Schwerbehinderung: Kein Merkzeichen G nur wegen Übergewicht

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Berechtigt ein allein übergewichtiger Körperzustand (Adipositas) zur Anerkennung des Merkzeichens „G“?
Ein 137 kg schwerer Kläger begehrte das Merkzeichen „G“ im Schwerbehindertenausweis. Er litt an Adipositas und konnte nach eigenen Angaben wegen Übergewichts sowie Knieproblemen nur schlecht gehen.

Vorinstanz gab dem Kläger recht

Das Sozialgericht Stade (Az. S 2 SB 49/21) sprach dem Kläger das Merkzeichen „G“ zu. Es folgte dem Sachverständigengutachten, wonach das Gehvermögen multifaktoriell eingeschränkt sei und die medizinischen Voraussetzungen erfüllt seien. Unstreitig wirke sich auch die Adipositas auf das Gehvermögen aus.

LSG Niedersachsen-Bremen hebt auf: Adipositas allein genügt nicht

Mit Urteil vom 20.08.2025 (L 13 SB 31/24, Revision zugelassen) folgte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen dieser Auffassung nicht und gab der Behörde recht.
Nach den medizinischen Feststellungen bestanden keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass der Kläger wegen einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens ortsübliche Wegstrecken zu Fuß nicht zurücklegen könne.

Beweiswürdigung: Orthopädisches Gutachten war ausschlaggebend

Der Senat stützte sich auf das orthopädische Sachverständigengutachten und nicht auf die vom SG Stade herangezogenen anderen Ausführungen. Danach ist die Gehstrecke des Klägers zwar deutlich reduziert – bedingt durch erhebliche Adipositas sowie Knie- und Kreuzschmerzen, teils unter Nutzung einer Gehhilfe (Gehstütze/Rollator).

Entscheidend: Der Sachverständige führte überzeugend aus, dass die Hauptursache für die Einschränkungen das massive Übergewicht sei, das den gesamten Bewegungsapparat überlastet. Strukturelle Funktionsstörungen (z. B. erhebliche Gelenkbewegungseinschränkungen, Spinalkanalstenose) ließen sich nicht nachweisen.

Rechtsrahmen: Was sagen die VMG?

Nach Teil B Nr. 15.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) begründet Adipositas für sich genommen keinen GdB. Erst Folge- oder Begleiterkrankungen – insbesondere am kardiopulmonalen System oder am Stütz- und Bewegungsapparat – können einen GdB und damit ggf. die Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ rechtfertigen.
Schwierigkeiten und Schmerzen, die primär aus gewichtsbedingter Überlastung entstehen, sind daher nicht mit einer Behinderung im rechtlichen Sinne gleichzusetzen.

Kernaussage des Urteils

Der Senat war überzeugt, dass die Ursache dafür, dass der Kläger eine ortsübliche Wegstrecke von etwa 2 km in rund 30 Minuten aktuell nicht bewältigen kann, wesentlich im Übergewicht liegt – ohne hinreichende, VMG-relevante zusätzliche Funktionsstörungen.

Bedeutung für Betroffene: Wann kommt „G“ in Betracht?

Adipositas allein reicht nicht für das Merkzeichen „G“.
Erforderlich sind signifikante Folgeerkrankungen (VMG-relevant), z. B. ausgeprägte orthopädische Schäden oder kardiopulmonale Einschränkungen mit nachweisbarer funktioneller Auswirkung auf das Gehen.

Nachweise durch fachärztliche Befunde und objektivierbare Funktionsmessungen erhöhen die Erfolgsaussichten.
Eine reine Leistungs- oder Belastungsschwäche infolge Übergewichts genügt nicht.

Anmerkung des Verfassers

Kernfrage ist, ob die Unfähigkeit, eine ortsübliche Wegstrecke von etwa 2 km in angemessener Zeit zu bewältigen, das Merkzeichen „G“ auch dann rechtfertigt, wenn der Grund im Wesentlichen allein ein übergewichtiger Körperzustand ist und weitere, das Gehvermögen strukturell beeinträchtigende Behinderungen (insbesondere am Stütz- und Bewegungsapparat oder internistisch) nicht in nennenswertem Ausmaß feststellbar sind.

Das LSG Niedersachsen-Bremen hat zur Klärung dieser Grundsatzfrage die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.

Fazit

Eine Adipositas als primäre Ursache einer Gehbehinderung erfüllt nicht die Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“. Erst bei nachweisbaren, VMG-relevanten Folgeerkrankungen kann eine Zuerkennung in Betracht kommen. Betroffene sollten ihre medizinischen Unterlagen gezielt auf objektivierbare Funktionsdefizite prüfen (und ggf. ergänzen lassen), bevor sie einen entsprechenden Antrag stellen oder ein Rechtsmittel verfolgen.