Sozialhilfe: Sozialamt muss Bestattungskosten zahlen

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Bei wirksamer Ausschlagung der verschuldeten Erbschaft ihres verstorbenen Mannes ist es für eine im Pflegeheim wohnende Sozialhilfeempfängerin nicht zumutbar, die Bestattungskosten ihres Mannes zu bezahlen. Der Leistungsträger muss die angemessenen Kosten der Bestattung für die mittellose Hilfeempfängerin übernehmen.

Der Einsatz eines Nachlasses ist dem Bestattungspflichtigen grundsätzlich zumutbar.

Was Andres gilt aber, wenn – wie hier – die Erbschaft durch die Betreuerin wirksam ausgeschlagen wurde und dies nicht rechtsmissbräuchlich war, denn die Erbschaft war verschuldet und somit wollte die Leistungsbezieherin den Nachlassverbindlichkeiten entgehen.

Wird die Erbschaft ausgeschlagen, so gilt der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt (§ 1953 Abs. 1 BGB) – und zwar rückwirkend.

Es ist unmöglich, bei tatächlicher Ausschlagung einer Erbschaft den Ausschlagenden sozialhilferechtlich so zu stellen, als habe er den Nachlass doch erhalten.

Das Sozialamt will hier nicht die Bestattungskosten für die im Pflegeheim wohnende, unter Betreuung stehende, Sozialhilfe-Bezieherin zahlen, weil der Leistungsträger sagt

Der Nachlass muss vorrangig für die Bestattungskosten eingesetzt werden

Rechtswidrig sagt das Landessozialgericht Stuttgart Az. L 2 SO 2100/23.

Begründung: Anspruchsgrundlage für die Übernahme von Bestattungskosten ist § 74 SGB XII – Zumutbarkeit
Nach § 74 SGB XII können die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen werden, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden könne, die Kosten zu tragen. Die Klägerin ist als Angehörige die Ehegattin gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 BestattG BW zur Bestattung ihres Ehemannes verpflichtet gewesen.

Der Hilfeempfängerin war die Kostenübernahme aber nicht zumutbar

Die Bestattungskosten selbst zu tragen war für die Ehefrau nicht zumutbar. Für die Prüfung der Zumutbarkeit komme es nicht auf die Verhältnisse am Tag des Todes oder der Bestattung an

Denn entscheidend sind die Verhältnisse zu den Zeitpunkten, in denen die Forderungen für die Bestattungsleistungen jeweils fällig gewesen seien (BSG Urteil vom 04.04.2019 – B 8 SO 10/18 R -).

Genau an diesen Tagen müssen Einkommen oder Vermögen als sog. – bereite Mittel – zur Verfügung stehen, der Sozialhilfeträger meint aber, es sei unrelevant, ob der Nachlass als bereite Mittel zur Verfügung stehe.

Bei wirksamer Ausschlagung der Erbschaft tritt die Erbschaft in den Hintergrund – der Anfall der Erbschaft wird von Anfang an beseitigt.

Auch wenn die Ausschlagung des Nachlasses (z.T.) erst nach der Fälligkeit der Rechnungen erfolgt ist, so ist zu beachten, dass, sofern – wie hier – eine wirksame Ausschlagung vorliegt, der Anfall der Erbschaft von Anfang an beseitigt wird. Der Ausschlagende ist demnach so anzusehen, als sei er nie Gesamtrechtsnachfolger gewesen.

Für die Ehefrau war es aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation jedoch unzumutbar, die Bestattungskosten selbst zu tragen.

Durchgehender Bezug von Sozialhilfeleistungen – nenenswertes Vermögen war nicht vorhanden

Verwertbares Einkommen habe sie nicht gehabt, sie habe durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezogen, so das Gericht, außerdem stand ihr auch kein Vermögen zur Verfügung , um die Bestattungskosten in Höhe von rund 2100 € zu bezahlen.

Der Einsatz eines Nachlasses ist dem Bestattungspflichtigen – grundsätzlich zumutbar

Aber Der Nachlass muss aber (noch) vorhanden sein, also als „bereites Mittel“ zur Verfügung stehen (Berlit in: LPK-SGB XII, 12. Aufl., § 74 Rn. 11; S). Dies ist aber hier nicht der Fall gewesen, denn die Betreuerin der Klägerin habe für diese die Erbschaft ausgeschlagen.

