Eine Benachteiligung wegen Schwerbehinderung lässt sich nur vermuten, wenn der Arbeitgeber bei einer Bewerbung von der Schwerbehinderung weiß. Davon ist allerdings auch dann auszugehen, wenn die Schwerbehinderung oder Gleichstellung nur der zentralen Personalabteilung bekannt ist und nicht der Stelle, die letztlich über die Bewerbung entscheidet. So entschied das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (4 SA 186/22).
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Kündigung wegen Stellenwechsel des Professors
Die Betroffene hatte einen befristeten Arbeitsvertrag beim Land Sachsen-Anhalt in Vollzeit. Ihr ist ein Grad der Behinderung von 40 zuerkannt, und sie ist arbeitsrechtlich mit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Sie arbeitete an einer Universität im Rahmen eines Drittmittelprojektes. Als der Professor, für den sie tätig war, an eine andere Universität wechselte und damit auch die Gelder für das Forschungsprojekt, kündigte das Land die Arbeitsstelle der Betroffenen, nach Beteiligung des Personalrats und der Schwerbehindertenvertretung.
Neue Bewerbungen an der Universität
Sie bewarb sich auf eine neue Stelle bei einer Naturwissenschaftlichen Fakultät, für die sie die Voraussetzungen erfüllte, erwähnte allerdings in der Bewerbung nicht ihre Gleichstellung. Sie bewarb sich zudem auf eine weitere interne Stellenausschreibung des Landes als Sekretärin und wies in dem zweiten Bewerbungsschreiben ebenfalls nicht auf ihre Gleichstellung hin.
Gleichstellung war der Universität bekannt
Beide Institute reagierten nicht auf die Bewerbungen. Die Betroffene klagte vor dem Arbeitsgericht Halle (Saale) auf Schadensersatz, weil sie bei beiden Bewerbungen nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen worden war. Dazu hätte aber bei einer Gleichstellung die Pflicht bestanden, um Diskriminierung wegen der Behinderung auszuschließen.
Sie argumentierte, es hätte sich um interne Stellenausschreibungen gehandelt. Sie hätte deshalb nicht auf die bestehende Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen hinweisen müssen, denn diese sei der Universität bekannt gewesen.
Damit hätte das beklagte Land durch die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch offenkundig gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen. Sie hätte deshalb einen Anspruch auf Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern.
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Wie argumentiert das Land?
Das beklagte Land erklärte die Klage für insgesamt unbegründet. Erstens habe sie in den Bewerbungsschreiben nicht auf ihre Gleichstellung hingewiesen, und zweitens besitze sie lediglich Grundkentnnisse in Englisch und sei für die ausgeschriebenen Stellen ungeeignet gewesen.
Das Arbeitsgericht entscheidet gegen die Gleichgestellte
Das Arbeitsgericht stimmte dem zu. Es bestehe kein Anspruch auf Entschädigung, da die Klägerin ihre Schwerbehinderung beziehungsweise ihre Gleichstellung nicht offengelegt habe. Dass die personalführende Stelle des Landes Kenntnis von der Gleichstellung hatte, sei nicht den naturwissenschaftlichen Fakultäten zuzurechnen.
Diese seien nicht zu einer Regelabfrage verpflichtet gewesen, sensible Daten stünden zudem unter besonderem Schutz, und dies spreche gegen eine automatische Weitergabe dieser Daten durch das Personalamt.
Die Betroffene geht in Berufung
Die Betroffene ging vor dem Landesarbeitsgericht in Berufung und bekam hier Recht. Sie argumentierte, dass eine Differenzierung zwischen den jeweiligen Fakultäten und der personalführenden Stelle willkürlich sei und nicht vom Gesetz abgedeckt.
Ausschließlich die zentrale Verwaltung des Personalamtes schließe rechtsgültige Arbeits- und Dienstverträge bei der Universität ab. Auch die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses erfolge durch den Kanzler der Universität.
Das Land hätte eingeräumt, dass ihm die Gleichstellung der Klägerin bekannt gewesen sei. Die Auffassung des Arbeitsgerichts, nach der keine Pflicht bestünde, im Wege einer Regelabfragung in Erfahrung zu bringen, ob Bewerber unter das Benachteiligungsverbot fallen, widerspreche der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und treffe nicht zu.
Es obliege dem Land, dafür zu sorgen, dass das Personalamt und die jeweiligen Fakultäten bei internen Bewerbungen die zum Schutz behinderter Menschen vorgesehenen gesetzlichen Bestimmungen erfüllten.
Wie begründete das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung?
Das Landesarbeitsgericht stimmte dieser Argumentation in vollem Umfang zu. Die Vermutung sei berechtigt, dass die Betroffene eine unmittelbare Benachteiligung wegen ihrer Gleichstellung erfahren habe.
Drei Monatsgehälter seien eine angemessene Entschädigung.
Bei internen Ausschreibungen hätte die zu entscheidende Stelle sich bei der zentralen Personalverwaltung zu informieren, ob bei Bewerbungen Schwerbehinderungen oder Gleichstellungen vorliegen und müsse die Betroffenen zum Vorstellungsgespräch laden.
Regelungen des Datenschutzes stünden dem nicht entgegen.
Eine grundsätzliche Entscheidung, um Schlupflöcher zu stopfen
Das Gericht betonte den grundsätzlichen Charakter dieser Klarstellung. Denn, wenn interne Verantwortlichkeiten dazu führen dürften, dass Bewerber mit Gleichstellung oder Schwerbehinderung nicht eingeladen würden, dann könnte sich ein öffentlicher Arbeitgeber seiner gesetzlichen Pflicht durch eine dezentrale Organisation des Auswahlverfahrens entziehen.
Das Urteil stärkt die Arbeitsrechte von Menschen mit Behinderungen
Für Menschen mit Behinderungen ist dies ein wichtiges Urteil, da es ihre Arbeitsrechte fördert. Bemerkenswert ist der klare Standpunkt des Landesarbeitsgerichtes, dem es nicht nur um den konkreten Fall ging.
Vielmehr schoben die Richter einen Riegel vor mögliche Tricksereien, mit denen sich Arbeitgeber aus ihrer Verpflichtung heraus mogeln, Menschen mit Behinderung zum Vorstellungsgespräch zu laden.
Dabei zeigten die Richter deutlich, dass der öffentliche Arbeitgeber dafür verantwortlich ist, dass die bestehenden Gesetze eingehalten werden und stopften so ein mögliches Schlupfloch, mit dem Arbeitgeber versuchen könnten, die eigene Verantwortung auf gleichgestellte Arbeitnehmer abzuwälzen.