Sozialhilfe: Müssen 416.250 Euro aus der Unfallversicherung als Vermögen eingesetzt werden?

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Mit wegweisender Entscheidung vom 16.12.2024 gibt das Sozialgericht Koblenz (Urteil S 10 SO 35/24 ) bekannt, dass ein infolge eines Unfalls mehrfach behinderte Kläger keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII hat.

Er war der Ansicht, dass die Zahlung aus der privaten Unfallversicherung in Höhe von 416.250 Euro nicht als Vermögen eingesetzt werden müsse.

Keine besondere Härte nach § 90 Abs. 3 SGB XII

Nach Auffassung der Kammer liegt keine besondere Härte nach § 90 Abs. 3 SGB XII vor. Insbesondere sind Leistungen aus privater Unfallversicherung weder Schmerzensgeld noch damit vergleichbar.

Kurzbegründung des Gerichts

Nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde.

Der Begriff der Härte ist zunächst im Zusammenhang mit den Vorschriften über das Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 SGB XII zu sehen, d.h. das Ziel der Härtevorschrift muss in Einklang mit den Bestimmungen über das Schonvermögen stehen, nämlich dem Sozialhilfeempfänger einen gewissen Spielraum in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit zu erhalten (BSG, Urteil vom 30.04.2020 – B 8 SO 12/18 – ).

Für die Anwendung des § 90 Abs. 3 SGB XII die Herkunft des Vermögens grundsätzlich unerheblich

In der Rechtsprechung sind hiervon allerdings Ausnahmen für diejenigen Konstellationen anerkannt, in denen der gesetzgeberische Grund für die Nichtberücksichtigung einer laufenden Zahlung als Einkommen (vgl. § 82 ff. SGB XII) auch im Rahmen der Vermögensanrechnung durchgreift, weil das Vermögen den gleichen Zwecken zu dienen bestimmt ist wie die laufende Zahlung selbst (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2007 – B 8/9b SO 20/06 R – ).

Vor diesem Hintergrund bleibt auch ein aus Schmerzensgeldzahlungen gebildetes Vermögen grundsätzlich nach § 90 Abs. 3 SGB XII einsatzfrei. Denn gemäß § 83 Abs. 2 SGB XII ist eine Entschädigung, die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geleistet wird, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Ein aus Schmerzensgeldzahlungen gebildetes Vermögen ist angesichts der gleichen Zweckbestimmung daher ebenfalls zu privilegieren (vgl. BSG, Urteil vom 15.4.2008 – B 14/7b AS 6/07 R – ).

Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung sind keine Schmerzensgeldzahlungen i.S.d. § 253 Abs. 2 BGB und sind diesen auch nicht gleichzustellen

Denn die vom Kläger erhaltene Versicherungsleistung ist bereits deshalb kein Schmerzensgeld im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB, weil das private Unfallversicherungsunternehmen, – nicht Schädiger des Klägers ist (vgl. SG Karlsruhe, Urteil vom 20.11.2018 – S 15 AS 2690/18 – ).

Die privaten Unfallversicherungsleistungen sind auch nicht mit Schmerzensgeldzahlungen vergleichbar

Den Versicherungsleistungen aus einer privaten Unfallversicherung liegt auch – kein mit der Doppelfunktion des Schmerzensgeldes vergleichbarer (immaterieller) Zweck zugrunde.

Invaliditätsleistungen einer privaten Unfallversicherung und Schmerzensgeldzahlungen i.S.d. § 253 Abs. 2 BGB können zwar denselben Anlass haben, nämlich eine Beeinträchtigung der körperlichen Integrität oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit.

Die Leistungen der Unfallversicherung dienen aber gerade nicht speziell der Entschädigung immaterieller Unfallfolgen; sie sollen vielmehr vor allem die wirtschaftlichen, d.h. die materiellen Einbußen kompensieren, die der Versicherte infolge seiner Invalidität erleidet (vgl. so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.12.2010 – L 19 AS 2075/10 B ER; LSG Sachsen, Urteil vom 13.03.2008 – L 2 AS 143/07 – ).

Praxistipp zum Bürgergeld vom Experten für Sozialrecht Detlef Brock

Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung werden aufgrund eines Unfallereignisses (Versicherungsfall im Sinne des SGB VII) zur Abmilderung der Folgen einer längerfristigen vollen oder teilweisen Minderung der Erwerbsfähigkeit und damit verbundenen Lohneinbußen erbracht.

Die Renten nach den §§ 56 ff. SGB VII sind zwar Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbracht werden, jedoch dienen sie demselben Zweck wie das Bürgergeld, nämlich der Sicherung des Lebensunterhalts.

Für die – hinsichtlich der Zweckrichtung vergleichbare – Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist bereits höchstrichterlich anerkannt, dass entsprechendes Einkommen und Vermögen keiner Privilegierung unterliegt, auch nicht anteilig (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2007 – B 11b AS 15/06 R und Urteil vom 06.12.2007 – B 14/7b AS 20/07 R; zur Verfassungsmäßigkeit vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.03.2011 – 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08).

Die dort geführte Argumentation ist nach meiner Auffassung auf die Anrechnung von Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung übertragbar.

Die gewährte Verletztenrente wird somit als Einkommen unter Berücksichtigung der Absetzbeträge nach § 11b Absatz 1 Satz 1 SGB II berücksichtigt. Ein ggf. vorhandener Grad der Behinderung ist für diese Betrachtung nicht relevant.

Etwas anderes gilt in Fallgestaltungen, in denen die Verletztenrente einen gleichzeitig bestehenden Anspruch auf eine Grundrente nach dem BVG gemäß § 65 Absatz 1 BVG zum Ruhen bringt.

Denn mit Urteil vom 17.10.2013 – B 14 AS 58/12 R – hat das BSG entschieden, dass in diesen Fällen der Teil der Verletztenrente nicht als Einkommen nach dem SGB II zu berücksichtigen ist, der der Grundrente nach dem BVG entspricht.