Sozialhilfe: Das Sozialamt muss Bestattungskosten zahlen

Lesedauer 4 Minuten

Bei wirksamer Ausschlagung der verschuldeten Erbschaft ihres verstorbenen Mannes ist es fรผr eine im Pflegeheim wohnende Sozialhilfeempfรคngerin nicht zumutbar, die Bestattungskosten ihres Mannes zu bezahlen. Der Leistungstrรคger muss die angemessenen Kosten der Bestattung fรผr die mittellose Hilfeempfรคngerin รผbernehmen.

Der Einsatz eines Nachlasses ist dem Bestattungspflichtigen grundsรคtzlich zumutbar.

Was Andres gilt aber, wenn โ€“ wie hier โ€“ die Erbschaft durch die Betreuerin wirksam ausgeschlagen wurde und dies nicht rechtsmissbrรคuchlich war, denn die Erbschaft war verschuldet und somit wollte die Leistungsbezieherin den Nachlassverbindlichkeiten entgehen.

Wird die Erbschaft ausgeschlagen, so gilt der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt (ยง 1953 Abs. 1 BGB) – und zwar rรผckwirkend.

Es ist unmรถglich, bei tatรคchlicher Ausschlagung einer Erbschaft den Ausschlagenden sozialhilferechtlich so zu stellen, als habe er den Nachlass doch erhalten.

Das Sozialamt will hier nicht die Bestattungskosten fรผr die im Pflegeheim wohnende, unter Betreuung stehende, Sozialhilfe-Bezieherin zahlen, weil der Leistungstrรคger sagt

Der Nachlass muss vorrangig fรผr die Bestattungskosten eingesetzt werden

Rechtswidrig sagt das Landessozialgericht Stuttgart Az. L 2 SO 2100/23.

Begrรผndung: Anspruchsgrundlage fรผr die รœbernahme von Bestattungskosten ist ยง 74 SGB XII – Zumutbarkeit
Nach ยง 74 SGB XII kรถnnen die erforderlichen Kosten einer Bestattung รผbernommen werden, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kรถnne, die Kosten zu tragen. Die Klรคgerin ist als Angehรถrige die Ehegattin gem. ยง 21 Abs. 1 Nr. 1 BestattG BW zur Bestattung ihres Ehemannes verpflichtet gewesen.

Der Hilfeempfรคngerin war die Kostenรผbernahme aber nicht zumutbar

Die Bestattungskosten selbst zu tragen war fรผr die Ehefrau nicht zumutbar. Fรผr die Prรผfung der Zumutbarkeit komme es nicht auf die Verhรคltnisse am Tag des Todes oder der Bestattung an

Denn entscheidend sind die Verhรคltnisse zu den Zeitpunkten, in denen die Forderungen fรผr die Bestattungsleistungen jeweils fรคllig gewesen seien (BSG Urteil vom 04.04.2019 – B 8 SO 10/18 R -).

Genau an diesen Tagen mรผssen Einkommen oder Vermรถgen als sog. – bereite Mittel – zur Verfรผgung stehen, der Sozialhilfetrรคger meint aber, es sei unrelevant, ob der Nachlass als bereite Mittel zur Verfรผgung stehe.

Bei wirksamer Ausschlagung der Erbschaft tritt die Erbschaft in den Hintergrund โ€“ der Anfall der Erbschaft wird von Anfang an beseitigt.

Auch wenn die Ausschlagung des Nachlasses (z.T.) erst nach der Fรคlligkeit der Rechnungen erfolgt ist, so ist zu beachten, dass, sofern – wie hier – eine wirksame Ausschlagung vorliegt, der Anfall der Erbschaft von Anfang an beseitigt wird. Der Ausschlagende ist demnach so anzusehen, als sei er nie Gesamtrechtsnachfolger gewesen.

Fรผr die Ehefrau war es aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation jedoch unzumutbar, die Bestattungskosten selbst zu tragen.

Durchgehender Bezug von Sozialhilfeleistungen – nenenswertes Vermรถgen war nicht vorhanden

Verwertbares Einkommen habe sie nicht gehabt, sie habe durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezogen, so das Gericht, auรŸerdem stand ihr auch kein Vermรถgen zur Verfรผgung , um die Bestattungskosten in Hรถhe von rund 2100 โ‚ฌ zu bezahlen.

Der Einsatz eines Nachlasses ist dem Bestattungspflichtigen – grundsรคtzlich zumutbar

Aber Der Nachlass muss aber (noch) vorhanden sein, also als โ€žbereites Mittelโ€œ zur Verfรผgung stehen (Berlit in: LPK-SGB XII, 12. Aufl., ยง 74 Rn. 11; S). Dies ist aber hier nicht der Fall gewesen, denn die Betreuerin der Klรคgerin habe fรผr diese die Erbschaft ausgeschlagen.

