Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat die Entscheidung des Sozialgerichts Bremen aufgehoben und den Antrag einer Frau auf Anerkennung eines hรถheren Grades der Behinderung (GdB) abgewiesen. (Az: L 13 SB 81/21)
Die Klรคgerin hatte nach ihrer traumatischen Vergangenheit und psychischen Erkrankung einen GdB von 50 beantragt, um als schwerbehindert anerkannt zu werden. Das Gericht hielt jedoch nur einen GdB von 40 fรผr angemessen โ nicht ausreichend fรผr den Schwerbehindertenstatus.
Gericht kippt Schwerbehinderten-Status โ Was bedeutet das fรผr Betroffene?
Mit Urteil vom 30. Oktober 2024 entschied das LSG Niedersachsen-Bremen gegen eine Frau, die einen hรถheren GdB beantragt hatte. Die Frau hatte geltend gemacht, aufgrund multipler Erkrankungen โ unter anderem einer posttraumatischen Belastungsstรถrung (PTBS) โ erheblich eingeschrรคnkt zu sein.
Bereits das Sozialgericht Bremen hatte ihr einen GdB von 50 zugesprochen. Diese Entscheidung wurde nun gekippt. Laut Berufungsurteil reicht der festgestellte Gesundheitszustand nur fรผr einen GdB von 40 โ damit ist die Schwelle fรผr die Anerkennung einer Schwerbehinderung nicht รผberschritten.
Trauma, Depression, Isolation โ Das Leid der Klรคgerin
Die 1978 geborene Klรคgerin hatte zahlreiche medizinische Gutachten vorgelegt. Diese belegen eine lange Leidensgeschichte, angefangen mit familiรคrer Gewalt in der Kindheit hin zu schweren Depressionen im Erwachsenenalter. Diagnostiziert wurde unter anderem:
- Posttraumatische Belastungsstรถrung (PTBS)
- Angststรถrungen und Depressionen
- Soziale Isolation
- Psychosomatische Beschwerden wie Schlaf und Verdauungsstรถrungen
Trotz dieser Diagnosen und zahlreicher Therapieversuche kam der รคrztliche Dienst der Behรถrde zu einem anderen Schluss: Die psychische Erkrankung sei nicht schwer genug, um einen hรถheren GdB als 30 zu rechtfertigen.
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Gericht: GdB von 50 nicht รผberzeugend begrรผndet
Ausschlaggebend fรผr die Ablehnung war die Bewertung der Alltagstauglichkeit der Klรคgerin. Die Richter sahen keine ausreichenden Hinweise auf eine gravierende Einschrรคnkung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Zwar bestehe eine psychische Stรถrung, diese lasse jedoch noch eine weitreichende Selbststรคndigkeit zu. Die Klรคgerin versorge eigenstรคndig ihren schwer kranken Ehemann und ein behindertes Kind, kรผmmere sich um den Haushalt und absolviere regelmรครig Fahrdienste.
Zudem habe sie frรผher beruflich in leitender Funktion gearbeitet und plane laut einem รคlteren Internetauftritt sogar unternehmerische Aktivitรคten. Auch wenn die Klรคgerin bestreitet, diese Seite noch zu nutzen, wertete das Gericht diese Information als Indiz fรผr ein gewisses Maร an Belastbarkeit.
Widersprรผchliche Gutachten: รrztliche Beurteilungen im Vergleich
Im Verfahren lagen mehrere Fachgutachten vor. Wรคhrend einige Sachverstรคndige die psychischen Erkrankungen der Klรคgerin als schwerwiegend einstuften, sahen andere weniger dramatische Auswirkungen auf die Lebensfรผhrung.
Der Senat kam letztlich zu dem Ergebnis, dass die Funktionsstรถrungen โ auch wenn sie teils gravierend erscheinen โ keinen GdB von 50 rechtfertigen. Auch eine Kombination mit kรถrperlichen Erkrankungen wie Zรถliakie oder Hepatitis B fรผhrte nicht zu einer hรถheren Bewertung. Letztere verursache laut internistischer Gutachten keine entzรผndlichen Aktivitรคten und sei behandelbar.
Kein Anspruch auf Schwerbehindertenausweis: Welche Folgen hat das?
Mit einem GdB von 40 hat die Klรคgerin keinen Anspruch auf die Vergรผnstigungen und Schutzrechte, die mit einem GdB von 50 und hรถher verbunden sind. Dazu zรคhlen unter anderem:
- Anspruch auf Zusatzurlaub
- Kรผndigungsschutz
- Steuererleichterungen
- Bevorzugte Einstellung bei รถffentlichen Arbeitgebern
Fรผr viele Betroffene bedeutet dies: Wichtige soziale und finanzielle Entlastungen bleiben aus. Zwar kรถnnen ab einem GdB von 30 Gleichstellungsantrรคge bei der Arbeitsagentur gestellt werden, der Schutz ist jedoch eingeschrรคnkt und an Bedingungen geknรผpft.
Gericht legt strenge Maรstรคbe an: Was Betroffene daraus lernen kรถnnen
Das Urteil verdeutlicht, dass die Anerkennung einer Schwerbehinderung nicht allein von der Diagnose abhรคngt. Entscheidend ist, wie stark sich die gesundheitlichen Beeintrรคchtigungen auf die gesellschaftliche Teilhabe auswirken. Wer seinen Alltag โ auch unter Mรผhe โ eigenstรคndig bewรคltigen kann, hat es schwer, einen hรถheren GdB durchzusetzen.
Das Gericht betonte: Bei psychischen Erkrankungen zรคhlen insbesondere objektiv รผberprรผfbare Faktoren wie Behandlungsfrequenz, therapeutische Maรnahmen, soziale Kontakte und familiรคre Unterstรผtzungsbedarfe. Subjektive Schilderungen oder nicht belegte Symptome genรผgen nicht.