Schwerbehinderung: Gericht revolutioniert Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen

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Eine kürzlich gefällte Entscheidung im Bereich Arbeitsrecht könnte den Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer grundlegend verändern. Sollte diese neue Rechtsauffassung Schule machen, wäre der bisherige besondere Kündigungsschutz bereits ab dem ersten Tag des Arbeitsverhältnisses wirksam.

Was ist der aktuelle Stand des Kündigungsschutzes für Schwerbehinderte?

Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen nach dem geltenden Kündigungsschutzrecht erst nach Ablauf einer sechsmonatigen Wartefrist besonderen Kündigungsschutz.

Das bedeutet, dass in den ersten sechs Monaten eine Kündigung ohne besondere Auflagen möglich ist – anders als bei Schwangeren, die von Beginn an besonderen Kündigungsschutz haben.

Erst nach Ablauf der sechs Monate muss der Arbeitgeber bei einer Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters die Zustimmung des Integrationsamtes einholen, was in der Regel eine umfassende Prüfung der Kündigungsgründe mit sich bringt.

Warum ist Diskriminierung ein relevanter Aspekt bei Kündigungen?

Ein Vorteil im Kündigungsschutz von Schwerbehinderten ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Diskriminierung wegen einer Behinderung untersagt.

Dieses Gesetz greift unabhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses und kann dazu führen, dass eine Kündigung allein aufgrund einer bestehenden Diskriminierung unwirksam ist.

Das bedeutet: Liegt der Verdacht einer diskriminierenden Kündigung nahe, kann der betroffene Arbeitnehmer bereits innerhalb der ersten sechs Monate dagegen vorgehen.

Was bedeutet die Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln für den Kündigungsschutz?

Das Arbeitsgericht Köln stellte kürzlich fest, dass der Arbeitgeber bei schwerbehinderten Mitarbeitern ab Beginn des Arbeitsverhältnisses verpflichtet ist, die im Sozialgesetzbuch (SGB) verankerten Präventionsmaßnahmen zu beachten.

Der Arbeitgeber muss bei drohenden Schwierigkeiten frühzeitig das Integrationsamt und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung einbinden und alternative Lösungen prüfen, bevor eine Kündigung ausgesprochen werden kann.

Das Gericht begründet diese Entscheidung mit einer unionsrechtskonformen Auslegung der Vorschriften.

Falls diese Auffassung sich in weiteren Instanzen durchsetzt, bedeutet dies für schwerbehinderte Arbeitnehmer, dass ihnen vom ersten Arbeitstag an erweiterte Rechte eingeräumt werden.

Arbeitgeber wären damit verpflichtet, frühzeitig präventive Maßnahmen zu ergreifen und alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen.

Welche Präventionsmaßnahmen müssen Arbeitgeber zukünftig beachten?

Laut dem Urteil des Arbeitsgerichts Köln sind Arbeitgeber im Falle von leistungs- oder gesundheitsbedingten Problemen verpflichtet, im Rahmen des Präventionsverfahrens nach § 167 SGB IX alle Beteiligten (Schwerbehindertenvertretung, Personalvertretung, Integrationsamt) frühzeitig zu informieren und gemeinsam mit ihnen alternative Lösungen zu prüfen.

Dazu zählt auch die Verpflichtung, im Falle freier Arbeitsplätze eine bevorzugte Einstellung von schwerbehinderten Personen in Betracht zu ziehen (§ 164 SGB IX).

Falls diese Maßnahmen nicht durchgeführt werden, könnte die Kündigung allein deshalb unwirksam sein, weil der Arbeitgeber die Rechte schwerbehinderter Arbeitnehmer nicht gewahrt hat.

Was bedeutet das Urteil für Arbeitgeber?

Sollte sich die Rechtsauffassung durchsetzen, müssten Arbeitgeber von schwerbehinderten Mitarbeitern ab dem ersten Tag alle gesetzlichen Schutzmaßnahmen umsetzen.

Eine Missachtung könnte zur Unwirksamkeit einer Kündigung führen. Arbeitgeber könnten daher dazu tendieren, sich noch intensiver mit Präventionsmaßnahmen und alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen, um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden.

Könnte diese Entscheidung die Einstellungschancen von schwerbehinderten Menschen beeinflussen?

Ein oft diskutiertes Risiko ist, dass strengere Kündigungsschutzregelungen Arbeitgeber möglicherweise davon abhalten, schwerbehinderte Arbeitnehmer einzustellen.

Zwar sind Arbeitnehmer in den meisten Fällen nicht verpflichtet, ihre Schwerbehinderung offenzulegen, dennoch könnte ein erhöhter Aufwand für Arbeitgeber die Bereitschaft beeinflussen.

Ein starkes Diskriminierungsrecht und klare Präventionspflichten könnten hingegen eine inklusive Einstellungspolitik fördern, da Unternehmen besser darin geschult sind, präventiv auf individuelle Bedürfnisse einzugehen.

Welche Schritte sollten betroffene Arbeitnehmer jetzt unternehmen?

Schwerbehinderte Arbeitnehmer, die sich in den ersten sechs Monaten ihres Arbeitsverhältnisses befinden und von einer Kündigung betroffen sind, sollten ihre Rechtslage genau prüfen.

Eine Rechtsschutzversicherung kann bei der Einleitung eines Rechtsstreits hilfreich sein.

In der Praxis könnten gerade im öffentlichen Dienst, in Unternehmen mit einem Betriebs- oder Personalrat oder bei stark gewerkschaftlich organisierten Arbeitsverhältnissen gute Chancen bestehen, sich auf den Kündigungsschutz zu berufen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Arbeitsgericht Köln mit dieser Entscheidung einen wichtigen Impuls für den Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen gesetzt hat.

Für Arbeitnehmer stellt dies eine erhebliche Verbesserung dar, die ihnen möglicherweise eine stabile und geschützte Beschäftigung ermöglicht. Es bleibt spannend, wie sich höhere Instanzen zur Entscheidung positionieren werden. (AZ: 18 Ca 3954/23)