigende und menschenverachtende Behandlung auf ARGE-Ämtern, die eben auch solche katastrophalen Folgen haben können, sind ein grundsätzliches Problem. Hierbei sei verwiesen auf folgenden Artikel der Deutschen Polizeigewerkschaft: „Frankfurt: Gewaltattacke in Jobcenter kein Einzelfall – Schlechte Gesetze provozieren Wut und Verzweiflung"

• Es gibt genügend Möglickeiten (in denen Polizist_innen auch geschult werden), Straftäter_innen zu überwältigen ohne sie tödlich zu verletzen, siehe beispielsweise hier. Bekanntermaßen liegt das Gewaltmonopol des Staates bei der Justiz und nicht im persönlichen Ermessen von Polizeibeamten. Dies wird in der öffentlichen Bewertung des Geschehnisses bislang bedauerlicherweise ebenfalls ausgeblendet.

• In der äußerst kontrovers diskutierten Frage der Vereinbarkeit des so genannten "finalen Rettungsschuss" mit dem Grundgesetz werden -auch in den Medienregelmäßig Positionen abgebildet, die die Ansicht vertreten, dass dergleichen eine Überschreitung der erlaubten Staatsgewalt darstellt. Im vorliegenden Fall der durch Polizisten getöteten Frau in Frankfurt bleiben derartige Erwägungen bislang vollständig aus, stattdessen wird durch die Unausgewogenheit der Berichterstattung und Reaktionen der Eindruck erweckt, es habe sich um eine unzweifelhaft angemessene Aktion gehandelt und eine kritische Analyse sei nicht notwendig.

• Am Donnerstagnachmittag des 19. Mai 2011 gab über die Deutsche Presseagentur Jörg Bruchmüller, der Landebezirksvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Hessen, zudem folgenden Kommentar ab: „Das heute ist ein trauriger Beleg dafür, dass die Gewalt gegen Polizisten zunimmt“ Seine Gedanken seien des weiteren „bei dem verletzten Kollegen."

• In einigen Berichten wurde ausdrücklich erwähnt und betont, dass das Opfer entweder „Nigerianerin“ sei oder aus Nigeria stamme, obwohl sie Deutsche gewesen sei. Es stellt sich die Frage, warum andauernd auf die „Herkunft“ der Frau verwiesen wird, da sie nicht zum Verständnis des Tathergangs beiträgt (siehe auch die deutschen Presserichtlinien für diskriminierungsfreie Berichterstattung). Welche Erkenntnis hätten wir dadurch, zu erfahren, dass das Opfer eine Polin, Dänin oder gebürtige Allgäuerin war? Pressemitteilung: „Erschießung anscheinend unproblematisch“.

• Es hat den starken Anschein, dass hierdurch die Assoziationskette "schwarz – bedrohlich – unkontrolliert" bedient wird. Gepaart mit offensichtlich vollkommen fehlender Empathie gegenüber dem Opfer seitens dem Polizeigewerkschaftssprecher und vieler Medien, selbst nach ihrem Tod, bildet sich deutlich ab, dass eine Auseinandersetzung darüber, wie weiße und Schwarze Menschen in Deutschland auf unterschiedliche Weise Opfer von Polizeigewalt werden -was sowohl die Unverhältnismäßigkeit der Gewaltmittel betrifft als auch die Häufigkeit eines Rückgriffes auf dieselben- überfällig ist. An dieser Stelle seien nur einige wenige bekannte Fälle aufgelistet:

– Abschiebungsfolter und Tod des Sudanesen Aamir Ageeb in einem Abschiebeflugzeug der Lufthansa in Frankfurt am Main im Jahr 1999

– Tod von N‘ Deye Mareame Sarr in ihrer Wohnung in Aschaffenburg durch Schüsse eines Polizeibeamten im Jahr 2001 – Ihr Ehemann hatte zuvor das gemeinsame Kind entführt.