Wird die Erbschaft ausgeschlagen, so gilt der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt (ยง 1953 Abs. 1 BGB ) – und zwar rรผckwirkend.

Der Ausschlagende ist deshalb so zu behandeln, als ist er nie Gesamtrechtsnachfolger gewesen und als hรคtten ihm die Aktiva des Erblassers nie zur Verfรผgung gestanden.

Nachrang der Sozialhilfe ยง 2 Abs. 1 SGB XII kommt hier entgegen der Meinung des Leistungstrรคgers nicht zur Anwendung

Denn: Nach dieser Vorschrift erhรคlt keine Sozialhilfe, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermรถgens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehรถrigen oder von Trรคgern anderer Sozialleistungen, erhรคlt. Der Nachranggrundsatz nach dieser Vorschrift ist aber ein bloรŸer Programmsatz; ยง 2 Abs. 1 SGB XII stelle keine isolierte Ausschlussnorm dar (BSG Urteil vom 23.03.2021 – B 8 SO 2/20 R – dar.

AuรŸerdem lieรŸen sich mit dieser Vorschrift keine abweichenden tatsรคchlichen Verhรคltnisse fingieren (Bayerisches LSG Urteil vom 21.05.2021 – L 8 SO 213/20 – ).

Es ist unmรถglich, bei tatรคchlicher Ausschlagung einer Erbschaft den Ausschlagenden sozialhilferechtlich so zu stellen, als habe er den Nachlass doch erhalten ( LSG Saarland Urteil vom 12.10.2021 – L 11 SO 3/17 – ).

Die Ausschlagung der Erbschaft war auch nicht ” rechtsmissbrรคuchlich”

Denn der Nachlass des Verstorbenen war รผberschuldet – trotz des Guthabens auf seinem Konto. Fรผr die Klรคgerin stand nach Auffassung des Gerichts nicht im Vordergrund, hier hรถhere Leistungen vom Sozialamt zu erzielen, sondern den Nachlassverbindlichkeiten zu entgehen.

Rechtstipp Sozialrechtsexperte Detlef Brock

1. Ob einem (nachrangig) Verpflichteter im Ergebnis ein Anspruch nach ยง 74 SGB XII zusteht oder er auf vorrangige Ansprรผche verwiesen werden kann, ist eine Frage der Prรผfung des Tatbestandsmerkmals der โ€žZumutbarkeitโ€œ.

Die Anspruchsberechtigung als Verpflichteter iSd. ยง74 SGB XII wird nicht durch die Kostentragungspflicht des Erben ausgeschlossen, vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2023, Az. B 8 SO 20/22 R.

2. Die Verpflichtung des zustรคndigen Trรคgers der Sozialhilfe setzt nach ยง 74 SGB XII nur voraus, dass die (ggf. bereits beglichenen) Kosten “erforderlich” sind und es dem Verpflichteten nicht “zugemutet” werden kann, diese Kosten (endgรผltig) zu tragen (BSG Urteil vom 04.04.2019 – B 8 SO 10/18 R – )

Was kann man Betroffenen raten?

Der BeurteilungsmaรŸstab dafรผr, was dem Verpflichteten zugemutet werden kann, bestimmt sich zunรคchst nach den allgemeinen Grundsรคtzen des Sozialhilferechts (siehe BSG Urteil vom 04.04.2019 – B 8 SO 10/18 R – mit Hinweis auf BSG Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 23/08 R – ). Dabei sind stets die Umstรคnde des Einzelfalls entscheidend.

Der Nachlass, wenn der vorhanden, ist erst mal grundsรคtzlich fรผr die Beerdigungskosten einzusetzen.

Hierbei muss aber immer der Einzelfall gesehen werden, ob der Nachlass z. Bsp. verschuldet ist, ob eine wirksame Ausschlagung des Nachlasses vorliegt.

Hierzu muss und brauch man Rechtsverdreher, ohne diese geht es nicht.

Man sollte beachten, dass nach neuster Rechtsprechung des 8. Senats des BSG zur Sozialhilfe folgendes gilt:

1. Die Anspruchsberechtigung nach ยง 74 SGB XII dem Grunde nach ist nicht bereits unter Verweis auf vorrangig Verpflichtete ausgeschlossen. Ob einem (nachrangig) Verpflichteten ein Anspruch zusteht oder er auf vorrangige Ansprรผche verwiesen werden kann, ist eine Frage der Prรผfung des Tatbestandsmerkmals der Zumutbarkeit.

2. Die Mahn- und Verzugskosten aus dieser Rechnung gehรถren nur dann zu den erforderlichen Bestattungskosten, wenn sie fรผr die Klรคgerin gerade wegen ihrer Mittellosigkeit unabwendbar waren und keine anderen Mรถglichkeiten (etwa Ratenzahlung oder Stundungsabrede) bestanden, um solche Kosten zu vermeiden ( BSG B 8 SO 20/22 R – ).