Schwerbehinderung: Kündigungsfrist gilt auch bei Arbeitsunfähigkeit

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Eine Kündigungsfrist läuft auch dann, wenn ein Arbeitnehmer ärztlich attestiert arbeitsunfähig ist. Desweiteren schließt die Arbeitsunfähigkeit eine Anhörung des Betroffenen zu dem dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung nicht generell aus. Er kann vielmehr verpflichtet sein, daran teilzunehmen, wenn ihm dies nicht krankheitsbedingt unmöglich oder unzumutbar ist.

Auch bei Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitgeber gehalten, den Anhörungsprozess durch Einladung zum Personalgespräch einzuleiten. Eine Arbeitsunfähigkeit allein bremst nicht die Ausschlussfrist des Paragrafen 626 Absatz 2 des BGB.

Unterlässt hingegen ein Arbeitgeber während der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers den Versuch einer Anhörung und Kontaktaufnahme, dann ist nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit die ausgesprochene außerordentliche Verdachts- und Tatkündigung unwirksam. Dies gilt, wenn die Frist während der Arbeitsunfähigkeit weiterlief und nach der Arbeitsunfähigkeit vorbei ist. So urteilte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf. (Az: 3 Sa 1077/18)

Außerordentliche und fristlose Kündigung

In diesem Fall ging es um eine außerordentliche und fristlose Kündigung. Der Kläger forderte hingegen Weiterbeschäftigung und eine in seinen Augen ausstehende Zahlung. Er war als Hausmeister im Bereich Facility-Management tätig und verdiente brutto im Durchschnitt 2.350 Euro. Mit einem Grad der Behinderung 30 war er einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Anrufe auf Glücksspiel-Hotline

Während der Arbeit benutzten er und ein Kollege tragbare Telefone, die ihnen mit einer Nebenstellnummer zugeordnet sind und deren Ladestation im “Hausmeisterraum” liegt. In dem strittigen Zeitraum war der Betroffene überwiegend arbeitsunfähig erkrankt und befand sich ansonsten in einer Wiedereingliederung.

Vom 26.01.2018 bis zum 09.03.2018 war er arbeitsunfähig geschrieben und reichte dazu zwei ärztliche Atteste ein. Der Arbeitgeber nahme in dieser Zeit keinen Kontakt zu ihm auf. Am 13.03.2018 fand ein Personalgespräch mit ihm in der Personalabteilung der Firma statt. Ihm wurde vorgeworfen, eine Glücksspiel-Hotline auf seinem “Hausmeister-Telefon” angerufen zu haben. Am folgenden Tag erfolgte unter Zeugen ein weiteres Gespräch. Der Betroffene bestritt jeweils, auf der Hotline telefoniert zu haben.

Verdachtskündigung

Der Arbeitgeber beantragte am 16.03.2018 beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Tat- und hilfsweise zur außerordentlichen Verdachtskündigung. Das Integrationsamt bestätigte den Eintritt der Fiktion. Der angehörte Betriebsrat äußerte jedoch Bedenken hinsichtlich hinsichtlich der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Die zuständige Schwerbehindertenvertretung gab indessen keine Stellungnahme ab.

Ordentliche Kündigung folgt auf außerordentliche

Am 10.04.2018 kündigte der Arbeitgeber dem Kläger außerordentlich fristlos. Mit einem weiteren Schreiben vom 28.09.2018 kündigte er nach inzwischen erfolgter Zustimmung des Integrationsamtes das Arbeitsverhältnis des Klägers auch ordentlich zum 31.03.2019. Außerdem forderte der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer 1.913,62 Euro.

Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht

Der Betroffene legte beim Arbeitsgericht Wuppertal eine Kündigungsschutzklage ein und ergänzte diese später um einen Weiterbeschäftigungsantrag. Außerdem wandte er sich gegen die Zahlungsaufforderung. Er argumentierte, die außerordentliche Kündigung sei unwirksam, es gebe keinen wichtigen Grund dafür, und die vorgeschriebene Zwei-Wochen-Frist sei nicht eingehalten worden.

Es habe keine ordnungsgemäße Anhörung zu den Vorwürfen gegegen, und ebenso fehle eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats sowie die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung. Nach wie vor bestritt er die ihm zur Last gelegten Anrufe bei der Glücksspiel-Hotline und damit auch die Berechtigung der Zahlungsforderung.

Arbeitgeber hält Kündigung für wirksam

Der Arbeitgeber hielt die Kündigung nach wie vor für wirksam. Bei der jährlichen Kontrolle der Telefonrechungen hätten Nachweise für Einzelgespräche bei der Glücksspiel-Hotline vorgelegen, und zwar über die Nebenstellnummer des Betoffenen. Sämtliche getätigten Anrufzeiten bei der Hotline seinen mit den Einzelverbindungsnachweisen und Anwesenheitszeiten des Betroffenen vergleichen worden. Am 13.03.2018 sei der Betroffene dazu ausführlich angehört worden. Zuvor sei diese wegen der Arbeitsunfähigkeit nicht möglich gewesen.

