Die Diskussion um sogenannte „Rentenverlierer“ flammt immer wieder auf. Dahinter steht die Erfahrung vieler Menschen, dass Lebenslauf, Geburtsjahr und strukturelle Brüche am Arbeitsmarkt am Ende über die Höhe der Alterseinkünfte entscheiden.
Doch der Begriff bedeutet: Nicht jeder Jahrgang ist per se im Nachteil – und nicht jede ungünstige Biografie mündet zwangsläufig in Altersarmut. Entscheidend sind am Ende die Entgeltpunkte. Der folgende Beitrag ordnet die Lage ein, zeigt typische Risikoprofile und Handlungsmöglichkeiten – und erläutert, wie staatliche Entlastungen ab 2025 wirken.
Inhaltsverzeichnis
Dr. Utz Anhalt: Diese Jahrgänge bekommen am wenigsten Rente
Was „Rentenverlierer“ meint – und was nicht
Das Etikett beschreibt keine juristische Kategorie, sondern eine realpolitische Konstellation: Bestimmte Kohorten sind von Strukturwandel, Arbeitsmarktreformen und gesellschaftlichen Rollenbildern stärker betroffen als andere.
Wer in den 1960er-Jahren eine Ausbildung begann und jahrzehntelang ohne Unterbrechungen im selben Beruf blieb, hat häufig kontinuierlich Beiträge gezahlt und damit viele Entgeltpunkte gesammelt. In jüngeren Jahrgängen zeigt sich dagegen öfter eine brüchige Erwerbsbiografie: Umschulungen, Phasen ohne Beschäftigung, Teilzeit, befristete Verträge, Solo-Selbstständigkeit auf Honorarbasis.
Solche Brüche sind nicht „Schuld“ einzelner – sie spiegeln Transformationsprozesse, etwa nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland oder den Strukturwandel in Industrieregionen wie dem Ruhrgebiet. Für die Rente zählt aber ausschließlich, was in Entgeltpunkten ankommt.
Jahrgänge unter Druck: Späte 1950er, frühe 1960er – und ab 1964 die volle „67“
Deutlich ungünstiger ist die Ausgangslage für Versicherte, die späte 1950er und frühe 1960er Jahrgänge angehören. Diese Generation musste häufiger umschulen, neu starten oder längere Niedriglohnphasen überbrücken.
Hinzu kommt eine politisch beschlossene Altersschwelle: Für alle ab Jahrgang 1964 gilt die Regelaltersgrenze von 67 Jahren vollständig, umgesetzt bis 2031. Wer früher geht, muss dauerhaft Abschläge hinnehmen; wer später geht, profitiert von Zuschlägen. Das ist amtlicher Stand der Deutschen Rentenversicherung.
Frauen der Jahrgänge 1955 bis 1970: Die fortwirkende Lücke
Besonders ausgeprägt sind Nachteile weiterhin bei vielen Frauen, die zwischen 1955 und 1970 geboren wurden. Teilzeit wegen Kindererziehung, Pflege von Angehörigen und Karriereunterbrechungen schlagen sich in geringeren Entgeltpunkten nieder.
Zwar werden Kindererziehungs- und Pflegezeiten angerechnet, die Lücke zu vielen männlichen Erwerbsbiografien aus dieser Kohorte bleibt dennoch groß – ein strukturelles Problem, das erst nach und nach kleiner wird.
Wer sind die Rentenverlierer?
