LSG Darmstadt: Arbeitnehmer muss nicht auf Teilzeitstelle klagen
Nur teilweise erwerbsgeminderte Arbeitnehmer können Anspruch auf eine volle Erwerbsminderung haben, wenn es keine passenden Teilzeitstellen gibt. Arbeitnehmer müssen dabei nicht bei ihrem Arbeitgeber einen möglichen Teilzeitanspruch geltend machen oder gar gerichtlich durchsetzen, entschied hierzu das Hessische Landessozialgericht (LSG) in Darmstadt in einem am Mittwoch, 16. Oktober 2019 veröffentlichten Urteil (Az.: L 5 R 226/18).
Nach jahrzehntelanger ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel haben Versicherte einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung trotz eines nur teilweise geminderten Leistungsvermögens, wenn der Teilzeitarbeitsmarkt für sie „verschlossen” ist, sie also faktisch keinen passenden Teilzeit-Arbeitsplatz finden können (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 11. Dezember 1969, Az.: GS 2/68 und vom 10. Dezember 1976, GS 2/75).
Das gilt als erfüllt, wenn weder Rentenversicherung noch Arbeitsagentur innerhalb eines Jahres einen entsprechenden Arbeitsplatz anbieten können. In der Praxis verzichtet die Rentenversicherung oft von vornherein auf eine Prüfung, weil sie weiß, dass die Suche nach einem solchen Arbeitsplatz aussichtslos ist. Allerdings gilt der Arbeitsmarkt nicht als „verschlossen”, wenn der Versicherte noch einen Arbeitsplatz hat und ein Arbeitsentgelt bezieht.
Der Kläger war Bauzeichner und war ab 2012 wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig. Aufgrund tarifvertraglicher Regelungen wurde sein Arbeitsverhältnis ruhend gestellt. Er erhielt zunächst Kranken- und dann Arbeitslosengeld.
Nach gutachterlichen Feststellungen hätte er danach noch drei bis unter sechs Stunden am Tag arbeiten können. Sein Arbeitgeber erklärte aber, dass er einen entsprechenden leidensgerechten Arbeitsplatz nicht anbieten könne. Einen Antrag auf eine Teilzeitbeschäftigung stellte der Bauzeichner daher nicht.
Die Rentenversicherung bewilligte nur eine Rente wegen teilweiser, nicht aber die beantragte Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Bauzeichner hätte bei seinem Arbeitgeber einen möglichen Anspruch auf eine Teilzeitbeschäftigung beantragen und durchsetzen müssen.
Wie nun das LSG Darmstadt entschied, kann die Rentenversicherung dies nicht verlangen. Der Bauzeichner habe seine Mitwirkungspflichten nicht verletzt. Um einen Teilzeit-Arbeitsplatz zu erhalten, müssten Versicherte nicht „aktiv” gegen Dritte, hier den Arbeitgeber, vorgehen und schon gar nicht klagen. Dies sehe das Gesetz nicht vor und entspreche auch nicht Zielen und Zweck der rentenrechtlichen Regelungen.
Gegen dieses jetzt schriftlich veröffentlichte Urteil vom 23. August 2019 ließ das LSG die Revision zum BSG zu. mwo/fle
- Über den Autor
- Letzte Beiträge des Autors