– Tod von Laye Condé und Achidi John durch zwangsweise Gabe von Brechmitteln auf polizeiliche Veranlassung – Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte erkennt und verurteilt dies als Verstöße gegen das Folterverbot

– Verbrennungstod von Oury Jalloh aus Sierra Leone in einer Polizeizelle in Dessau im Jahr 2005 in Anwesenheit von wachhabenden
Polizeibeamten, die den Feueralarm ausschalten und dem Verbrennenden nicht zu Hilfe kommen

– Tod des Kongolesen Dominique Koumadio durch Schüsse der Polizei in Dortmund im Jahr 2006

Vor dem Hintergrund dieser und vieler weiterer Fälle aus der Vergangenheit erhärtet sich unser Eindruck, dass bezüglich Gewalttaten gegen Schwarze Menschen und PoC eine wesentlich weniger ausgewogene und unvoreingenommene Medienberichterstattung erwartet werden kann, als in Fällen, in denen die Opfer weiße Deutsche sind. Fragen nach der Brutalität oder Verhältnismäßigkeit der Aktionen der Täter werden dabei regelmäßig durch den Hinweis auf die „Aggressivität“ der zu Schaden oder zu Tode gekommenen abgetan.

Dass der Anlass einer Aggression, die Aggression selbst sowie die Verhältnismäßigkeit einer Reaktion hierauf drei verschiedene zu betrachtende Faktoren sind, bleibt bei Personen, die nicht weiß und deutsch sind, seitens der Medien auffallend oft unbeachtet. Als media-watch-Organisation, Journalistinnen und Journalisten und zivilgesellschaftlich aktiver, den Menschenrechten verbundener Verein, rufen wir die deutschen Medien dazu auf, ab sofort bezüglich des Vorfalls am 19. Mai 2011 in Frankfurt das Gebot einer ausgewogenen und diskriminierungsfreien Berichterstattung zu wahren und von Vorverurteilungen und ethnisch konnotierten Gefährderinnenkonstrukten abzusehen.
Pressemitteilung: „Erschießung anscheinend unproblematisch“
Im Übrigen verweisen wir mitunterzeichnend auf die Pressemitteilung der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD-Bund) e.V., in der es auszugsweise heißt: (…) Sie wurde am 19. Mai in einem Frankfurter JobCenter von einer Polizistin erschossen und die Umstände rufen Erinnerungen wach an das Schicksal Mariame N’Deye Sarr, die im Jahr 2000 ebenfalls unter nie endgültig geklärten Umständen von einem Polizeibeamten erschossen wurde. Tödliche Fälle von Polizeigewalt gegenüber Schwarzer Menschen sind leider keine Seltenheit und wir fragen uns, und große Teile der Schwarzen Gemeinschaft ebenso, ob es tatsächlich so ist, dass Schwarze Menschen und andere People of Color Gefahr laufen müssen, Opfer polizeiliche Gewalt zu werden.

Auf Schärfste verurteilt die Initiative den erneuten brutalen Angriff auf eine Schwarze Person und fordern eine rückhaltlose Aufklärung dieses Falles, der zum Tod eines Menschen geführt hat. "Die einseitige und unreflektierte Berichterstattung in den Medien nehmen wir ebenso mit Empörung auf und fordern die Journalist_innen auf die Untersuchungsergebnisse der zuständigen Stellen abzuwarten bevor sie vorschnell von einer "Notwehrsituation“ sprechen. Wir fordern darüber hinaus die sofortige Suspendierung der Polizeibeamtin, die die Frau erschossen hatte, und sollte sich herausstellen, dass sie ihre Dienstpflicht verletzt hat, sie aus dem aktiven Polizeidienst zu entlassen. Schwarze Menschen sind kein Freiwild für schießwütige Polizist_innen und wir fordern die zuständigen Innenministerien auf, endlich Massnahmen zu treffen die solche Vorkommnisse in Zukunft verhindern. (sb, PM Vorstand, ISD-Bund e.V., Mai 2011)

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