| Gruppe/Kohorte | Warum benachteiligt (Auslöser) |
|---|---|
| Späte 1950er- und frühe 1960er-Jahrgänge | Häufige Umschulungen, Jobwechsel und Phasen der Erwerbslosigkeit; daraus resultierende brüchige Erwerbsbiografien mit weniger Beitragsjahren und Entgeltpunkten. |
| Frauen, geboren ca. 1955–1970 | Teilzeit, Kindererziehung und Pflegezeiten führten zu geringeren Verdiensten; trotz Anrechnungszeiten bleibt oft eine deutliche Rentenlücke. |
| Ostdeutsche Erwerbsbiografien (1990er/2000er) | Transformationsarbeitslosigkeit, lange Übergangsphasen und Niedriglohn prägten die Beiträge; dadurch dauerhaft weniger Entgeltpunkte. |
| Beschäftigte in ehemaligen Industrieregionen (z. B. Ruhrgebiet) | Strukturwandel mit Umschulungen und Langzeitarbeitslosigkeit; häufige Unterbrechungen und niedrigere Beitragsdichten. |
| Geburtsjahrgänge ab 1964 | Vollständige Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67; früherer Rentenbeginn nur mit dauerhaften Abschlägen. |
| Berufseinsteiger der 1990er/2000er Jahre | Praktika, Trainee-Programme, befristete Beschäftigung und Scheinselbstständigkeit/Honorartätigkeit statt stabiler sozialversicherungspflichtiger Jobs. |
| Dauerhaft Geringverdienende | Niedrige Einkommen (z. B. etwa 1.200 € brutto/Monat) führen pro Jahr zu sehr wenigen Entgeltpunkten und damit zu Renten deutlich unter dem Existenzminimum. |
| Langjährige Teilzeitkräfte | Reduzierte Arbeitszeit über viele Jahre hinweg mindert das beitragspflichtige Einkommen und somit die Entgeltpunkte. |
| Personen mit häufigen Erwerbsunterbrechungen | Arbeitslosigkeit, Umschulung und Weiterbildung ohne Beitragszahlung erzeugen Lücken im Versicherungskonto und senken die spätere Rente. |
| Honorarkräfte und Scheinselbstständige ohne durchgehende Pflichtbeiträge | Unregelmäßige oder fehlende Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung; daraus folgen niedrigere Entgeltpunkte. |
| Menschen mit „brüchigen“ Erwerbsbiografien insgesamt | Kombination aus Niedriglohn, Teilzeit, Unterbrechungen und späten Wiedereinstiegen summiert sich zu wenigen Entgeltpunkten. |
| Alle mit wenigen Entgeltpunkten trotz langer Versicherungszeit | Unabhängig vom Geburtsjahrgang führt eine geringe EP-Bilanz zu einem hohen Risiko der Altersarmut. |
Demografie und Finanzierung: Warum die Spielräume enger werden
Mit der steigenden Lebenserwartung wächst die Rentenbezugsdauer. Gleichzeitig schrumpft in vielen Regionen die Zahl der beitragszahlenden Erwerbstätigen pro Rentnerin oder Rentner.
Diese Entwicklung verengt die finanziellen Spielräume der Rentenversicherung und macht individuelle Vorsorgeentscheidungen relevanter. Politische Debatten über weiteres Anheben von Altersgrenzen unterstreichen den Druck, ändern aber nichts an der Mechanik: Ausgezahlt wird nach Entgeltpunkten; politische Parameter verschieben nur die Rahmenbedingungen.
Rechenbeispiel 2025: Wenn 1.200 Euro brutto im Monat nicht reichen
Wie wirken sich niedrige Einkommen über ein Erwerbsleben aus? Ein Beispiel mit den 2025er Rechengrößen macht das plastisch. Das vorläufige Durchschnittsentgelt liegt 2025 bei 50.493 Euro. Wer genau diesen Jahresverdienst erzielt, sammelt einen vollen Entgeltpunkt. Wer 14.400 Euro brutto im Jahr verdient – rund 1.200 Euro pro Monat – kommt damit auf etwa 0,285 Entgeltpunkte pro Jahr.
Über 40 Beitragsjahre ergeben sich so rund 11,41 Punkte. Zum 1. Juli 2025 beträgt der aktuelle Rentenwert 40,79 Euro je Entgeltpunkt. Daraus resultiert eine rechnerische Bruttorente von etwa 465 Euro im Monat, von der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung noch abgehen. Übrig bleibt deutlich weniger, je nach Kasse und Familienstatus.
Das bedeutet: Durchgehend niedrige Einkommen führen, selbst bei langer Beitragszeit, zu Renten deutlich unterhalb des Existenzminimums.
Nicht der Jahrgang entscheidet – die Entgeltpunkte entscheiden
Geburtsjahrgänge erklären Unterschiede, sie determinieren sie nicht. Auch innerhalb derselben Kohorte fallen Renten höchst unterschiedlich aus. Maßgeblich sind die über das gesamte Erwerbsleben akkumulierten Entgeltpunkte. Wer lange Teilzeit gearbeitet hat, häufig unterbrochen war oder dauerhaft im Niedriglohnsektor beschäftigt war, hat ein reales Risiko, im Alter auf ergänzende Leistungen angewiesen zu sein.
Umgekehrt können zusätzliche Beitragsjahre, höhere Verdienste in der zweiten Lebenshälfte oder nachgeholte Beitragszeiten die Bilanz deutlich verbessern.
Konto klären, Lücken schließen, Beiträge optimieren
Der wichtigste erste Schritt ist die Kontenklärung bei der Deutschen Rentenversicherung. Viele Versicherungsverläufe enthalten Lücken oder unvollständige Nachweise, etwa zu Ausbildungs-, Erziehungs- oder Pflegezeiten.
