Schwerbehinderung: Fahrten vom Wohnheim nach Hause muss die Eingliederungshilfe zahlen

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Eingliederungshilfe: Die Kosten für die Fahrten vom Wohnheim nach Hause sind für eine Behinderte im Rahmen der Eingliederungshilfe zu übernehmen.

1. Nach dem Recht der neuen Eingliederungshilfe besteht ein Anspruch auf behinderungsrechten Umbau eines Kraftfahrzeugs, um einen in einer Einrichtung der Behindertenhilfe wohnenden Menschen an den Wochenenden und in den Ferien zur Familie und wieder zurück zu transportieren.

2. Soweit eine Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln aufgrund der Art und Schwere der Behinderung nicht zumutbar ist.

3. Nicht die Vorstellungen des Eingliederungshilfeträgers oder des Gerichts bestimmen hier die Reichweite und Häufigkeit der Teilhabe des behinderten Menschen (vgl BSG vom 8.3.2017 – B 8 SO 2/16 R – ).

4. Ein Verweis auf Fahrdienste ist an Wochenenden und in den Ferien nicht zielführend, da diese zum einen umfänglich organisiert werden müssen und zum anderen in der Kapazität sehr beschränkt sind.

So entschieden vom SG Halle, vom 16.03.2022 – S 22 SO 39/20 –

Begründung:

Geltung der neuen Eingliederungshilfe zum 1.1.2020 – Übergangszeit – Erledigung von Anträgen zur bisherigen Eingliederungshilfe – Erforderlichkeit der Stellung eines Antrags für die neue Eingliederungshilfe – Spontanberatungspflicht der Behörde

Mit Inkrafttreten des BTHG kann die begehrte Leistung der Kfz-Beihilfe nach §§ 53, 54 SGB XII ab 1. Januar 2020 nicht mehr gewährt werden, weil diese Vorschriften nicht mehr gelten, (vgl auch SG Frankfurt v. 15.03.2021 – S 20 SO 32/17 -).

Sozialrechtlichen Herstellungsanspruch

Die behinderte Antragstellerin hat jedoch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs einen Anspruch auf Gewährung der streitigen Leistung.

Spontanberatungspflicht wurde von der Behörde missachtet – diese Pflicht besteht bei neuer Gesetzeslage

Aus der Rechtsänderung und der sich daraus ergebende Folge der Erledigung des bisherigen Antrags folgte eine Spontanberatungspflicht der Behörde.

Diese hätte darauf hinweisen müssen, dass ein Antrag nach neuem Recht gestellt werden muss und der Leistungsanspruch nur auf die Regelungen des §§ 114, 113 Abs 2 Nr 7, 83 SGB IX gestützt werden kann, da es sich um eine neue Sozialleistung handelt.

Leistung zur Mobilität

Es handelt sich hier um eine Leistung zur Mobilität. Die behindertengerechte Zusatzausstattung (allein diese ist hier streitig, da das KfZ aus eigenen Mitteln angeschafft wurde) für das KfZ erleichtert es der Behinderten, mobil zu sein.

Die behinderte Tochter ist darauf angewiesen, gefahren zu werden – in diesem Fall von der Mutter

Sie kann Einrichtung nicht selbständig verlassen kann, ist sie darauf angewiesen, gefahren zu werden. Der Rollstuhl kann nur mit der Zusatzausstattung transportiert werden.

Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist nicht zumutbar aufgrund von Behinderung

Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist aufgrund der Art und Schwere der Behinderung nicht zumutbar. Die Klägerin kann weder sitzen, noch sich sonst fortbewegen, so dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel für sie nicht zumutbar ist. Durch den Einsatz der Mutter ist gewährleistet, dass ein Dritter das KfZ für sie führt.

Behörde erbringt nur eine Heimfahrt im Monat – unzureichend nach Meinung des Gerichts

Denn Wege, die mit dem Kfz zurückgelegt werden sollen, sind nur dann für die Beurteilung der Notwendigkeit der Nutzung eines Kfz unbeachtlich, wenn es sich um Wünsche handelt, deren Verwirklichung in der Vergleichsgruppe der nicht behinderten, nicht sozialhilfebedürftigen Personen in der gleichen Altersgruppe als unangemessen gelten (etwa wegen der damit regelmäßig verbundenen Kosten) und die damit der Teilhabe nicht dienen können.

Selbstbestimmung behinderter Menschen im Hinblick auf Häufigkeit und Reichweite ihrer Teilhabe

Das ist nicht der Fall, da auch gleichaltrige Kinder, die nicht über ein Fahrzeug verfügen, auf Transporte der Eltern zurückgreifen, wenn öffentliche Verkehrsmittel nicht oder nur in einem zeitlich wenig attraktiven Umfang zur Verfügung stehen.

Weiterhin bestimmen in einem solchen Fall auch nicht die Vorstellungen des Leistungsträgers oder des Gerichts die Reichweite und Häufigkeit der Teilhabe des behinderten Menschen (BSG, Urteil vom 8. März 2017 – B 8 BO 2/16 R – ).

Sie ist nicht nur vorübergehend, sondern – ständig – auf die Nutzung des KfZ angewiesen

Denn das Auto wird hier für das alltägliche Leben der Familie gebraucht, was insbesondere für die Ferien gilt und die Wochenenden. Dabei bedeutet ständig nicht nur zeitlich häufig, sondern insbesondere regelmäßig und nicht unbedingt vorhersehbar, da niemand ein KfZ „ständig“ im Sinne von „24/7“ benötigt.

Abgrenzung zum gelegentlichem Gebrauch

Ein Behinderte, die das KfZ für den Weg zur Arbeit braucht, braucht es am Wochenende und im Urlaub nicht für diese Zwecke.

Das Abgrenzungsmerkmal dient der Abgrenzung zu – nur gelegentlichem Gebrauch -, der eher durch die Inanspruchnahme von Fahrdiensten abgedeckt werden kann.

Fazit:

Auch nach dem Recht der neuen Eingliederungshilfe besteht ein Anspruch auf behinderungsrechten Umbau eines Kraftfahrzeugs, um einen in einer Einrichtung der Behindertenhilfe wohnenden Menschen an den Wochenenden und in den Ferien zur Familie und wieder zurück zu transportieren, soweit eine Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln aufgrund der Art und Schwere der Behinderung nicht zumutbar ist.

Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock

Weiterhin gab das Gericht bekannt:

1. Mit dem Inkrafttreten des BTHG kann die begehrte Leistung der Kfz-Beihilfe nach §§ 53, 54 SGB XII ab 1. Januar 2020 nicht mehr gewährt werden, weil diese Vorschriften nicht mehr gelten.

Der Leistungsanspruch muss nunmehr auf die Regelungen des §§ 114, 113 Abs 2 Nr 7, 83 SGB IX gestützt werden, daher handelt es sich um eine neue Sozialleistung.

Soweit die Rechtsänderung im Widerspruchsverfahren erfolgt und kein Hinweis der Widerspruchsbehörde erfolgt, ist ein Antrag nach neuem Recht über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu ersetzen.

2. Ständig im Sinne § 114 Nr 1 SGB IX bedeutet nicht 24/7, vielmehr ist regelmäßig und in zeitlich nicht vorhersehbarem Umfang ausreichend.

Ich kann nur sagen, diese Entscheidung zeigt mal wieder, was man doch Alles für so einen behinderten Menschen tun kann.

Betroffenen ist es wirklich zu empfehlen anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, sehr Komplex das Ganze.