Schwerbehinderung: Präventionsverfahren ist auch in der Probezeit Pflicht

Lesedauer 2 Minuten

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln könnte die Rechte schwerbehinderter Arbeitnehmer erheblich stärken (falls es rechtskräftig wird). Ein Präventionsverfahren muss, diesem Urteil zufolge, bei einem Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung auch dann durchgeführt werden, wenn dieser sich noch in der Wartezeit befindet.

Dieses Urteil steht im Widerspruch zur Ansicht des Bundesarbeitsgerichts.

Was genau ist ein Präventionsverfahren?

Treten Probleme zwischen einem schwerbehinderten Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber auf, dann ist der Arbeitgeber verpflichtet, zuerst ein Präventionsverfahren durchzuführen. Wie dieses genau aussehen soll, ist gesetzlich nicht geregelt. (Paragraf 167 SGB IX).

Wozu dient das Präventionsverfahren?

Das Präventionsverfahren soll, wenn möglich, einer Kündigung vorbeugen. Allerdings garantiert dieses Verfahren nicht, den Arbeitsplatz zu behalten.

Im Präventionsverfahren entscheidet der Arbeitgeber nicht allein. Interne und externe Fachleute beteiligen sich, diskutieren die Situation, und führen die Maßnahme durch. Das können Rehabilitationsträger sein, die Schwerbehindertenvertretung und das Integrationsamt.

Wann muss ein Präventionsverfahren durchgeführt werden?

Ist der Arbeitsplatz eines Schwerbehinderten gefährdet, besteht grundsätzlich eine Pflicht, ein solches Verfahren durchzuführen. Eine Kündigung eines Menschen mit Schwerbehinderung ohne solche Vorbeugung kann für unwirksam erklärt werden.

Ohne Prävention liegt die Beweislast beim Arbeitgeber

Ohne Präventionsverfahren kann vermutet werden, dass der Grund für die Kündigung Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung war. Dann muss der Arbeitnehmer beweisen, dass dem nicht so ist.

Ist der Schwerbehinderung der Kündigungsgrund?

Allein ein fehlendes Präventionsverfahren führt nicht automatisch dazu, dass eine Kündigung unwirksam wird. Wenn die Kündigungsgründe nämlich nachweislich nicht an der Schwerbehinderung liegen, dann kann auf das Verfahren verzichtet werden.

Präventionsverfahren gilt auch in Probezeit

Das Landesarbeitsgericht Köln entschied am 12.09.2024, dass die Verpflichtung, ein Präventionsverfahren durchzuführen, auch für die Wartezeit / Probezeit gilt, in der ein Mensch mit Schwerbehinderungen noch keinen Kündigungsschutz hat. (6 SLa 76/24). Bislang entschied das Bundesarbeitsgericht anders.

Präventionsverfahren muss innerhalb der ersten sechs Monate durchgeführt werden

Die ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses gelten als Wartezeit beziehungsweise Probezeit. Hier gilt der Kündigungsschutz bisher nicht.

Zeitliche Begrenzung ist nicht gerechtfertigt

Das Landesarbeitsgericht wendete sich damit deutlich gegen die bisherige Beurteilung des Bundesarbeitsgerichts (8 AZR 402/14), das in der Wartezeit keine Verpflichtung zum Präventionsverfahren sah.

Es kritisierte: Weder der Wortlaut der Vorschrift noch eine Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen würde eine (vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene) zeitliche Begrenzung rechtfertigen.

Strukturelle Probleme bei der Durchführung

Das Landesarbeitsgericht stimmte dem Bundesarbeitsgericht in einem anderen Punkt allerdings zu: Es gebe tatsächlich strukturelle Probleme, ein Präventionsverfahren in den ersten sechs Monaten abschließend durchzuführen.

Laut dem Landesarbeitsgericht bedeute dies aber nicht, auf das Verfahren zu verzichten, sondern den Arbeitgebern eine leichtere Beweisführung zu ermöglichen.

Schwerbehindertem wurde ohne Verfahren gekündigt

Schauen wir uns den konkreten Fall an, in dem das Landesarbeitsgericht Köln zu dieser abweichenden Entscheidung kam. Der Kläger hat einen Grad der Behinderung von 80 und war auf dem Bauhof der Kölner Kommune beschäftigt – vom ersten Januar 2023 an.

Am 22. Juni kündigte die Kommune ihm. Es hatte kein Präventionsverfahren gegeben. Der Fall ging vor das Landesarbeitsgericht in Köln.

Kündigungsschutzklage trotzdem abgewiesen

Allerdings hatte in diesem konkreten Fall der gekündigte Mensch mit Schwerbehinderungen doch keinen Erfolg. Denn, so das Gericht, die Tatsachen würde unstreitig belegen, dass die Kündigung nicht wegen der Behinderung des Klägers erfolgte.

Die Entscheidung ist bisher nicht rechtskräftig.