Wird die Erbschaft ausgeschlagen, so gilt der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt (§ 1953 Abs. 1 BGB ) – und zwar rückwirkend.

Der Ausschlagende ist deshalb so zu behandeln, als ist er nie Gesamtrechtsnachfolger gewesen und als hätten ihm die Aktiva des Erblassers nie zur Verfügung gestanden.

Nachrang der Sozialhilfe § 2 Abs. 1 SGB XII kommt hier entgegen der Meinung des Leistungsträgers nicht zur Anwendung

Denn: Nach dieser Vorschrift erhält keine Sozialhilfe, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Der Nachranggrundsatz nach dieser Vorschrift ist aber ein bloßer Programmsatz; § 2 Abs. 1 SGB XII stelle keine isolierte Ausschlussnorm dar (BSG Urteil vom 23.03.2021 – B 8 SO 2/20 R – dar.

Außerdem ließen sich mit dieser Vorschrift keine abweichenden tatsächlichen Verhältnisse fingieren (Bayerisches LSG Urteil vom 21.05.2021 – L 8 SO 213/20 – ).

Es ist unmöglich, bei tatächlicher Ausschlagung einer Erbschaft den Ausschlagenden sozialhilferechtlich so zu stellen, als habe er den Nachlass doch erhalten ( LSG Saarland Urteil vom 12.10.2021 – L 11 SO 3/17 – ).

Die Ausschlagung der Erbschaft war auch nicht ” rechtsmissbräuchlich”

Denn der Nachlass des Verstorbenen war überschuldet – trotz des Guthabens auf seinem Konto. Für die Klägerin stand nach Auffassung des Gerichts nicht im Vordergrund, hier höhere Leistungen vom Sozialamt zu erzielen, sondern den Nachlassverbindlichkeiten zu entgehen.

Rechtstipp Sozialrechtsexperte Detlef Brock

1. Ob einem (nachrangig) Verpflichteter im Ergebnis ein Anspruch nach § 74 SGB XII zusteht oder er auf vorrangige Ansprüche verwiesen werden kann, ist eine Frage der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der „Zumutbarkeit“.

Die Anspruchsberechtigung als Verpflichteter iSd. §74 SGB XII wird nicht durch die Kostentragungspflicht des Erben ausgeschlossen, vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2023, Az. B 8 SO 20/22 R.

2. Die Verpflichtung des zuständigen Trägers der Sozialhilfe setzt nach § 74 SGB XII nur voraus, dass die (ggf. bereits beglichenen) Kosten “erforderlich” sind und es dem Verpflichteten nicht “zugemutet” werden kann, diese Kosten (endgültig) zu tragen (BSG Urteil vom 04.04.2019 – B 8 SO 10/18 R – )

Was kann man Betroffenen raten?

Der Beurteilungsmaßstab dafür, was dem Verpflichteten zugemutet werden kann, bestimmt sich zunächst nach den allgemeinen Grundsätzen des Sozialhilferechts (siehe BSG Urteil vom 04.04.2019 – B 8 SO 10/18 R – mit Hinweis auf BSG Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 23/08 R – ). Dabei sind stets die Umstände des Einzelfalls entscheidend.

Der Nachlass, wenn der vorhanden, ist erst mal grundsätzlich für die Beerdigungskosten einzusetzen.

Hierbei muss aber immer der Einzelfall gesehen werden, ob der Nachlass z. Bsp. verschuldet ist, ob eine wirksame Ausschlagung des Nachlasses vorliegt.

Hierzu muss und brauch man Rechtsverdreher, ohne diese geht es nicht.

Man sollte beachten, dass nach neuster Rechtsprechung des 8. Senats des BSG zur Sozialhilfe folgendes gilt:

1. Die Anspruchsberechtigung nach § 74 SGB XII dem Grunde nach ist nicht bereits unter Verweis auf vorrangig Verpflichtete ausgeschlossen. Ob einem (nachrangig) Verpflichteten ein Anspruch zusteht oder er auf vorrangige Ansprüche verwiesen werden kann, ist eine Frage der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Zumutbarkeit.

2. Die Mahn- und Verzugskosten aus dieser Rechnung gehören nur dann zu den erforderlichen Bestattungskosten, wenn sie für die Klägerin gerade wegen ihrer Mittellosigkeit unabwendbar waren und keine anderen Möglichkeiten (etwa Ratenzahlung oder Stundungsabrede) bestanden, um solche Kosten zu vermeiden ( BSG B 8 SO 20/22 R – ).