Anrufszeiten mit allen zwölf Mitarbeitern abgeglichen

Nachdem der Arbeitnehmer die Vorwürfe zurückgewiesen hätte, seien die An- und Abwesenheitszeiten aller zwölf zutrittsberechtigten Mitarbeiter zu dem Hausmeisterraum mit den Anrufzeiten abgeglichen worden. Für insgesamt 109 Anrufe sei nur er in Frage gekommen, da nur er zugegen gewesen sei. Er hätte dies erneut abgestritten, dies sei jedoch nicht glaubhaft gewesen.

Finanzieller Schaden durch die Telefongespräche und Arbeitsausfall

Da eiin Anruf 50 Cent koste, ergebe sich ein durch den Kläger verursachter Schaden in Höhe von 1.378 Euro, und dazu käme die in der Zeit der Telefonate nicht erfolgte Arbeitsleistung. Dies betreffe den finanziellen Schaden. Zudem habe er durch seine Pflichtverletzung das Vertrauen der Beklagten unwiederbringlich zerstört. Auch seien Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung seien sehr wohl ordnungsgemäß angehört worden.

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Arbeitsgericht stimmt Arbeitnehmer voll zu

Das Arbeitsgericht Wuppertal hielt die Argumente des Arbeitnehmer für begründet und gab der Klage in vollem Umfang statt. Die außerordentliche Kündigung sei unwirksam, da der Arbeitgeber die Zwei-Wochenfrist nicht eingehalten habe. Die weiteren Ermittlungen seien nicht mit der gebotenen Eile durchgeführt worden, und das gelte auch für die Anhörung des Betroffenen. Die Geldforderung sei unbegründet, denn die Forderung der Höhe sei nicht hinreichend dargelegt. Lediglich bei 109 Anrufen bestehe ein begründeter Tatverdacht.

Das Arbeitsgericht erklärte die Kündigung für unwirksam und verpflichtete den Arbeitgeber den Betroffenen weiter zu beschäftigen. Der Arbeitgeber legte daraufhin Berufung vor dem Landesarbeitsgericht ein.

Landesarbeitsgericht sieht lediglich Tatverdacht

Diese Berufung führte nur zu einem Teilerfolg. Das Landesarbeitsgericht hielt es nicht für belegt, dass der Betroffene die Anrufe selbst getätigt hätte, es bestehe nur ein Tatverdacht: “Ein Tatverdacht mag insoweit bestehen, ein Tatnachweis ist es nicht. Denn auszuschließen ist (…) insbesondere nicht, dass sich ein anderer Mitarbeiter Zutritt zum Hausmeisterraum und den Telefonen verschafft hat, ohne zuvor frühmorgens eingestempelt zu haben.”

Eine Pflichtverletzung ist nicht nachgewiesen

Das Landesarbeitsgericht ließ offen, ob dieser Tatverdacht die spätere ordentliche Kündigung begründe. Als Begründung einer Pflichtverletzung reiche jedoch ein solcher Verdacht nicht aus: “Der dringende Verdacht mag die ordentliche Kündigung des Klägers, über die noch im Parallelverfahren zu entscheiden ist, begründen; dies kann und muss hier offen bleiben. Für den Nachweis einer Bereicherung oder einer Pflichtverletzung reicht er nicht aus. Damit fehlt der geltend gemachten Forderung der Beklagten von vornherein jede Anspruchsgrundlage, so dass die negative Feststellungsklage begründet ist.”

Frist nicht eingehalten

Die außerordentliche Kündigung erklärte das Landesarbeitsgericht wiederum für unwirksam, weil die dafür gesetzte Frist nicht eingehalten worden sei. Trotzdem bestehe kein Anspruch des Betroffenen auf Weiterbeschäftigung, denn die spätere folgende ordentliche Kündigung sei nicht offensichtlich unwirksam. Hier handle es sich allerdings um ein Parallelverfahren.

Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers sei nicht begründet “und das Urteil des Arbeitsgerichts daher insoweit auf die begründete Berufung der Beklagten abzuändern sowie die Klage teilweise abzuweisen.”

Anhörung auch während Arbeitsunfähigkeit

Das Landesarbeitsgericht machte klar, dass die Frist zur Kündigung während der Arbeitsunfähigkeit weiterlief. So hätte der Arbeitgeber trotz Arbeitsunfähigkeit zumindest den Versuch machen müssen, den Betroffenen anzuhören oder Kontakt mit ihm aufzunehmen. Das sei nicht erfolgt, die Zwei-Wochen-Frist sei abgelaufen und die außerordentliche Kündigung damit unwirksam.