Schwerbehinderung: Gericht lehnt GdB 50 ab – was mehrere Einzel-GdB tatsächlich bedeuten

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Eine Frau aus Niedersachsen hatte auf die Anerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 und damit auf den Schwerbehindertenstatus geklagt. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschied nun:

Der aktuelle Gesundheitszustand rechtfertigt lediglich einen GdB von 40 – zu wenig für den gesetzlich geforderten Schwellenwert. Der Fall zeigt, wie komplex und streng das Feststellungsverfahren abläuft – und welche Konsequenzen dies für Betroffene haben kann.

Hintergrund: Warum der GdB von 50 so entscheidend ist

Ein GdB von 50 markiert die Grenze zur Anerkennung als schwerbehindert. Ab diesem Punkt greifen zahlreiche Nachteilsausgleiche: etwa ein erweiterter Kündigungsschutz, zusätzliche Urlaubstage und steuerliche Vorteile. Im vorliegenden Fall wollte die Klägerin diese Vorteile nutzen, sah sich aber mit einer mehrjährigen Auseinandersetzung mit Behörden und Gerichten konfrontiert.

Krankheitsbild der Klägerin: Vielfältige, aber einzeln moderate Beeinträchtigungen

Die im Jahr 1959 geborene Klägerin stellte im Jahr 2014 erstmals einen Antrag auf die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB). Zur Begründung verwies sie auf eine Reihe körperlicher und psychischer Beeinträchtigungen.

Dazu zählte zunächst ein Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule, der mit anhaltenden Schmerzen und Bewegungseinschränkungen einherging. Zudem machte sie seelische Störungen geltend, insbesondere eine Depression, die sich negativ auf ihre Lebensführung und Belastbarkeit auswirkte.

Weiterhin gab sie an, unter einer Schilddrüsenerkrankung gelitten zu haben, die schließlich eine operative Entfernung des Organs erforderlich machte. Hinzu kamen Gelenkbeschwerden, primär in den Knien und Hüften sowie eine Augenerkrankung mit deutlichen Einschränkungen des Gesichtsfeldes, die unter anderem ihre Fahrtüchtigkeit beeinträchtigten.

Die zuständigen Gutachter und ärztlichen Dienste bewerteten die gesundheitlichen Einschränkungen mit Einzel-GdB zwischen 10 und 30 – zu wenig für eine Addition auf 50.

Rechtlicher Rahmen: So wird der Gesamt-GdB berechnet

Laut Sozialgesetzbuch IX (§ 152) wird der GdB nicht durch einfaches Addieren der Einzelwerte berechnet. Stattdessen findet eine Gesamtschau statt: Dabei wird analysiert, wie sich die einzelnen Beeinträchtigungen gegenseitig beeinflussen – also verstärken, überschneiden oder neutral zueinander stehen.

Im konkreten Fall lagen die drei stärksten Einzel-GdB bei je 30 (Sehstörung), 20 (psychische Störung) und 20 (Wirbelsäulenbeschwerden). Das Gericht entschied, dass diese Kombination in der Regel einen GdB von 40 rechtfertigt – nicht mehr.

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Gerichtliche Einschätzung: Zweifel an Sachverständigengutachten

Eine entscheidende Rolle im Verfahren spielte das medizinische Gutachten eines externen Sachverständigen. Dieser hatte den Gesamt-GdB auf 50 beziffert. Das Gericht stellte jedoch gravierende Mängel in dessen Begründung fest:

Das Gericht stellte fest, dass es dem Gutachten an konkreten Testdiagnostiken und einer nachvollziehbaren medizinischen Begründung mangelte. Die Bewertung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen stützte sich überwiegend auf die Eigenangaben der Klägerin, ohne dass diese durch objektive Befunde abgesichert wurden.

Außerdem blieben bestehende Widersprüche zwischen der Anamnese, den Ergebnissen der körperlichen Untersuchung und der abschließenden Bewertung unbeachtet. Besonders kritisch sah das Gericht die Einschätzung der psychischen Beschwerden, die aus seiner Sicht nicht hinreichend belegt war.

Was bedeutet das Urteil für Betroffene?

Das Urteil zeigt, dass ein Schwerbehindertenstatus keine automatische Folge mehrerer Erkrankungen ist. Selbst bei subjektiv starker Beeinträchtigung muss jede einzelne Erkrankung fachlich fundiert bewertet werden. Ausschlaggebend ist der konkrete funktionale Verlust – nicht die empfundene Lebensqualität.

Für Antragsteller bedeutet das:

  • Eine klare medizinische Dokumentation erhöht die Erfolgschancen.
  • Psychische Erkrankungen benötigen eine fundierte Diagnostik und regelmäßige Behandlung.
  • Einzelne GdB unter 20 beeinflussen den Gesamt-GdB in der Regel nicht.

Berufung ausgeschlossen – Verfahren beendet

Das Urteil ist rechtskräftig. Eine Revision wurde vom Landessozialgericht nicht zugelassen. Für die Klägerin bedeutet dies: Der Status „schwerbehindert“ bleibt ihr verwehrt, zumindest auf Grundlage der derzeitigen gesundheitlichen Situation.

Sozialrecht auf dem Prüfstand

Obwohl das Urteil juristisch nachvollziehbar ist, wirft es Fragen auf: Inwiefern können subjektive Belastungen – wie der Verlust der Fahrtauglichkeit oder anhaltende Erschöpfung – realistisch in ein objektives Bewertungssystem übersetzt werden? Gerade psychische Erkrankungen entziehen sich oft klaren Messkriterien. Das bestehende System ist präzise – aber nicht immer gerecht im menschlichen Sinne.