Erwerbsminderung: Dann führt Depression zur EM-Rente

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Ursache der Mehrheit der Erwerbsminderungsrenten sind heute psychische Erkrankungen. Unter diesen sind wiederum Depressionen am häufigsten. Allerdings berechtigt nicht jede Depression zu einer Erwerbsminderung. Gerade bei psychischen Erkrankungen kann die Auswertung der Schwere der Krankheit kompliziert sein, und oft genug fallen erst die Instanzen der Sozialgerichte die Entscheidung.

Welcher Grundsatz gilt?

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg urteilte zugunsten einer Betroffenen und berief sich dabei auf folgenden Grundsatz:

„Sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt und die Diagnose einer rezidivierenden Depression, mittel- bis schwergradig, zweifelsfrei gesichert, so ist gemäß §§ 43 Abs. 2, 102 Abs. 2 S. 5 SGB 6 dem Versicherten eine Dauerrente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, wenn das Krankheitsbild chronifiziert ist und es unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der  Erwerbsfähigkeit behoben werden kann.“ (L 8 R 326/17).

Erwerbsarbeit, Erwerbslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit

Die Betroffene war bis 1992 als Diplom-Ingenieurin tätig, verlor ihren Arbeitsplatz, nahm an Weiterbildungsmaßnahmen teil, arbeitete als Beraterin bei der Agentur für Arbeit, wurde wieder erwerbslos, pflegte ihre Eltern und ist seit 2011 arbeitsunfähig.

Erster und zweiter Antrag auf Erwerbsminderung

2012 stellte sie einen ersten Antrag auf Erwerbsminderungsrente, den die Rentenversicherung ablehnte. Wenige Monate später stellte sie einen zweiten Antrag und gab darin folgende Beschwerden an:  Schwere Depressionen, Schwerhörigkeit, starke Rückenschmerzen, allgemeine Körperschmerzen, Schlafstörungen, Unruhe, Antriebslosigkeit, chronische Überbelastung und Angstzustände. Dies alles üfhre dazu, dass sie seit Oktober 2010 nicht mehr erwerbsfähig sei.

Was sagen die medizinischen Befunde

Allerdings schätzten die Ärzte in einem Entlassunsgbericht eines Reha-Zentrums, die Betroffene könne ihre bisherigen Tätigkeiten und Tätigkeiten des Allgemeinen Arbeitsmarktes noch sechs Stunden oder länger pro Tag verrichten.

In den Akten fanden sich zahlreiche weitere klinische Berichte. Die Rentenkasse entschied nach Aktenlage, dass die Betroffene nicht erwerbsgemindert sei, denn das Kriterium für eine teilweise Erwerbsminderung ist eine Leistungsfähigkeit von weniger als sechs Stunden pro Tag, bei voller Erwerbsminderung sind es weniger als drei Stunden.

Sozialgericht holt Gutachten ein

Nach abgelehntem Widerspruch begann für die Betroffene der lange Weg durch die Instanzen der Sozialgerichte, und sie reichte beim Sozialgericht Cottbus Klage ein.

Das Sozialgericht holte Befundberichte der behandelnden Ärzte ein, von einem Rheumatologen, einem Allgemeinmeidziner, einer Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenkinde, einem Chirurgen, einem Orthopäden und einem Neurologen, der zugleich Psychiater und Psychotherapeut ist.

Weiter nahmen die Richter Einsicht in das bestehende Gutachten einer Psychiatersfür den Medizinischen Dienst der Krankenkasse. Eigeholt wurde darüber hinaus ein schriftliches Gutachten eines weiteren Psychiaters, Neurologen, Psychoanalytikers und Psychotherapeuten.

Widersprüchliche Gutachten

Dieser stellte als Diagnosen Dysthymia; anhaltende somatoforme Schmerzstörung; Schmerzsyndrom der Wirbelsäule; Schwerhörigkeit beidseits.

Er hielt die Betroffene in der Lage, leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten zu bewältigen und ebenso schwierige geistige Arbeiten. Zwangshaltungen seine zu vermeiden, ebenso längeres Hocken, Knien und Bücken. Allgemeine Arbeiten könne sie in Vollzeit verrichten.

Ein weiteres psychologisch-psychiatrisches Gutachten erkannte eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, chronifiziert, sowie anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Die Betroffene könne aufgrund ihrer seelischen Störung nur weniger als drei Stunden pro Tag arbeiten. Dieser Zustand sei dauerhaft.

Sozialgericht weist Klage ab

Die Richter wogen zwischen den sich widersprechenden Gutachten ab und kamen schließlich zum Ergebnis, dass keine Erwerbsminderung vorliege. Die Betroffene legte Berufung vor dem Landessozialgericht ein, um ihren Anspruch durchzusetzen, und hier bekam sie Recht.

Sie wandte sich in der Begründung gegen das Gutachten, dass ihr volle Erwerbsfähigkeit zugestand.

Dies sei eine falsche Einschätzung, denn dieses Gutachten habe lediglich eine andauernde depressive Verstimmung erkannt. Es widerspreche sämtlichen vorbehandelnden Ärzten. Diese würden nämlich einen gegenwärtig mittelgradige Episode erkennen, verbunden mit einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung.

Gutachten, die volle Erwerbsminderung bescheinigen, sind nahezu identisch

Die Richter am Landessozialgericht kamen zu der Überzeugung, dass das Gutachten, das nur weniger als drei Stunden Arbeit pro Tag für möglich hielt, mit früheren Diagnosen nahezu identisch sei. Die Richter erklärten: „Der Senat folgt den genannten Gutachten in vollem Umfang. Sie sind schlüssig und nachvollziehbar und berücksichtigen die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitseinschränkungen, insbesondere auf psychiatrischem Fachgebiet, umfassend.“

Mehrfache Diagnose einer wiederkehrenden Depression

Sie führten weiterhin aus: „Bei den stationären Aufenthalten wurde mehrfach die Diagnose einer rezidivierenden Depression, mittel- oder sogar schwergradig, gestellt.“

Sie nahmen dabei Bezug auf ein weiteres Gutachten. Dieses kam zu dem Schluss: „Aufgrund des Verlaufes mit Schwankungen, d.h. Wechsel der Schweregrade und der Dauer von inzwischen über zwei Jahren ergibt sich für die Gutachterin bei der Klägerin die Diagnose einer rezidivierten, inzwischen chronifizierten Depression, die sich typischerweise auch in Abhängigkeit von psychosozialer Belastung und Enttäuschungen in ihrem Ausmaß verstärken kann.“

Insgesamt hielten die Richter es für nachgewiesen, dass die Betroffene an mittelschweren bis schweren wiederkehrenden Depressionen leide, und das dauerhaft. Deshalb habe sie Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente.