Sozialamt wollte Behinderten zum Heimwechsel zwingen

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Kommunen dรผrfen Menschen mit Behinderung nicht zum Umzug vom Pflegeheim in eine Behinderteneinrichtung drรคngen. Die Selbstbestimmung behinderter Menschen sei โ€žvorrangig vor vermeintlich besseren Hilfsangeboten”, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle in einem am Dienstag, 25. Mai 2021, bekanntgegebenen Eilbeschluss (Az.: L 8 SO 47/21 B ER).

Schwerbehinderter sollte umziehen

Danach kann ein 52-jรคhriger Mann jedenfalls vorerst weiter in seinem Pflegeheim im Harz bleiben. Wegen zahlreicher Erkrankungen wie Diabetes, รœbergewicht, Inkontinenz und Vorhofflimmern ist er schwerbehindert und pflegebedรผrftig. Die nicht gedeckten Heimkosten in Hรถhe von 630 Euro monatlich hatte bislang das Sozialamt des Ennepe-Ruhr-Kreises รผbernommen. Im Oktober teilte das Sozialamt dem Mann mit, eine Betreuung in einer Einrichtung fรผr Menschen mit Behinderung sei fรผr ihn doch viel geeigneter.

Sozialamt darf Behinderte nicht zum Heimwechsel zwingen

Hintergrund war aber wohl nicht nur das Interesse an einer bestmรถglichen Versorgung, sondern auch das Geld. Fรผr die Behinderteneinrichtung kรถnne er einen Kostenantrag auf Eingliederungshilfe beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe stellen, so das Sozialamt. Dies ist der Trรคger der รผberรถrtlichen Sozialhilfe, fรผr den alle Kommunen in Westfalen-Lippe gemeinsam aufkommen. Die eigene Unterstรผtzung stellte das Sozialamt des Ennepe-Ruhr-Kreises ein.

Der 52-Jรคhrige fรผhlte sich allerdings im Pflegeheim gut versorgt und wollte von dem Wechsel nichts wissen. Er fรผrchtet, eine Behinderteneinrichtung werde seinem hohen Pflegebedarf nicht gerecht, und auch die Rรผcksichtnahme auf psychische Probleme werde wohl geringer sein. Um seinen Pflegeheimplatz nicht zu verlieren, zog er vor Gericht.

Mit seinem auch bereits schriftlich verรถffentlichten Eilbeschluss vom 3. Mai 2021 verpflichtete das LSG Celle das Sozialamt, die Heimkosten jedenfalls vorlรคufig weiter zu รผbernehmen. Nach Grundgesetz und UN-Behindertenrechtskonvention hรคtten behinderte Menschen ein Recht auf Autonomie, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Ein Zwang, die Einrichtung zu wechseln, sei damit nicht vereinbar. Der Ennepe-Ruhr-Kreis mรผsse daher die Entscheidung des Mannes respektieren โ€“ selbst dann, wenn er dadurch auf vermeintlich bessere Hilfen verzichtet.

LSG Celle betont Selbstbestimmung behinderter Menschen

โ€žEs gibt keine โ€šVernunfthoheit’ staatlicher Organe รผber die Grundrechtsberechtigten”, heiรŸt es in dem Beschluss. Der 52-Jรคhrige habe ausdrรผcklich entschieden, keinen Antrag auf Eingliederungshilfe zu stellen. Anhaltspunkte, dass er zur entsprechenden Willensbildung nicht in der Lage sei, gebe es nicht. Daher dรผrfe ihn der Landkreis nicht zu einem Einrichtungswechsel drรคngen. Mit der Verweigerung der bisherigen Unterstรผtzung habe das Sozialamt โ€žunzulรคssig Druck ausgeรผbt”, rรผgte das LSG. mwo/fle