Wer diese Zeiten belegt, verbessert unmittelbar seine Entgeltpunkte. Infrage kommen außerdem freiwillige Beiträge, Nachzahlungen oder Ausgleichszahlungen für geplante vorzeitige Renten. Je nach Beschäftigungssituation kann eine betriebliche Altersversorgung mit Arbeitgeberzuschuss lohnender sein als eine reine Entgeltumwandlung. Bei staatlich geförderten privaten Produkten wie Riester- oder Basisrente gilt: Kosten, Garantien, erwartbare Rendite und Flexibilität kritisch vergleichen – nicht jedes Angebot passt zu jeder Lebenslage.
Weiterbildung und späte Jahre: Wie sich die Rente noch heben lässt
Weiterbildung und qualifikatorische Sprünge steigern das Einkommen – und damit direkt die Entgeltpunkte. Auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze lohnt sich ein Hinausschieben des Rentenbeginns: Für jeden Monat späteren Rentenbezugs gibt es einen Zuschlag von 0,5 Prozent auf die Rente; zusätzlich wirken die weiter eingezahlten Beiträge rentenerhöhend. Das ist der Kern der Flexirente.
Grundrente: Aufwertung für lange Beitragszeiten mit niedrigem Lohn
Seit 2021 prüft die Rentenversicherung automatisch, ob ein Grundrentenzuschlag zusteht. Er kommt für Menschen in Betracht, die sehr lange Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung haben, aber überwiegend wenig verdient und daher nur geringe Entgeltpunkte erworben haben. Ein Anspruch beginnt ab 33 Jahren sogenannter Grundrentenzeiten, der volle Zuschlag wird ab 35 Jahren erreicht. Das kann die Monatsrente spürbar erhöhen, ersetzt aber keine volle Erwerbsbiografie.
Wohngeld-Plus 2025: Entlastung bei hoher Miete – und ein wichtiger Freibetrag
Zum Jahresbeginn 2025 wurde das Wohngeld an Preis- und Mietenentwicklung angepasst; im Schnitt steigt die Leistung um etwa 15 Prozent beziehungsweise rund 30 Euro monatlich. Ob und in welcher Höhe ein Anspruch besteht, hängt von Einkommen, Haushaltsgröße, Mietbelastung und der Mietstufe der Kommune ab. Ein offizieller Wohngeld-Rechner hilft bei der ersten Orientierung, eine verbindliche Prüfung übernimmt die zuständige Wohngeldbehörde.
Für Rentnerinnen und Rentner mit mindestens 33 Jahren Grundrentenzeiten gibt es zudem einen besonderen Freibetrag, der sowohl in der Grundsicherung als auch beim Wohngeld wirkt. Pauschal bleiben 100 Euro der gesetzlichen Bruttorente anrechnungsfrei; vom darüberliegenden Betrag werden weitere 30 Prozent nicht angerechnet. Der Freibetrag ist gedeckelt und beträgt 2025 maximal 281,50 Euro im Monat. Das verbessert die Chance auf Wohngeld und kann die Leistungshöhe merklich erhöhen.
Fazit: Kein Schicksal, aber Arbeit – wer früh gegensteuert, gewinnt
„Rentenverlierer“ werden nicht geboren, sie entstehen aus einer Summe biografischer und struktureller Faktoren. Jahrgänge mit mehr Brüchen tragen statistisch höhere Risiken, doch auch innerhalb dieser Gruppen entscheidet am Ende die individuelle Entgeltpunktbilanz.
Wer sein Rentenkonto früh klärt, Lücken schließt, Fördermöglichkeiten nutzt, Weiterbildung ernst nimmt und Optionen wie die Flexirente abwägt, kann seine Alterseinkünfte noch deutlich verbessern. Und wer im Ruhestand trotz geringer Rente die Miete kaum stemmen kann, sollte die Wohngeld-Dynamisierung 2025 und den Grundrenten-Freibetrag unbedingt prüfen lassen – hier liegen für viele Betroffene heute die schnellsten, legalen Hebel für ein spürbar höheres verfügbares Monatseinkommen.
Quellenhinweise (Auswahl): Aktueller Rentenwert 2025 und Rentenanpassung, Deutsche Rentenversicherung und Bundesregierung; vorläufiges Durchschnittsentgelt 2025 laut DRV-Zahlen & Tabellen; Regelaltersgrenze 67 ab Jahrgang 1964; Flexirente mit 0,5 % Zuschlag pro Monat; Wohngeld-Anpassung 2025; Grundrentenzeiten und Freibetrag bei Grundsicherung und Wohngeld, Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt.




