Schwerbehinderung: Behörde muss Schadensersatz wegen Gerichtsmissbrauch zahlen

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Wenn eine Partei (in diesem Fall eine Behörde) ein Gerichtsverfahren missbraucht, dann kann das Gericht die Schuldigen dazu verurteilen, Missbrauchskosten zu leisten. So entschied das Sozialgericht Detmold und verhängte Verschuldenskosten gegen eine Behörde. (S 1 SB 486/24)

Behörde stellt sich gegen Verpflichtung

Eine Behörde erließ einen begehrten Widerspruchsbescheid nicht, obwohl das Gericht derselben Behörde in vorhergehenden Verfahren mehrfach geklärt hatte, dass die Behörde dazu verpflichtet sei.

Dabei ging es um einen strittigen Grad der Behinderung. Die Behörde hatte bei dem Betroffenen am 7.11.2023 einen Grad der Behinderung von 50 festgestellt, und dies ab dem 1.8.2023.

Der Betroffene akzeptierte diesen Bescheid nicht, sondern legte am 15.11.2023 Widerspruch ein und vertrat darin den Standpunkt, sein Grad der Behinderung sei nicht ausreichend gewürdigt.

Die Behörde zog weitere Arztberichte hinzu und ließ diese durch einen beauftragten Mediziner auswerten. Dieser Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass der gesamte Grad der Behinderung tatsächlich bei 60 liege und nicht bei 50.

Die Behörde schickte jetzt einen „Abhilfebescheid“, in dem der Grad der Behinderung seit August 2023 mit 60 festgesetzt war. Darin befand sich ein rechtlicher Hinweis mit dem Wortlaut: „Mit diesem Bescheid ist das Widerspruchsverfahren beendet.”

Erneuter Widerspruch

Doch der Betroffene ließ das nicht auf sich sitzen, ihm zufolge war der Widerspruch durch den Abhilfebescheid und den Grad der Behinderung von 60 nicht vollständig abgeholfen worden.

Er gab zudem zu bedenken, dass die Behörde, falls sie den Widerspruch hätte zurückweisen wollen, einen entsprechenden Bescheid mit Rechtsbehelfsbelehrung hätte erlassen müssen. Da jedoch nur eine teilweise Abhilfe erfolgt sei, bleibe der Widerspruch hinsichtlich eines höheren Grades der Behinderung weiterhin anhängig.

Es selbst hielt einen Grad der Behinderung von 80 oder 90 für angemessen.

Laut Behörde ist das Verfahren abgeschlossen

Im März 2024 teilte die Behörde dem Betroffenen mit, er könne keinen Widerspruch in dieser Sache mehr erheben, denn das Verfahren sei durch den Abhilfebescheid abgeschlossen. Da es kein konkretes Begehren des Klägers gebe, sei eine volle Abhilfe geleistet worden.

Der Betroffene blieb dabei, dass es sich um eine Teilabhilfe handle. Die Sozialleistungsbehörde hätte eine Ermittlungspflicht, nachzufragen, ob sich der Widerspruch durch die Feststellung eines bestimmten Grades der Behinderung erledigt habe.

Ansonsten könne die Behörde nämlich durch Erlass einer Teilabhilfe mit dem Hinweis „mit diesem Bescheid ist das Widerspruchsverfahren beendet“ den Rechtsweg verkürzen.
Die Behörde blieb bei ihrer Auffassung, und deshalb legte der Mensch mit Behinderung Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Detmold ein.

Der Kläger verlangt eine vollumfängliche Entscheidung

Der Betroffene beantragte, die Behörde zu verurteilen, in vollem Umfang über seinen Widerspruch zu entscheiden, die Behörde verlangte, die Klage abzuweisen, denn durch den Abhilfebescheid sei das Widerspruchsverfahren technisch beendet, und es gebe kein konkretes Begehren des Täters.

Das Sozialgericht gab dem Kläger recht. Der „Abhilfebescheid“ bedeute kein Ende des Widerspruchsverfahrens, sondern vielmehr dessen Gegenstand. Der Betroffene hätte gefragt werden müssen, ob er seinen Widerspruch zurücknimmt.

Missbrauch des Gerichts

Das Sozialgericht stimmte dem Betroffenen in Hinsicht auf einen (manipulativ) verkürzten Rechtsweg nicht nur zu, sondern ging sogar noch weiter. Die Behörde musste sich mit 300,00 Euro an den entstandenen Gerichtskosten beteiligen.

Denn der Behörde sei die eindeutige Rechtslage mehrfach erklärt worden. Wenn sie trotzdem weiter an einer offensichtlich unzutreffenden Rechtsauffassung festhalte, dann handle es sich um einen Missbrauch des Gerichts.

Was bedeutet das Urteil für Menschen mit Behinderung

Das Sozialgericht Detmold stärkt die Rechte von Menschen mit Behinderung. In diesem Fall erscheint es eindeutig, dass die zuständige Behörde die rechtlichen Möglichkeiten von Menschen mit Behinderungen bewusst verdrehte und bewusst verkürzte.

So sah es auch das Sozialgericht und ging davon aus, dass die Behörde bestehendes Recht nicht aus Unwissen falsch anwandte, sondern aus Berechnung.

Der Verdacht drängt sich auf, dass diese Praxis, Widerspruchsverfahren willkürlich mit Phrasen abzubrechen, davon ausgeht, dass die Mehrzahl der von solchem Rechtsmissbrauch Betroffenen nicht die nötige Hartnäckigkeit zeigt, um ihr Recht einzufordern, sondern aufgibt.

Einem solchen üblen Vorgehen hat das Sozialgericht Detmold jetzt einen Riegel vorgeschoben.